Griechenland brennt auf das EM-Viertelfinale gegen Deutschland. Bundestrainer Joachim Löw will gegen den Überraschungs-Viertelfinalisten seine bisherige Taktik verfeinern und möglicherweise die Hellenen mit personellen und taktischen Kniffen überrumpeln.

Danzig. Der finale Weg Richtung EM-Finale ist für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft klar abgesteckt. Erst wollen die selbst ernannten Titelanwärter mit Intelligenz und einer Überfall-Taktik das griechische Bollwerk knacken. Dann lockt im Halbfinale ein Fußball-Klassiker – gegen England oder Italien. Nach dem Durchmarsch durch die Gruppenphase gaben sich die Titelanwärter selbstbewusst. „Uns in die Knie zwingen, das werden die Griechen definitiv nicht schaffen“, erklärte Mittelfeldspieler Sami Khedira.

+++ Neuer: "Wir wissen, dass wir noch besser werden" +++

+++ Mats Hummels gibt in der Abwehr den Takt vor +++

Der entspannt wirkende Bundestrainer Joachim Löw will gegen den Überraschungs-Viertelfinalisten seine bisherige Taktik verfeinern und möglicherweise die Hellenen mit personellen und taktischen Kniffen überrumpeln. „Ich scheue mich nicht davor, weitere Entscheidungen zu treffen und zu verändern, weil wir gute Spieler in der Hinterhand haben“, erklärte Löw vor dem ersten K.o.-Spiel.

Bisher lag der Chef der deutschen Titelmission mit seinem Personal- und Taktik-Puzzle goldrichtig. Die Mischung aus schnellem Offensivfußball und konsequenter Arbeit nach hinten in allen Mannschaftteilen will der akribisch planende Bundestrainer nicht ändern, „damit man gewappnet ist und nicht im Hurra-Stil nach vorne läuft“. Denn genau darauf wartet der Gegner.

Im Regen pfiff Löw in Danzig die heiße K.o.-Phase an. Zwei Tage vor dem nächsten TV-Quotenhit des DFB-Teams gegen Griechenland hetzte der Bundestrainer seine EM-Spieler wieder über den Trainingsplatz. „Jetzt geht es schon in die Endphase der Vorbereitung“, erklärte Löw mit Blick auf die kurze Zeit bis zum Europameisterschafts-Viertelfinale an diesem Freitag (20.45 Uhr/ZDF) gegen den Sensationschampion von 2004.

„Wir müssen hochkonzentriert sein und dürfen nicht schon einen Schritt weiterdenken. Das ist die große Gefahr“, betonte am Mittwoch Mittelfeld-Antreiber Sami Khedira. Die erste längere Freizeit während des Turniers hatten die deutschen Stars mit Ausflügen in die Danziger Altstadt und in den Ostsee-Urlaubsort Sopot genutzt, „um mal abzuschalten und den Kopf frei zu bekommen“, wie Khedira berichtete.

Der Wahl-Madrilene besichtigte mit seinem Vereinskollegen Mesut Özil die Mole in Sopot. Die Bayern Mario Gomez und Bastian Schweinsteiger genossen mit ihren Freundinnen die Danziger Altstadt. „Jetzt wird die Anspannung wieder hochgefahren“, berichtete Khedira aus dem DFB-Camp. Ex-Teamchef Franz Beckenbauer sieht die Griechen „im Aufwind, denn niemand hat ihnen das Viertelfinale zugetraut“.

Löw hat mit einzelnen Spielern schon über die beste Taktik gegen die Griechen gesprochen. Khedira verriet eine zentrale Forderung des Cheftrainers: „Mannschaftstaktisch müssen wir cleverer und intelligenter spielen, um besseren Zugriff auf den Gegner zu bekommen.“ Wenn dies nicht gelingen würde, könnte das in der Turnier-Endphase zu einer „großen Gefahr“ werden, fürchtet Khedira.

„Wir können uns noch steigern gegen defensiv eingestellte Gegner. Nicht der Pass bestimmt den Laufweg, sondern der Laufweg bestimmt den Pass“, bemerkte Löw, der selbst als Bundestrainer noch nie gegen die Griechen gespielt hat. Überhaupt ist die DFB-Elf in ihrer 104 Jahre alten Länderspiel-Geschichte erst achtmal auf Griechenland getroffen: Fünf Partien wurden gewonnen; eine Niederlage gab es noch nicht.

Das soll auch so bleiben: „Wir haben einen Erfolgsgedanken im Team, darin kommt Ausscheiden nicht vor“, betonte Müller, der nach dem Gewinn der WM-Torjägerkrone bei dieser EM noch ohne Tor ist. Für Beckenbauer steht fest: „Die Mannschaft lässt sich das nicht nehmen, sie ist in einer guten Verfassung und noch steigerungsfähig.“

„Killerinstinkt entwickeln“ und „intelligenter Laufen“ sieht Khedira als entscheidende Punkte, um den von Fans und Spielern zugleich erwarteten Halbfinaleinzug sicherzustellen. Geduld und Bewegung bezeichnete der 25-Jährige zudem als probates Mittel, um den Abwehrblock der Griechen knacken zu können: „Wenn man statisch steht, wird es sehr schwierig. Wir haben sehr gute Lösungen und müssen sie nur noch umsetzen.“ Die Mannschaft habe sich seit der WM 2010 deutlich weiterentwickelt: „Wir spielen ruhiger und viel cleverer, gehen nicht mehr so leichtsinnig mit unserem Spiel um.“

Löw setzt zudem auf den möglichen Heimvorteil in Danzig, wo das deutsche Team während des Turniers wohnt. „Wir haben uns bisher wahnsinnig wohlgefühlt hier“, lobte er die polnischen Gastgeber. Müller schickte einen Gruß in die Heimat und bedankte sich für die große Fan-Unterstützung und den angekündigten Stadionbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit den deutschen Medien dagegen ging er hart ins Gericht. Vieles werde zu kritisch gesehen, monierte der Bayern-Profi. „Im Moment kommt es mir so vor, dass wir, selbst wenn wir den EM-Titel holen sollten, uns dafür noch schämen müssen.“

Der zuletzt angeschlagene Bastian Schweinsteiger bekräftigte den Respekt vor den Griechen: „Es ist immer schwierig gegen Gegner zu spielen, die defensiv stehen und die durch Konter zum Erfolg kommen wollen. Wir benötigen einen Plan, der uns aufzeigt, wie man einem solchen Gegner wehtun kann. Wir haben großen Respekt vor den Griechen.“ Der Viertelfinal-Kontrahent habe sich in einer Gruppe durchgesetzt, „wo alle gedacht haben, dass es sehr schwer für sie wird. Sie haben es geschafft, das ist stark. Wir wissen aber, dass es am Freitag nur an uns liegt, ob wir gewinnen oder nicht. Wenn wir unsere Stärken einbringen, werden wir die Griechen schlagen. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, die Griechen zu unterschätzen.“ Die Vorfreude auf die Partie bezeichnete Schweinsteiger als „unglaublich“. „Jetzt, wo wir die Gruppenphase überstanden haben, wächst sie weiter. Durch die Siege ist auch das Selbstvertrauen gewachsen. Ich spüre einen großen Drang in mir, ein perfektes Spiel zu liefern. Ich hoffe, dass wir dem gegen Griechenland nahe kommen.“

"Auf dieses Spiel wartet ganz Griechenland“

Die Griechen fiebern dem EM-Viertelfinale gegen Deutschland entgegen. Stürmer Georgios Samaras reagierte auf hartnäckige Journalisten-Fragen auf einer Pressekonferenz vor dem Spiel mit beinahe staatsmännischer Gelassenheit. „Der Fußball ist nicht mit der Politik zu vergleichen. Wir werden spielen, weil wir den Fußball lieben. So einfach ist das. Wir spielen nicht für uns, sondern für elf Millionen Griechen. Wir wollen, dass sie lächeln“, sagte der 27-jährige Profi vom schottischen Spitzenklub Celtic Glasgow.

Da untertreibt Samaras wohl ein wenig. Als sein Mannschaftskollege Georgios Karagounis am vorigen Sonnabend im abschließenden Gruppenspiel gegen Favorit Russland kurz vor dem Halbzeitpfiff das goldene Tor erzielte, wurden nicht nur unter den Zuschauern im Stadion Erinnerungen an den sensationellen EM-Triumph der Hellenen im Sommer 2004 in Portugal wach.

Auch auf den Straßen und Plätzen in ganz Griechenland feierten die Griechen den Einzug ins EM-Viertelfinale. Für einen Moment waren die riesigen Probleme vergessen, die die Hellenen in der schlimmsten Krise der Nachkriegszeit plagen. Und noch bevor der Viertelfinalgegner Deutschland endgültig feststand, tönte die meinungsbildende Athener Zeitung „Sportday“ in beinahe schon vergessener mediterraner Ausgelassenheit: „So kommen die eine Runde weiter, die Schulden bei euch haben!“ Das Blatt „Goal News“ titelte gar ganz unverblümt: „Bringt uns Merkel!“

Fest steht: Die bevorstehende EM-Viertelfinalpartie zwischen Griechenland und Deutschland ist emotional hoch aufgeladen – auf beiden Seiten, in beiden Ländern. Kein Wunder: Das letzte Aufeinandertreffen fand im März 2001 im Athener Olympiastadion im Rahmen der Qualifikation für die WM in Japan und Korea statt. Deutschland besiegte Griechenland mit 4:2. Doch damals war das Verhältnis zwischen beiden Ländern noch unbelastet. Von der späteren Krise, die Griechenland seit Ende 2009 in seinen Grundfesten erschüttert, oder gar von einem EU-Rettungsschirm, den vor allem der deutsche Steuerzahler zu finanzieren hat und der mit harten Sparauflagen verbunden ist, konnte damals niemand etwas ahnen.

Denn das Gros der Griechen verachtet das Krisenmanagement in der Eurozone und insbesondere in seinem Land als aufgebürdetes Spardiktat der Deutschen – mit verheerenden Auswirkungen für das traditionell gute Verhältnis zwischen beiden Völkern. Schon seit einiger Zeit kursieren Karikaturen in griechischen Zeitungen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Finanzminister Wolfgang Schäuble in SS-Uniform zeigen. Auch renommierte Analysten wie Georgios Delastik von der Athener Tageszeitung „Ethnos“ schreiben unverhohlen von einem „Vierten Reich“, das die Griechen unterjoche.

„Keine Frage: Die Sympathie für die Deutschen ist auf dem Tiefpunkt angelangt“, sagt dazu Prof. Thomas Maloutas, Sozialgeograph an der Athener Charokopio-Universität und Leiter des angesehenen Griechischen Nationalen Forschungsinstituts für Sozialfragen (EKKE).

So sehr sich Samaras und Co. um Gelassenheit bemühen: Die Griechen verfolgen sehr genau die Veröffentlichungen in der deutschen Presse. Griechen-Kapitän Karagounis, der für das Spiel am Freitag ist, nahm im privaten Athener Fernsehsender „Mega Channel“ kein Blatt vor den Mund: „Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen unsere Würde verletzen wollen. Dazu kann ich nur sagen: Wir stecken zwar in einer schweren Krise. Aber in Griechenland wurde die Demokratie geboren.“

Ob das gegen die Deutschen reicht? Klar ist: Gegen das Löw-Team wollen die Griechen wie die Löwen kämpfen. Gelingt den Defensiv-Spezialisten die Überraschung, dann wäre die Freude zu Füßen der Akropolis besonders groß. Zeitungshändler Kostas Stefanopoulos im nördlichen Athener Vorort Halandri trifft die Stimmung, wenn er sagt: „Auf dieses Spiel wartet ganz Griechenland. Vielleicht verlieren wir 0:5. Falls wir aber weiterkommen, dann ist hier der Teufel los.“

Voraussichtliche Aufstellung: Neuer – Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm – Khedira, Schweinsteiger - Müller, Özil, Podolski – Gomez

Mit Material von dpa, dapd und sid