Sportsoziologe Dr. Markus Friederici, 41, Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Uni Hamburg

1. Hamburger Abendblatt:

Beim 4:0-Sieg gegen den krassen Außenseiter Kasachstan in der Qualifikation für die EM 2012 gab es in der zweiten Halbzeit angesichts einer sehr schwachen Leistung gellende Pfiffe der deutschen Anhänger. Sehen Sie einen Bruch zwischen Fans und Nationalteam?

Dr. Markus Friederici:

Nein. Bei dem Länderspiel in Kaiserslautern konnten wir ein Phänomen beobachten, das wir aus der Bundesliga kennen. Wenn ein kleiner Teil der Fans beginnt, Unmut offensiv zu äußern, überträgt sich dies auf andere Teile des Publikums. Diese Zuschauer fühlen sich in der Masse einfach wohl und machen mit beim Pfeifkonzert. Der Fußball hat dabei auch eine Ventilfunktion. Viele genießen es einfach, sich dann abreagieren zu können. Aber sie sind weit davon entfernt, die Nationalmannschaft grundsätzlich zu verdammen.

2. Ist die Nationalmannschaft auch Opfer des eigenen Erfolgs, der den Erwartungsdruck immer weiter steigen lässt?

Friederici:

Selbst in schwächeren Phasen war die Nationalmannschaft immer das Aushängeschild. Die Fans hier denken, dass ihr Team auf jeden Fall zur Weltspitze zählen muss. Dies hat sich jetzt noch einmal gesteigert, weil das Team hochkarätig besetzt ist und wirklich guten Fußball spielen kann. Dennoch ist diese Einstellung, dass wir immer gegen die Kleinen gewinnen müssen, rational nicht nachvollziehbar - schließlich gibt es auch im DFB-Pokal immer wieder Favoritenstürze. Es ist eher überraschend, dass dies bei Länderspielen kaum passiert.

3. Erkauft sich ein Fan mit seiner Karte das Recht zu pfeifen?

Friederici:

Emotionen gehören zum Sport. Schließlich jubelt er ja auch, wenn es gut läuft. Problematisch ist nur das Ausmaß der Erwartungshaltung. Der Sport ist letztlich unkalkulierbar. Es gibt keinen Automatismus, dass ein Ticket ein gutes Spiel garantiert.

4. Gibt es bei Länderspielen zu viele Zuschauer, die vor allem wegen des Events kommen?

Friederici:

Ich sehe eher eine Gegenbewegung. Immer mehr Fans wollen zurück zu den Wurzeln. Sie wollen kein übertriebenes Unterhaltungsprogramm, sondern zurück zum Markenkern. Und das ist nun mal der Fußball.

5. Haben die Spieler moralisch recht, wenn sie mehr Unterstützung auch in schwächeren Phasen für sich reklamieren?

Friederici:

Ökonomisch betrachtet erbringen die Spieler eine Dienstleistung, für die sie sehr hoch dotiert werden. Wird diese Dienstleistung nicht in angemessener Qualität abgeliefert, muss der Fußballer mit Negativ-Reaktionen rechnen. Der Leistungssport funktioniert nach dem simplen Prinzip von Sieg und Niederlage.