Fernando Torres sorgt mit seinem Tor für den zweiten Titelgewinn der Iberer nach 1964. Löw-Team wacht zu spät auf.

Wien. Diese Stimmung, diese Vorfreude machten einfach Spaß. Zehntausende deutsche und spanische Fans hatten in der Wiener Innenstadt stundenlang zusammen gefeiert. Schade, dass es an einem solchen Tag einen Verlierer geben musste. Er hieß - leider - Deutschland. Und man muss zugeben: Dass Bundestrainer Joachim Löw, der das Turnier als "Bergtour" deklariert hatte, der letzte Anstieg auf den Gipfel verwehrt blieb, war verdient. Mit Spanien, das den zweiten Titelgewinn nach 1964 feierte, hielt die beste Mannschaft des Turniers im Ernst-Happel-Stadion den Pokal in den Händen - sie gewann alle sechs Spiele, zeigte konstant hervorragende Leistungen. Luis Aragones ist mit 69 Jahren und 338 Tagen der älteste Trainer, der einen EM-Titel gewinnen konnte.

Nachdem sich Michael Ballack fit gemeldet hatte, traten beide Mannschaften wie erwartet an: Löw vertraute dem gegen Portugal so erfolgreichen 4-2-3-1-System, Aragones nach dem Ausfall von Toptorjäger Villa auf ein 4-1-4-1-System, in dem Fabregas mit Xavi, Iniesta und Silva hinter der einzigen Spitze Torres in gewohnter Kurzpass-Manier die Bälle nach vorne tragen sollte. Dies konnte die DFB-Auswahl nur in den ersten zehn Minuten verhindern. Zielstrebig, konzentriert und mental gut eingestellt agierte die deutsche Elf und kam zu zwei Chancen: Erst verstolperte Miroslav Klose in aussichtsreicher Position, nachdem er ein schlechtes Abspiel Sergio Ramos erlaufen hatte (3.). Sechs Minuten später legte Klose auf Thomas Hitzlsperger auf, der aber aus 16 Metern an Casillas scheiterte.

Der erste Eindruck, dass die Deutschen die Partie im Griff hatten, trog jedoch. Immer besser kam die spanische Ball-Maschinerie in der Folge in Gang und setzte Angriffe, die beim Gegner wie gezielte Messerstiche schmerzten. Zunächst konnte Jens Lehmann noch Schlimmeres verhindern, als er einen Rettungsversuch von Christoph Metzelder zur Ecke klärte (14.). Kurze Zeit später musste das Glück aushelfen, als sich der überragende Torres nach einer Ramos-Flanke gegen Per Mertesacker durchsetzte und den Kopfball an den linken Pfosten setzte.

Nun beherrschte Spanien das Geschehen. So war das 1:0 weniger eine Überraschung als die Art und Weise, wie es fiel: Nicht eine der oft gesehenen Kurzpass-Stafetten führte zur Führung, sondern ein einziger Pass. Weil die DFB-Elf in der Mitte nicht geordnet stand, konnte Spielgestalter Xavi den Ball steil auf Torres spielen. Dieser lief Philipp Lahm davon, der wiederum darauf spekulierte, dass der heranstürzende Lehmann den Ball erlaufen würde. Ein Trugschluss - der Liverpool-Profi spitzelte aus 16 Metern den Ball ins Tor.

Beinahe wäre nur eine Minute später schon alles vorbei gewesen, als der stark aufspielende Iniesta Silva halbhoch völlig frei spielte, dieser aber den Ball aus kurzer Distanz weit über das Tor schoss (34.). Von der deutschen Offensive kam überhaupt nichts mehr, immer wieder rannten sich Lukas Podolski & Co fest, weil das deutsche Mittelfeld eben nicht höchsten Ansprüchen genügte. Michael Ballack konnte das Spiel nicht gestalten, Hitzlsperger fiel gegenüber den spanischen Kontrahenten deutlich ab.

Löw reagierte in der Pause, wechselte den verletzten Lahm aus und brachte Marcell Jansen, doch Chancen hatte weiter nur Spanien. Nach 58 Minuten der nächste Wechsel - Kevin Kuranyi als zweite Spitze (für Hitzlsperger). Verzweifelt ruderte Löw an der Seite mit den Armen, forderte seine Spieler auf, sich gegen die Niederlagen zu stemmen. Und tatsächlich flammte zarte Hoffnung auf: Ballacks Schuss aus 16 Metern strich am Außennetz vorbei (60.).

Deutschland kämpfte verbissen, aber Spanien hatte einfach mehr spielerische Klasse - und weiter die besseren Möglichkeiten, beispielsweise durch Ramos (67.) und Iniesta (68.). Nur weil die Iberer den Ball förmlich ins Tor tragen wollten, blieb es beim 0:1. Auf der Gegenseite pfiff Schiedsrichter Rosetti Gomez in aussichtsreicher Position zu Unrecht zurück (85.).

Deutschland verlor bei der sechsten Finalteilnahme zum dritten Mal. Schämen muss sich das Team für seinen Auftritt bei der EURO nicht. Mehr war nicht drin, vom Titel durfte nur geträumt, erwartet durfte er nicht werden. Zum Feiern am Brandenburger Tor wird den Spielern heute wohl dennoch kaum zu Mute sein.

Deutschland: Lehmann - Friedrich, Mertesacker, Metzelder, Lahm (46. Jansen) - Frings, Hitzlsperger (58. Kuranyi) - Schweinsteiger, Ballack, Podolski - Klose (79. Gomez).

Spanien: Casillas - Sergio Ramos, Marchena, Puyol, Capdevila - Senna - Iniesta, Xavi, Fabregas (63. Xabi Alonso), Silva (66. Cazorla) - Torres (78. Guiza).

Tor: 0:1 Torres (33.).

Schiedsrichter: Rosetti (Italien). Zuschauer: 51 428. Gelb: Ballack, Kuranyi - Casillas, Torres. Statistik: Torschüsse: 4/13 - Ecken: 4/7 - Fouls: 22/19 - Ballbesitz: 52/48 Prozent.

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