Die deutsche Nationalmannschaft reiste mit drei Torhütern und acht Feldspielern in das Trainingslager nach Sardinien.

Porto Cervo. Am Eingang des Fünf-Sterne-Hotels Romazzino flatterten allerhand Flaggen - eine schwarz-rot-goldene Flagge fehlte allerdings nach der Ankunft der kleinen Ausflugsgruppe am späten Freitagnachmittag. Im exklusiven Etablissement im Nordosten Sardiniens, wo schon das Zustellbett im Doppelzimmer über 200 Euro kostet, geht man offenbar lieber dezent mit seinen prominenten Gästen um.

26 Grad, blauer Himmel, dazu ein laues Lüftchen, das vom smaragdgrün schimmernden Mittelmeer herüberwehte: Wer mochte da an harte Arbeit glauben, die den deutschen Fußballnationalspielern bis Freitag bevorstehen soll. Zumindest denjenigen, die überhaupt die Reise auf die nach Sizilien zweitgrößte Insel Italiens antraten.

Neuer im Tor, Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm in der Abwehr, Schweinsteiger, Khedira, Müller, Özil und Podolski im Mittelfeld, dazu Klose im Sturm. Diese Mannschaft dürfte Bundestrainer Joachim Löw im Kopf haben für das erste EM-Spiel am 9. Juni gegen Portugal. Der lange verletzte Per Mertesacker in der Abwehr sowie Toni Kroos im Mittelfeld haben nur Außenseiter-Chancen. Von diesem angedachten Stammteam jedoch stieg in Frankfurt bis auf Podolski kein Spieler in den Charterflieger. Gerade einmal elf DFB-Kicker durfte Löw am Flughafen begrüßen, bevor auch er sich Richtung Berlin verabschiedete, um am Sonnabend das Pokalspiel zwischen den Bayern und Dortmund im Olympiastadion live im Stadion zu verfolgen. Erst am Sonntag fliegt er hinterher. Solch einen Start mit einem Rumpfteam in ein großes Turnier hat es in dieser Form auch noch nicht gegeben beim DFB.

Das Freizeitprogramm soll in den kommenden Tagen dennoch bescheiden ausfallen. Doch trotz aller Annehmlichkeiten auf der Hotelanlage mit Privatstrand für die Spieler und deren mitgereisten Frauen oder Freundinnen steht bei Weitem nicht nur Regeneration auf dem Programm in den ersten Tagen der selbst erklärten "Mission 2012": Gewinn des EM-Titels. Zwar kündigte Löw an, dass seine Kleingruppe sehr individuell trainieren werde, zwei Übungseinheiten auf dem nahe gelegenen Trainingsplatz werde es dennoch geben: "Die Spieler können sich auf ein intensives und umfangreiches Programm gefasst machen."

+++ Bitte keine Ausreden! +++

Erst am 25. Mai, drei Tage nach dem Freundschaftsspiel des FC Bayern München gegen die Niederlande, wird Löw seinen kompletten Kader zusammenhaben. Vier Tage später muss der Bundestrainer vier Spieler aus dem erweiterten 27-köpfigen, vorläufigen Aufgebot streichen.

Löw machte in Frankfurt klar: "Die Spieler, die als Streichkandidaten in der Öffentlichkeit gehandelt werden, haben alle eine faire Chance. Sie müssen mich in der Vorbereitung überzeugen, gnadenlos arbeiten, unbändigen Willen zeigen, dann haben sie eine Chance auf ein Ticket für den EM-Kader."

Logisch, dass den Neulingen, Torwart Marc ter Stegen (Gladbach) und Mittelfeldspieler Julian Draxler (Schalke), sowie Ilkay Gündogan (Dortmund) diese aufmunternden Worte galten, schließlich haben sie in Wahrheit nur eine minimale Chance auf eine endgültige Nominierung. Entscheiden muss sich Löw voraussichtlich auch, welchen der Bender-Zwillinge, den Leverkusener Lars oder den Dortmunder Sven, er ins Aufgebot holen wird. Ein Bruderduell um einen EM-Platz, das hat es auch noch nie gegeben.

Immerhin treffen einen Tag nach Löw auch Klose (Saisonfinale in Italien) sowie BVB-Profis am Montag ein, nicht jedoch Khedira und Özil. Löw hatte sogar noch mit Madrids Trainer José Mourinho telefoniert und um die Freigabe gebeten, doch der erklärte, der Verein habe die Angelegenheit so entschieden, da sei nichts zu machen. Beide Spieler müssten die Reise zum Freundschaftsspiel in Kuwait antreten.

Bedingt durch die vielen Ausfallzeiten der Nationalspieler muss Löws Team, das für seine akribische, detailversessene Arbeit während der Vorbereitung bekannt ist, beim Aufbauprogramm für die EM improvisieren. Zwar gleicht der Ablauf dem vor der WM 2010 in Südafrika (damals ging es nach Sizilien, später nach Südtirol), doch die für Löw so typische, gezielte Arbeit mit den Mannschaftsteilen, das Üben der Spieleröffnung, die taktischen Vorgaben in der Defensivbewegung, müssen die Spieler dieses Jahr im Schnelldurchgang absolvieren. "Wir haben eine bessere Basis als 2008 und 2010", lächelte Löw die Probleme einfach weg. Er hofft auf die inzwischen vorhandene Erfahrung. Seine Spieler haben seine Philosophie mit dem schnellen vertikalen Spiel längst verinnerlicht, die Erinnerungen daran müssen im Idealfall nur wieder reaktiviert und verfeinert werden. Beim DFB baut man außerdem darauf, dass die Nationalelf vom gestiegenen Niveau bei den Bayern und in Dortmund profitieren kann.

Treu bleibt sich der DFB in Sachen Abwechslung. Während des zweiten Trainingslagers in Südfrankreich (vom nächsten Freitag an) wird das Team voraussichtlich von einem Formel-1-Fahrer besucht, geplant ist auch ein Ausflug zum Grand Prix in Monaco (27. Mai). Vor dem Turnierstart wird außerdem ein Osteuropa-Experte die Mannschaft über Geschichte, Politik und Kultur in Polen und in der Ukraine aufklären. Denkbar ist auch ein Besuch im Konzentrationslager Auschwitz vor dem ersten Gruppenspiel.

Fehlende Spieler dieses Wochenende: Neuer, Badstuber, Boateng, Hummels, Lahm, Schmelzer, S. Bender, Götze, Gündogan, Khedira, Kroos, Müller, Özil, Schweinsteiger, Gomez, Klose.