Nach der Kritik von TV-Experte Mehmet Scholl trifft der deutsche Nationalstürmer gleich doppelt beim 2:1-Sieg gegen die Niederlande.

Charkow. Der zweite Sieg bei der EM war erst einige Minuten perfekt. Wieder hatte Mario Gomez getroffen, nach seinem Tor zum 1:0 gegen Portugal sogar doppelt beim 2:1-Erfolg gegen die Niederlande. Und jetzt stand der Torjäger beim ZDF vor der Kamera und sprach erstaunlich offen aus, wie brutal die vergangenen Tage nach der TV-Schelte von ARD-Experte Mehmet Scholl für ihn gewesen waren. "Das war Druck ohne Ende, auf meinen Schultern lasteten viele Hundert Kilo. Da schießt du das 1:0 gegen Portugal und denkst, du bist endlich angekommen in der Nationalmannschaft. Und dann gibt es drei Tage lang auf die Fresse. So eine Motivationsspritze brauche ich nicht. Aber die wichtigen Leute standen hinter mir, ich habe versucht, die Antwort auf dem Platz zu geben."

Und das gelang ihm eindrucksvoll. Dank seiner beiden Tore gegen den Erzrivalen benötigt das deutsche Team im abschließenden Gruppenspiel gegen Dänemark am Sonntag nur noch einen Punkt, um sicher im Viertelfinale zu stehen. Die Niederlande dagegen haben nur noch dann eine Chance aufs Weiterkommen, wenn Joachim Löws Team gegen Dänemark gewinnt.

Deutschland gegen die Niederlande. Es gibt im Weltfußball nur wenige Duelle, die schon vor dem Anpfiff eine derartige Brisanz versprechen wie dieses Nachbarschaftstreffen. Wirkliche Aufreger blieben im Vorfeld des Prestigeduells aber aus. So verzichtete Löw, erneut in adrettem weißen Hemd und grauer Stoffhose, vier Tage nach dem Auftaktsieg gegen Portugal im über 30 Grad heißen Glutofen von Charkow diesmal auf Überraschungen in der Aufstellung. Während Gomez erneut den Vorzug gegenüber Miroslav Klose erhielt, entschied sich Bondscoach Bert van Marwijk erst im letzten Moment für Ibrahim Afellay und gegen Dirk Kuyt.

Die Geschichte des Spiels sollte aber keiner der beiden Niederländer schreiben, sondern eben Gomez. Dieses Mal war es dem Torjäger der Extraklasse vorbehalten, seinem Namen bereits nach 24 Minuten alle Ehre zu machen. Mit einem seiner ersten Ballkontakte machte der Münchner Stürmer nach einem feinen Pass von Bastian Schweinsteiger genau das, was nur wenige in der Welt so gut beherrschen wie er: Annahme, kurze Drehung, Schuss und Tor. Und weil es beim ersten Mal so gut klappte, legten Schweinsteiger und Gomez nur wenig später nach: Pass in die Tiefe, kurze Annahme, Tor zum 2:0 (38.). Es waren seine Treffer 24 und 25 im 54. Länderspiel.

Noch Fragen?

Hummels Souveränität ist fast schon beängstigend

Mit diesen beiden Glanztaten zeigte Gomez die Absurdität der Diskussion um seine Person in einer Deutlichkeit auf, wie es wohl nur wenige erwartet hätten - am wenigsten wohl Scholl, der die angeblich fehlende Laufbereitschaft des Bayern-Angreifers nach dem Portugalspiel scharf kritisiert hatte. Auch gegen die Niederlande, die zu keinem Zeitpunkt des Spiels ihren gefürchteten "Voetbal totaal" zelebrieren konnten, war der 26-Jährige immer nur dann ins Spiel eingebunden, wenn es darum ging, in eine aussichtsreiche Schussposition zu kommen. Doch nach drei Toren in nur zwei Spielen gibt es keine ernst zu nehmenden Argumente mehr, die gegen den Bayern sprechen.

Allein Gomez herauszustellen würde jedoch der guten Mannschaftsleistung der DFB-Auswahl nicht gerecht werden. Die Mittelfeldachse Sami Khedira und Schweinsteiger funktionierte wesentlich besser als noch gegen Portugal, was eine der Ursachen war, warum Löws Team besonders in der ersten Hälfte sehr ansehnlichen, schnellen Kombinationsfußball zeigte. Deutlich erkennbar auch der häufige Versuch, mit vertikalen Pässen die (alles andere als hochklassige) niederländische Defensive auszuhebeln. Von der Dreierreihe hinter Gomez (Thomas Müller, Mesut Özil, Lukas Podolski) kann allerdings noch mehr erwartet werden im Laufe des Turniers.

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Und die Niederländer? Nachdem die Elftal in der ersten Hälfte kaum zum Abschluss gekommen war, reagierte van Marwijk und brachte Klaas-Jan Huntelaar und Rafael van der Vaart für seinen Schwiegersohn Mark van Bommel und Afellay. Wer jedoch geglaubt hatte, dass die Niederländer nach dem Wiederanpfiff die Partie dominieren würden, sah sich zunächst getäuscht. Über weite Strecken hatte Löws Team mehr Ballbesitz, präsentierte sich aber zu passiv im Spiel nach vorne - ein Grund waren sicher die Temperaturen.

Nach knapp einer Stunde häuften sich die Chancen der Niederländer. Erst vergaben Robin van Persie (58.), Arjen Robben (69.) und Wesley Sneider (71.) noch, doch dann glückte van Persie der Anschlusstreffer aus 17 Metern, als er Mats Hummels abschüttelte und Holger Badstuber nicht eingriff (73.).

Hatte die DFB-Elf mit der Auswechslung von Gomez einige Sekunden davor das Glück verlassen? Nein. Nur kurz schien es, als habe Deutschland die Kontrolle über das Spiel verloren. Die Schlussoffensive der am Ende frustrierten Niederländer blieb aus, genau wie ausgelassener Jubel aufseiten des Siegers. Zu viel Kraft hatte die Partie in der Hitze gekostet.

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Deutschland: Neuer - Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm - Schweinsteiger, Khedira - Müller (90.+2 L. Bender), Özil (81. Kroos), Podolski - Gomez (72. Klose). Niederlande: Stekelenburg - van der Weil, Heitinga, Mathijsen, Willems - van Bommel (46. van der Vaart), de Jong - Robben (83. Kuyt), Sneijder, Afellay (46. Huntelaar) - van Persie. Tore: 1:0 Gomez (24.), 2:0 Gomez (38.), 2:1 van Persie (73.). Schiedsrichter: Jonas Eriksson (Schweden). Zuschauer: 37 750. Gelb: Boateng (2) - de Jong, Willems.