Joachim Löw will nicht schon zu sehr auf mögliche Kraftproben mit Italien oder Spanien schielen. Im Fokus stehe Griechenland, eine politische Brisanz sieht er im „Heimspiel“ in Danzig nicht. Bei Özil erwartet er eine Leistungsexplosion, Schweinsteiger ist angeschlagen.

Danzig/Lwiw. Muss sich Bundestrainer Joachim Löw vor dem EM-Viertelfinale Sorgen um Mesut Özil und Bastian Schweinsteiger machen? Die beiden Stars fehlten am Dienstag beim Training der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Es ist „nichts Ernstes“, erklärte Löw am Dienstag in Danzig. Er plant fest mit den beiden Stammkräften für das Viertelfinale gegen Griechenland. Das Duo soll wie der nach dem Dänemark-Spiel ebenfalls angeschlagene Lars Bender am Mittwoch wieder mit der Mannschaft auf dem Platz stehen.

Schweinsteiger klagt über eine Reizung des Sprunggelenks, zudem musste der Mittelfeldspieler wie Özil in den Vorrundenspielen extrem viel laufen. „Er hat wahnsinnig viel getan“, äußerte Löw über die Laufarbeit von Schweinsteiger. Bei Özil rechnet er damit, dass der Spielmacher mit Beginn der K.o.-Spiele in Bestform kommen wird. „Die große Explosion Özils kommt noch, ich spüre das“, sagte Löw.

Der Bundestrainer will den Blick noch nicht zu sehr auf den möglichen Halbfinalgegner Italien oder eine neue Kraftprobe mit Welt- und Europameister Spanien richten, die es nur im Endspiel am 1. Juli in Kiew geben könnte. „Wir spielen erstmal gegen Griechenland. Was dann passieren kann, steht für mich noch in den Sternen“, sagte Löw. Die Spanier, die der Bundestrainer schon zweimal beobachtete, sind für ihn „nach wie vor der Topfavorit in diesem Turnier“.

Löw sprach von einer großen Vorfreude der Mannschaft auf das bevorstehende „Heimspiel“ in Danzig, wo die deutsche Mannschaft ihr EM-Quartier hat. „Jetzt geht es los mit den K.o.-Spielen. Diese haben einen anderen Charakter, wir sind gut gerüstet“, sagte er. Die Griechen sieht er durch den Ausfall ihres nach zwei Gelben Karten gesperrten Kapitäns Georgios Karagounis geschwächt: „Für sie ist das ein schmerzhafter Ausfall, klar.“ Abwehrspieler Holger Badstuber warnte dennoch vor Überheblichkeit: „Das wird keine leichte Aufgabe. Bei den Griechen reißt sich jeder für den anderen den A... auf.“

Eine politische Brisanz will Löw in der Partie am Freitag (20.45 Uhr/ZDF) nicht sehen. „Die Politik ist außen vor. Für uns ist das ein ganz normales Spiel. Wir sehen das rein sportlich“, sagte er. Die Bundesregierung befürwortet eine rigide Sparpolitik für das wirtschaftlich schwer angeschlagene Griechenland, was im Land des Europameisters von 2004 heftig umstritten ist. „Sie wissen ja, dass wir ein sehr gutes Verhältnis zu Angela Merkel haben. Wir haben mal die Abmachung getroffen, das sie nicht in Aufstellung und Taktik hereinredet und ich nicht in ihre politischen Statements“, erklärte Löw.

Radtour und Familienabend für Deutschlands EM-Helden

Nach Deutschlands mit drei Siegen in drei Spielen historisch bester EM-Vorrunde scheint vor dem Viertelfinale gegen Griechenland am kommenden Freitag in Danzig der Weg bis zum Titelgewinn tatsächlich vorgezeichnet. 1:0 gegen Portugal, 2:1 gegen die Niederlande und 2:1 gegen Dänemark - Ergebnisse, die beeindrucken. "Wir sind unseren Ruf als Mitfavorit erst mal gerecht geworden", sagte Thomas Müller.

Nach der Landung auf dem Boden der Tatsachen des Danziger Lech-Walesa-Flughafens wurde dann aber doch schnell deutlich, dass nicht alles Gold ist, was auf dem Statistikbogen glänzte. "Wir haben die Qualität, um weit zu kommen", sagte Abwehrrecke Mats Hummels und schränkte treffend ein: "Aber wir wissen auch, dass wir uns steigern können und steigern müssen." Das Abendblatt zeigt in den einzelnen Mannschaftsteilen auf, wo das Team schon titelreif ist - und wo noch nicht.

Torhüter

Obwohl Manuel Neuer bislang wenig geprüft wurde, konnte Münchens Keeper seinen Status als wahrscheinlich bester Torhüter der Welt untermauern. Neuer leistete sich keinen Fehler, nicht einmal eine Unsicherheit in den insgesamt 270 Spielminuten. An den beiden Gegentoren trifft ihn keine Schuld. Sein großes Plus: Durch die extreme Sicherheit, die er ausstrahlt, hilft er auch der Abwehr dabei, an Sicherheit zu gewinnen. Man weiß, dass, wenn es doch mal schiefgeht, da hinten noch der Neuer steht. Aufpassen muss er lediglich bei seinen so geliebten Ausflügen, die nicht immer notwendig scheinen.

Abwehr

Wer hätte das gedacht? Ausgerechnet die seit der WM in Südafrika immer wieder kritisierte Abwehr scheint sich zum Erfolgsgaranten zu entwickeln. Besonders Mats Hummels und Holger Badstuber in der Innenverteidigung waren kaum zu bezwingen. Auch Linksverteidiger Philipp Lahm hat nach seinem schwachen Spiel gegen Portugal immer besser in das Turnier gefunden, ist mittlerweile wieder ein echter Leistungsträger. Lediglich die Position des Rechtsverteidigers bleibt offen - allerdings nur, weil sowohl Jerome Boateng in den ersten beiden Spielen als auch Lars Bender (siehe unten) gegen Dänemark überzeugen konnten. Die Reservisten Per Mertesacker, Marcel Schmelzer und Benedikt Höwedes müssen mit der Rolle als EM-Touristen leben.

Mittelfeld

Trotz dreier Vorrundensiege muss konstatiert werden, dass ausgerechnet das Herz der deutschen Spielkultur noch nicht wie gewünscht schlägt. Sowohl im defensiven als auch im offensiven Mittelfeld müssen sich die Protagonisten steigern. Auf der sogenannten "Doppelsechs" hatten Bastian Schweinsteiger und auch Sami Khedira vor allem gegen Dänemark Schwierigkeiten, die Toni Kroos nur zu gerne ausmerzen würde. Ein Wechsel im Viertelfinale gegen die Griechen scheint aber unwahrscheinlich. Das gilt natürlich auch für Mesut Özil, der im offensiven Mittelfeld bislang überhaupt noch nicht ins Spiel gefunden hat. Der in der Rückrunde lang verletzte, aber mittlerweile wieder genesene Mario Götze wäre eine Alternative, die Löw aber nicht wagen wird. Der Kampf um den Titel, das weiß der Bundestrainer, kann nur mit einem starken Özil gewonnen werden.

Einen Wechsel könnte es gegen die defensiven Griechen dagegen auf dem linken Flügel geben. Lukas Podolski, der trotz seines Tores nicht überzeugen konnte und ohnehin eher Platz für sein Spiel braucht, droht eine Ablösung durch André Schürrle oder Marco Reus. Während Schürrle schon EM-Luft schnuppern durfte, blieb dem zuletzt formstarken Reus nur die Rolle des Reservisten. Dabei wäre der zukünftige Dortmunder auch rechts für Thomas Müller eine Alternative. Keine Einsatzchance hat Reus' zukünftiger Mannschaftskollege Ilkay Gündogan.

Sturm

Dreifach-Torschütze Mario Gomez hatte in der Vorrunde eigentlich nur einen ernst zu nehmenden Gegenspieler: Mehmet Scholl. Und obwohl der ARD-Experte mit seiner Kritik an dem Stürmer zu weit gegangen ist, hatte er zumindest im Ansatz sehr wohl recht. In einem Spiel gegen defensiv eingestellte Mannschaften wie Dänemark oder auch am Freitag Griechenland hat Gomez seine Probleme. "Die tun immer so, als hätten sie nichts mit dem Spiel zu tun und dann schlagen sie plötzlich los", charakterisiert der Münchner das Spiel der Griechen und hätte Gleiches aber auch über sich selbst sagen können. Es bleibt aber fraglich, ob der traditionell konservative Löw einen Tausch vornehmen wird und Miroslav Klose bringt.

Trainer

Wie schon bei der EM 2008 und der WM 2010 schaffte es Löw, aus der Anhäufung an hoch talentierten Einzelkämpfern ein funktionierendes Kollektiv zu formen. Selbst potenzielle Störfaktoren wie Jerome Boatengs nächtliche Verabredung mit einer C-Prominenten und Bastian Schweinsteigers eigenwilliger Kurztrip nach Capri brachten den Bundestrainer zu keinem Zeitpunkt aus der Ruhe. Löw geht unbeirrt seinen Weg, der frühestens am 1. Juli in Kiew enden soll.

Kritische Nachfragen musste sich der 52-Jährige lediglich nach dem 2:1-Sieg gegen Dänemark gefallen lassen, als das Gegentor zum zwischenzeitlichen 1:1 aus einem klassischen Coaching-Fehler heraus entstand. Wie immer hatte Löw seine Spieler bei Standards im Raum verteidigen lassen, was sich bereits bei der ersten Ecke der Dänen, als der baumlange Nicklas Bendtner plötzlich der Gegenspieler des 1,83 Meter kleinen Bender war, als Schwachpunkt herausstellte. Löw reagierte zunächst nicht, was wenig später zu einer nahezu identischen Szene führte - mit dem Unterschied, dass die Dänen diesmal ins Tor trafen. Erst in der Halbzeit reagierte Löw und ließ Bender und Hummels ihren Raum bei Standards tauschen, was zu diesem Zeitpunkt fast zu spät war.

Fazit

Deutschland war vor dem Turnier einer der Favoriten auf den Titel - und das ist immer noch so. Steigern muss sich das DFB-Team aber trotzdem, besonders im Mittelfeld, sonst ist die Löw-Mannschaft am Ende nur einer der Favoriten, die überraschend straucheln.

Mit Material von dpa und sid