Deutschlands 2:0-Pausenführung geriet nach der Pause noch einmal ins Wanken. Dieter Matz und Experten diskutieren die Partie hier im Video!

Charkow. Mit zwei Geniestreichen hat Mario Gomez der deutschen Nationalmannschaft das Tor zum EM-Viertelfinale weit aufgestoßen und Holland in höchste Not gebracht. Die DFB-Auswahl braucht nach ihrem 2:1 (2:0) gegen den Erzrivalen noch einen Punkt im letzten Vorrundenspiel gegen Dänemark, um als Gruppensieger sicher in der K.o.-Runde zu stehen. Die Niederländer haben trotz der Niederlage noch eine theoretische Chance, müssen dafür aber unbedingt gegen Portugal gewinnen - und auf deutsche Schützenhilfe hoffen.

„Wir haben gegen zwei Klasseteams sechs Punkte geholt, was wollen wir mehr“, sagte Gomez, dem die Genugtuung über seine Turniertreffer zwei und drei deutlich anzumerken war. „Wenn du das entscheidende Tor schießt und kriegst dann drei Tage nur auf die Fresse, dann ist das nicht schön“, sagte er in Anspielung auf die Kritik von Mehmet Scholl. „Wir haben den zweiten Schritt getan, jetzt wollen wir auch gegen Dänemark gewinnen“, sagte der starke Bastian Schweinsteiger, der Gomez beide Tore mustergültig aufgelegt hatte.

Gomez bedankte sich eindrucksvoll für das Vertrauen von Bundestrainer Joachim Löw, der dem Münchner Torjäger nach dessen Siegtreffer gegen Portugal (1:0) erneut den Vorzug vor Miroslav Klose gegeben hatte. Beim 1:0 (23.) drehte er sich elegant um die eigene Achse, beim 2:0 (38.) vollstreckte er mit einem strammen Schuss. Mats Hummels hätte kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit mit einer Doppelchance noch erhöhen können (52), stattdessen traf van Robin van Persie in der turbulenten Schlussphase (73.) für Holland. Mehr ging nicht. „Es ist noch nicht total aus“, sagte Kapitän Mark van Bommel.

Die Niederländer hatten bis zum Anschlusstreffer wie beim 0:1 im ersten Gruppenspiel gegen Dänemark enttäuscht. Bei warmen 29 Grad zu Beginn des Spiels hatten sie ein paar gute Szenen in der Anpfangsphase, in der zweiten Halbzeit häuften sich ihre Chancen: Manuel Neuer hielt zunächst prächtig gegen van Persie (58.), danach verzog Arjen Robben aus guter Position (69.), Jerome Boateng warf sich in einen Schuss Wesley Sneijders (71). Zwei Minuten später traf van Persie mit einem Flachschuss von der Strafraumgrenze - und es wurde noch mal richtig turbulent, die deutsche Abwehr geriet ins Schwimmen.

Gomez durfte sich das ab der 72. Minute zusammen mit 37.750 Zuschauern in der „Spinnen-Arena“ von draußen ansehen, Klose kam. Das Daumendrücken half. „Holland hat natürlich vorne unglaublich starke Spieler, es war nervenaufreibend“, sagte er. Deutschland hat nun 13 Pflichtspielsiege in Serie gefeiert, auch der „Fluch des zweiten Spiels“ bei EM- und WM-Endrunden (nur ein Sieg in den letzten sieben „zweiten“ Turnierspielen) ist vertrieben.

Gomez? Klose? „Ein Trainer ist kein Idiot“, hatte Löw Trainerkollege Giovanni Trapattoni zitiert - und nach den Diskussionen um die Aufstellung seine Mannschaft unverändert gelassen. Bert van Marwijk, Bondscoach der Niederlande, hatte dagegen eine Veränderung vorgenommen: Joris Mathijsen, einst Hamburger SV, jetzt FC Malaga, übernahm nach auskurierter Oberschenkelverletzung seinen angestammten Platz in der Innenverteidigung von Ron Vlaar. Das bedeutete auch: Klaas-Jan Huntelaar von Schalke 04 saß erst mal wieder nur auf der Bank, van Persie spielte zunächst allein im Angriffszentrum.

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Van Marwijk schien früh recht zu behalten. Van Persie hatte nach sechs Minuten eine gute Chance, er tauchte nach einem langen Pass des zur Halbzeit ausgewechselten van Bommel vor Torhüter Manuel Neuer auf - Neuer stand perfekt, im Gegensatz zu seinen Vorderleuten. Löw fuchtelte deshalb schon früh wild an der Seitenlinie herum. Tatsächlich war die deutsche Mannschaft in der Anfangsphase ein bisschen unsortiert, die Niederländer kamen dem Tor von Neuer ein paar Mal bedrohlich nahe. Einmal musste Boateng, der sich eine Gelbsperre für das Duell mit den Dänen einhandelte, in höchster Not klären, einmal Hummels.

Und doch hätte nicht viel gefehlt, und Deutschland wäre früh in Führung gegangen. Mesut Özil zog aus 17 Metern ab, traf nur den Pfosten, von dort fiel der Ball direkt in die Arme des bereits am Boden liegenden Maarten Stekelenburg (9.). Gut zehn Minuten später saß Robben nach einem Kopfballduell mit Holger Badstuber (20.) mit einer blutenden Platzwunde am Spielfeldrand. Er ließ sich „tackern“, spielte und blutete weiter. Nur aus der Ferne sah er dann den ersten großen Auftritt von Gomez: Nach einem Traumpass von Schweinsteiger drehte sich der Münchner bei der Ballannahme elegant um die eigene Achse, Schuss, Tor.

Badstuber hätte eine knappe Viertelstunde später fast das 2:0 erzielt: Nach einem Freistoß von Özil von der rechten Seite köpfte er den Ball jedoch in die Arme von Stekelenburg (37.). Nur eine Minute später aber jubelten die Deutschen trotzdem. Diesmal jagte Gomez den Ball aus halbrechter Position fulminant ins Netz. Löw lächelte, van Marwijk blickte ernst und reagierte. Er nahm seinen Schwiegersohn van Bommel und Ibrahim Afellay in der Pause aus der Mannschaft, brachte Rafael van der Fahrt - und auch Huntelaar.

Bei den Deutschen, angefeuert von 8000 Anhängern, lief es nach der leichten Unwucht in der Anfangsphase immer runder. Auf einmal tauchte sogar Hummels im Strafraum der Niederländer auf, konnte aber nicht den Gomez machen: Den ersten Schuss des Dortmunder Innenverteidigers wehrte Stekelenburg ab, den Nachschuss des deutschen Double-Gewinners lenkte er zur Ecke (52.). Danach aber wurde es vor Neuers Tor zunehmend turbulent, erst recht nach van Persies Anschlusstreffer. (sid/abendblatt.de)

Vor dem Spiel: Es ist angerichtet. Deutschland gegen Holland. Europameisterschaft. Welche Worte braucht es da noch? Keine. Die Emotionen schlagen vor dem Spiel hoch - eben genau so, wie es sich für einen solchen Klassiker im Vorfeld einer Europameisterschaft ziemt. Dem Nachbar aus dem Flachland droht bereits der Totalschaden, quasi "Land unter". Zwar würden die Niederländer selbst bei einer Niederlage gegen die Deutschen noch Chancen auf das Erreichen des Viertelfinales haben - die wären dann allerdings wohl nur noch theoretischer Natur.

Deutlich besser wäre die Ausgangslage bei einem Sieg für die DFB-Elf: Die Teilnahme an der Runde der letzten Acht wäre ihnen quasi nicht mehr zu nehmen. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg, das betonte man im Umfeld der Nationalmannschaft in den letzten Tagen gebetsmühlenartig. Manager Oliver Bierhoff warnte, Joachim Löw mahnte, Bastian Schweinsteiger sprach von einer Begegnung, wie es sie in dieser Qualität nicht oft gebe.

Und immer wieder war sie zu hören, diese latente Vorfreude auf den großen Auftritt am Abend. Bundestrainer Löw wollte sich lange nicht in die Karten schauen lassen, wen er denn nun in seine Startelf beordern würde. Zwei Stunden vor Anpfiff dann die offizielle Bestätigung aus DFB-Kreisen: Es sind die selben Elf wie am Sonnabend gegen Portugal. Also auch Mario Gomez und eben nicht Miroslav Klose. Und auch wieder Mats Hummels und nicht Per Mertesacker. Der Dortmunder hatte gegen die Portugiesen eindrucksvoll den Nachweis seiner internationalen Klasse erbracht.

Mindestens eine gleiche Leistung aller Deutschen wird es auch heute brauchen, um den Niederländern Paroli zu bieten.

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Die Aufstellungen

Niederlande: 1 Stekelenburg/AS Rom (29 Jahre/48 Länderspiele/0 Tore) - 2 van der Wiel/Ajax Amsterdam (24/33/0), 3 Heitinga/FC Everton (28/79/7), 4 Mathijsen/FC Malaga (32/80/3), 15 Willems/PSV Eindhoven (18/3/0) - 6 van Bommel/AC Mailand (35/78/10) (46. van der Vaart), 8 Nigel de Jong/Manchester City (27/61/1) - 11 Robben/Bayern München (28/58/17) (83. Kuyt), 10 Sneijder/Inter Mailand (28/85/24), 20 Afellay/FC Barcelona (26/39/5) (46. Huntelaar) - 16 van Persie/FC Arsenal (28/66/28). - Trainer: van Marwijk

Deutschland: 1 Neuer/Bayern München (26 Jahre/27 Länderspiele/0 Tore) - 20 Boateng/Bayern München (23/22/0), 5 Hummels/Borussia Dortmund (23/15/1), 14 Badstuber/Bayern München (23/21/1), 16 Lahm/Bayern München (28/87/4) - 7 Schweinsteiger/Bayern München (27/91/23), 6 Khedira/Real Madrid (25/28/1) - 13 Müller/Bayern München (22/28/10) (90. L. Bender), 8 Özil/Real Madrid (23/34/8) (81. Kroos), 10 Podolski/1. FC Köln (27/98/43) - 23 Gomez/Bayern München (26/53/23) (72. Klose). - Trainer: Löw

Schiedsrichter: Jonas Eriksson (Schweden)

Zuschauer: 40.000

Tore: 0:1 Gomez (24.), 0:2 Gomez (38.), 1:2 van Persie (73.)