Deutschlands Stürmer müssen an diesem Sonnabend den harten Verteidiger von Real Madrid fürchten. Doch Löw geht bei Bewertung Peps milde vor.

Lwiw. Pepe wälzte sich nach einem Foul am Boden, als es an seiner Schulter klopfte. Ohne aufzusehen trat er mit dem Fuß nach hinten aus. Er war überzeugt, Pablo Piatti, der Gegner vom FC Valencia, der ihn unsanft zu Fall gebracht hatte, tippe ihm auf die Schulter, um ihm zu sagen, er solle sich nicht so haben. Es war aber sein Mitspieler von Real Madrid, Álvaro Arbeloa. Pepe trat ihm blindlings gegen das Schienbein. So trieb der Weltklasseverteidiger mit dem Bubigesicht und der Fremdenlegionärsfrisur in jener Aprilnacht seinen Ruf slapstickartig auf die Spitze: Jetzt greift er sogar schon seine Teamkollegen tätlich an.

Pepe, vor 29 Jahren als Képler Laveran Lima Ferreira in Brasilien geboren, ist der Mann, der den deutschen Nationalspielern an diesem Sonnabend zum EM-Start in Lwiw den Schneid abkaufen soll. Bundestrainer Joachim Löw ging in seiner Bewertung des eisenharten Abwehrspielers noch milde vor. Er bezeichnete den Portugiesen als "erfahren und schlachterprobt".

Früher einmal gehörte der Spielertyp des brutalen Verteidigers zur Folklore des Fußballs. Abwehrspieler, die den Stürmer im Zweifel einfach niedertraten, galten nicht selten als Inbegriff des kleinen Mannes, der sich mit seinen Kräften wehrte. Von "der Freude zu treten", sprach Daniel Passarella, Kapitän und oberster Foulspieler der argentinischen Weltmeister von 1978. Der Spanier Andoni Goikoetxea trug in den 80er-Jahren den Namen "Schlächter von Bilbao" wie einen Ehrentitel, nachdem er Diego Maradona das Schienbein und Bernd Schuster das Knie zertreten hatte. Als Maradona nach der Heilung erstmals wieder in Bilbao vorspielte, besuchte ihn Goikoetxea wie selbstverständlich zum Kaffeeplausch im Hotel. Er habe mit dem Foul doch nur seine Rolle erfüllt.

Im modernen Spiel, in dem Verteidiger den Raum zustellen statt zu grätschen und die Schiedsrichter Fouls viel rigoroser bestrafen, scheint der Raubeinverteidiger allerdings eine aussterbende Spezies zu sein. Umso faszinierter schaut das Publikum auf Pepe, der von sich sagt: "Ich gebe meinen Leib und meine Seele." Er beherrscht die Stürmer wie kaum ein anderer Innenverteidiger. Aber sich selbst kann er zu oft nicht kontrollieren.

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Vor drei Jahren wurde er für zehn Spiele gesperrt, als er den Stürmer Francisco Casquero vom FC Getafe umstieß und wie von Sinnen auf den am Boden Liegenden eintrat. Damals war Pepe noch von sich selbst schockiert. "Ich verstehe nicht, was mit mir passiert ist", sagte er. "Das bin ich nicht."

Seit jedoch José Mourinho bei Real Madrid sein Vereinstrainer ist, lebt Pepe offenbar im Glauben, Wut sei cool. Mourinhos höchstes Lob für einen Spieler ist: "Mit ihm würde ich in den Krieg ziehen." Seitdem sprang Pepe mit gestrecktem Bein in Barcelonas Dani Alves, er trat Barças Leo Messi mit dem Stollenschuh auf die Hand, er ging einen Schiedsrichter an: "Was für ein Raub, du Hurensohn!" Real Madrids Präsidium diskutierte im Frühling offenbar darüber, ihn zu verkaufen, er sei untragbar. Die dem Verein nahestehende Sportzeitung "As" forderte gar: "Er hat im Fußball nichts zu suchen!" Doch Trainer Mourinho hielt seine Hand schützend über ihn.

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Seit Pepe öffentlich als das Böse gegeißelt wird, lässt er sich ständig fallen und täuscht hypertheatralisch vor, gefoult worden zu sein. Treibt ihn die Sehnsucht, auch einmal Opfer zu sein? Dabei ist er kein Passarella, kein Goikoetxea, kein Schlächter. Das Foul gehört nicht zu seinen prägenden Stilmitteln, sein Problem sind die Aggressionsschübe, die ihn beizeiten übermannen. Als Verteidiger ist er eigentlich der Prototyp des modernen Weltklassespielers, geistesgegenwärtig, vehement und technisch sauber, "er hat Scheren in den Beinen", sagen sie in Spanien über ihn, weil er Gegner und Ball mit einem Schnitt trennt. Seine Aggressionen hat er als junger Mann als Problem begriffen, er hat daran mit einem Sportpsychologen gearbeitet. Heute dagegen spielt er vor Partien im Hotel Videokriegsspiele wie "Call of Duty".

Nachdem er im Januar gegen Barça wieder einmal Amok gelaufen war, ging er seelenruhig durch das Stadion, begrüßte einen Journalisten mit einem strahlenden Lachen und redete ruhig über die Partie - wieder ein anderer Mensch. Die, die mit ihm im Alltag arbeiten, erleben ihn fröhlich und freundlich. Aber das ist keine wirkliche Überraschung, Widersprüchlichkeit war schon immer der markanteste Charakterzug des Menschen.

So schrieb die aufschlussreichste Analyse über den Fußballprofi Pepe auch kein Sportjournalist, sondern schon vor 150 Jahren der Dichter Fjodor Dostojewski in seinem Roman "Die Brüder Karamasow": "Ich habe mich wohl schon tausendmal über diese Fähigkeit des Menschen gewundert, das höchste Ideal neben der niedrigsten Gemeinheit in seiner Seele hegen zu können, und beides mit vollkommener Aufrichtigkeit."