Die Partie gegen den deutschen Rekordmeister aus München gerät für den HSV-Trainer zum Treffen mit seiner Vergangenheit als Spieler.

Hamburg. Wenn Thorsten Fink heute über seine größten Momente als Spieler redet, geht sein Blick gern zurück auf den 19. Mai 2001. An diesem Tag glich der FC Bayern beim HSV am 34. Spieltag durch ein Tor von Patrik Andersson in der Nachspielzeit noch zum 1:1 aus und entriss den bereits feiernden Schalkern noch die deutsche Meisterschaft. "Das war das Beeindruckendste, was ich je erlebt habe, das ging so richtig unter die Haut", sagt Fink heute, der die Partie verletzt auf der Ersatzbank verfolgte, und erinnert im gleichen Satz an die tränenreichen Bilder aus Gelsenkirchen: "Wenn ich daran denke, wie es der anderen Seite damals ging ...?"

Typisch Fink. Für den HSV-Trainer wäre es undenkbar, das eine vom anderen zu trennen. "Gewinnen wollen, verlieren können" lautet einer seiner Leitsätze, nach dem er als Spieler handelte und den er jetzt als Trainer vorlebt.

In diesen Tagen muss sich Fink häufig erinnern. Kein Wunder. Wenn die Bayern am Sonnabend (18.30 Uhr) in der Imtech-Arena antreten, trifft der 44-Jährige erstmals als Fußballlehrer auf seine Vergangenheit als Spieler, die sich beeindruckend liest. In den 234 Spielen zwischen 1997 und 2003 durfte er stolze neunmal Pokale in die Luft stemmen: DFB-Pokalsieger 1998, 2000, 2003, Deutscher Meister 1999, 2000, 2001, 2003, Champions-League-Sieger 2001, Weltpokalsieger 2001.

+++ So will Thorsten Fink die Bayern schlagen +++

Fink ist in erster Linie Dortmunder, weil er dort geboren wurde. Natürlich auch Wattenscheider und Karlsruher, weil es hier mit seiner Karriere steil bergauf ging. Aber er ist vor allem ein ewiger Bayer, weil nicht nur die vielen Titel, sondern auch eine legendäre Niederlage mit seinem Namen verbunden bleiben wird - das 1999 in der Nachspielzeit verlorene Champions-League-Finale gegen Manchester United (1:2). Fink, in der 81. Minute für Lothar Matthäus eingewechselt, fabrizierte einen Querschläger, der zum 1:1 führte. "Während andere Spieler ihren Frust an der Bar ertränkten, habe ich mich mit meiner Frau früh aufs Hotelzimmer zurückgezogen", blickt er zurück. "Ich selbst hatte dieses Erlebnis nach zwei, drei Tagen verarbeitet, aber die Erinnerung bleibt wach, weil ich auch nach zwölf Jahren ständig darauf angesprochen werde." Noch heute glaubt Fink, der in der Saison darauf mit starken Leistungen brillierte, dass dieser für die Bayern so bittere Abend der Impuls für den Titelgewinn in der Königklasse 2001 gegen Valencia war.

Der damalige Trainer Ottmar Hitzfeld hatte den zuvor verletzten Fink ("Ich war stinksauer") in diesem Finale nicht in den Kader berufen, doch schon damals bewunderte er die Führungsqualitäten des heutigen Schweizer Nationaltrainers. Beim gestern ausgestrahlten "Audi Star Talk" erzählte er launig, wie ihm Hitzfeld sein Ende beim FC Bayern eröffnete, indem dieser ihm eine große Trainerkarriere prognostizierte: "Er war so geschickt, dass ich gar nicht mitgekommen hatte, dass ich gerade als Spieler abserviert worden war."

Gestern präzisierte Fink noch einmal, was er an Hitzfeld so schätzt: "Er ist kommunikativ top und sorgt für eine gute Hierarchie, weil er gerade mit den Stars innerhalb der Mannschaft hervorragend umgehen kann. Und er war in seinem Arbeitsstil präzise wie ein Schweizer Uhrwerk, immer korrekt und ehrlich. Unter Hitzfeld gab es nach Siegen keine freien Tage, aber auch kein Straftraining nach Niederlagen." An Giovanni Trapattoni, unter dem er 2007/08 in Salzburg als Co-Trainer arbeitete, imponierte Fink hingegen das taktische Gespür sowie die Leidenschaft in seinem Handeln, besonders mit jungen Talenten.

+++ Info: Fink tröstet Son +++

Wer Fink heute in seiner Arbeit beim HSV beobachtet, findet viele Elemente der Traineraltmeister wieder. Als er gestern über das anstehende Nord-Süd-Duell sprach, fielen Vokabeln wie "Konzentration, Disziplin und Ordnung" genauso wie die emotional geprägte Aufforderung, seine Spieler müssten gegen die Bayern "kämpfen, kratzen, und beißen" und vor allem die Zweikämpfe suchen, um bestehen zu können. In einem Interview für das "Bundesliga-Magazin" nannte Fink als erste Anforderung an die modernen Trainer "ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. Wie muss ich einen Spieler ansprechen, damit er den Weg mit mir geht?" Ein Satz, der auch von seinem Lehrmeister Hitzfeld stammen könnte. Mittelfristig will Fink eine "familiäre Atmosphäre" für den größtmöglichen Erfolg beim HSV entwickeln, genau wie er sie bei den Bayern erlebt hat. Die Personalpolitik, ehemalige Spieler weiter im Verein zu beschäftigen, sei ebenfalls eine wünschenswerte Strategie. Doch auch wenn Fink gerne weiter Kontakt nach München hält und sich vor seiner Vertragsunterschrift in Hamburg sogar mit den Bayern-Bossen Karl-Heinz Rummenigge und Karl Hopfner bei einem Treffen beim Oktoberfest beriet, so betont er gerne sein selbstbestimmtes Handeln. Mit dem Begriff Vorbild geht er vorsichtig um.

Zu seinen wichtigsten Grundsätzen zählt, den Spielern die positiven Aspekte ihres Fußballspiels aufzuzeigen und sich nicht mit selbstzerstörerischen Dingen aufzuhalten. Sogar beim 1:5 gegen Dortmund zum Rückrundenstart habe er viele gute Dinge seiner Mannschaft gesehen, was ihm Hoffnung mache. Vor dem Spiel am Sonnabend sagt er: "Wir werden gegen die Bayern nicht vorher die weiße Flagge hissen. In zehn Spielen gegen die Bayern werden wir wohl achtmal nicht gewinnen. Aber warum soll es nicht an diesem Wochenende anders laufen?"

Null Punkte konnte der HSV in dieser Saison bisher gegen die aktuell besten fünf Teams der Liga holen. Sollte Fink die Hamburger zu einem Überraschungserfolg führen, wäre es nicht nur der große Befreiungsschlag im Abstiegskampf, sondern würde auch dem Trainer Fink weiteren Respekt einbringen. Eine hohe Meinung über ihn haben sie bei den Bayern schon länger. Ein paar Tage, nachdem Fink in München zum 60. Geburtstag von Uli Hoeneß weilte, adelte ihn Franz Beckenbauer: "Der ist einer für die Bayern." Deshalb kann und darf am Sonnabend gegen Gomez, Robben und Co. verlieren - aber er kann auch so viel gewinnen.