Die deutsche Nationalmannschaft erntet trotz vier Treffern für ihren blassen Auftritt gegen Kasachstan Pfiffe vom eigenen Publikum.

Kaiserslautern. Doch, es gab durchaus Gründe, nach dem EM-Qualifikationsspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Kasachstan von einem gelungenen Abend zu sprechen. Auf dem Betzenberg, wo Miroslav Klose Anfang der Neunziger selbst als kleiner Bub in Block 11 der Westtribüne gestanden hatte, erzielte der Nationalstürmer in seinem 107. Länderspiel beim 4:0 seine Tore 60 und 61. Nur noch sieben Treffer fehlen dem 32-Jährigen bis zur Bestmarke von Gerd Müller. 15 Punkte aus fünf Spielen bei einer Torquote von 17:1 kann kein anderes Land vorweisen, weshalb Bundestrainer Joachim Löw im April zusammen mit Manager Oliver Bierhoff nach Polen reisen wird, um Quartiere für die EURO 2012 zu begutachten. Was gab es noch Positives? Hmmh ... Philipp Lahm, Mesut Özil und Sami Khedira freuten sich, dass ihnen der Test gegen Australien (Dienstag, 20.45 Uhr) erspart bleibt, das Trio darf abreisen. Manuel Neuer war wohl zufrieden, dass er zu null spielte. Und Kaiserslauterns Vorsitzender Stefan Kuntz verbuchte eine schöne Zusatzeinnahme dank des mit 47 849 Zuschauern ausverkauften Stadions.

Also alles gut? Weit gefehlt. Die Stimmungslage bei Trainern, Spielern und vor allem Fans sprach eher dafür, dass die DFB-Auswahl 4:0 verloren hatte. Das erwartungsvolle Publikum war enttäuscht, dass ihr haushoch überlegenes Team gegen den Fußballzwerg die Bemühungen nach der ersten Hälfte einstellte und sich kaum noch Torchancen erspielte. Kein Tempo, kein Spielwitz, keine begeisternde Spielfreude, wie es noch von Löw unter der Woche eingefordert worden war. Die Kicker wiederum waren enttäuscht, dass die Zuschauer pfiffen, allen voran Bastian Schweinsteiger, der sich mit einer Orgie an Fehlpässen und seinem überheblich wirkenden Verhalten den Zorn des Volkes zugezogen hatte.

"Es war eine komische Stimmung. Wir gewinnen 4:0, sind als Tabellenerster acht Punkte vor dem Gruppenzweiten. Da wäre es bestimmt nicht in jedem Land so, dass man da ausgepfiffen wird", redete sich der Bayern-Profi in Rage. "Die Pfiffe haben sicher auch etwas mit unseren Erfolgen in der letzten Zeit zu tun. Aber was sollen wir tun? Jedes Spiel 10:0 gewinnen?" Und weiter: "Ich verstehe die Zuschauer nicht, sollen die doch mal gegen eine solche Mannschaft spielen, die 30 Meter vor dem eigenen Tor steht. Aber die wollen immer Spektakel sehen." Einen Hang zum arroganten Spiel wollte sich Schweinsteiger nicht eingestehen, der Mittelfeldspieler erklärte seine hohe Fehlerquote damit, dass gegen so defensiv eingestellte Teams häufiger mal Risikopässe gespielt werden müssten.

Dass das Publikum zwischen ehrfurchtsvoller Huldigung und vernichtender Kritik schwankt, ist für die deutsche Nationalmannschaft kein neues Phänomen. Man erinnere sich nur an das bedeutungslose Qualifikationsspiel 2009 in Hamburg gegen Finnland, als Löws Mannen beim 1:1 eine äußerst schlappe Leistung ablieferten und dafür gnadenlos mit Pfiffen abgestraft wurden. Zwei Hauptursachen sind dafür verantwortlich zu machen: Einerseits hat die DFB-Elf mit ihrem zuletzt bei der WM in Südafrika zelebrierten, erfrischenden Jugendstil die Erwartungen hochgeschraubt. Dazu bekommen die Profis die Veränderungen in der Fankultur zu spüren. Viele Besucher von Länderspielen sind als "Event-Fans" zu kennzeichnen, die sich mit einer Eintrittskarte das Recht für ein Spektakel erkaufen wollen und bei Vergnügungsentzug wenig amüsiert reagieren. Dass Spieler des FC Bayern München zu den natürlichen Feinden der Pfälzer gehören, kam für Schweinsteiger und auch Gomez erschwerend hinzu.

Sami Khedira spielt seit Juli 2010 für Real Madrid und hat eine andere Mentalität kennengelernt. "Die Menschen in Spanien leben den Fußball anders, sie unterstützen ihre Mannschaft bis zur letzten Minute, egal, wie es läuft", sagte der 23-Jährige, "ich finde es nicht fair gegenüber der Mannschaft, sie auszupfeifen. Wenn man mal einen Hänger hat, darf sie Unterstützung erwarten, wir vertreten schließlich den deutschen Fußball." Ähnlich äußerte sich auch Löw: "Ich empfinde die Pfiffe als äußerst negativ. Jeder Spieler hat einmal das Recht, nicht ganz das gewohnte Niveau zu erreichen."

Eine Datenbank der positiven Erinnerungen, so etwas besitzen viele deutsche Fans offenbar nicht, sie verfahren nach dem brutalen Leistungsprinzip.

Verloren hat deshalb am Sonnabend vor allem Schweinsteiger, aber auch die Nationalmannschaft, die es gegen Kasachstan verpasste, Imagewerbung zu betreiben. Wer gegen einen mit bemitleidenswert limitierten Mitteln ausgestatteten Gegner nach einem 3:0 zum Auslaufen übergeht, muss sich darüber nicht wundern. Verloren haben aber auch die Zuschauer, die in solch einer Begegnung 90 Minuten lang Unterhaltung auf WM-Niveau erwarteten. Fußball ist zwar Unterhaltung. Aber ohne Garantievermerk.