Die 27-Jährige steht vor ihrem ersten Boxkampf, seit ihr Stiefvater sie im April 2011 mit vier Schüssen niedergeschossen hat.

Hamburg. Sie war immer ein Nervenbündel vor ihren Kämpfen, hat die Sparringsphase ebenso gehasst wie das Warten darauf, dass es losgeht. Doch in den vergangenen Wochen war da ein Gefühl, das Rola El-Halabi noch nie erlebt hatte: Vorfreude. "Obwohl es ein riesiger Stress ist, habe ich mich noch nie so auf einen Kampf gefreut wie jetzt", sagt sie. Und wer will es der im Libanon geborenen und in Ulm aufgewachsenen Profiboxerin verdenken?

Immerhin ist es viel mehr als ein Kampf, der sie an diesem Sonnabend in der Ratiopharm-Arena in ihrer Heimatstadt erwartet. Es ist das "Comeback ins Leben", so das Motto der Veranstaltung. Am 1. April 2011 wurde die 27-Jährige kurz vor ihrer WM-Titelverteidigung gegen die Bosnierin Irma Adler in Berlin von ihrem Stiefvater Roy El-Halabi in der Umkleidekabine mit vier Schüssen niedergestreckt. Sein Motiv: Er wollte die Kontrolle über seine Tochter zurückerlangen und deshalb ihre Karriere zerstören. Ihre Geschichte hat sie dem Abendblatt im Februar 2012 erzählt, als sie sich entschieden hatte, einen Comebackversuch zu wagen.

Dass es jetzt so weit ist, verdankt El-Halabi ihrer Beharrlichkeit. "Auch wenn es viele Tiefs gab, habe ich nie daran gezweifelt, dass der Tag kommen wird", sagt sie. Die Schusswunden an der rechten Schlaghand, dem linken Knie und den Füßen sind verheilt, die Schmerzen in den teils irreparablen Muskeln vergessen. Körperlich sieht sie sich auf dem Stand vom April 2011, Trainer Jürgen Grabosch bestätigt das.

Wie die Psyche mitspielen wird, bleibt abzuwarten. Rola El-Halabi, die monatelang von Albträumen geplagt wurde und bis heute sehr schreckhaft ist, die Hilfe von Experten jedoch konsequent ablehnte, kann sich nicht vorstellen, wie es sein wird, wenn sie wieder im Umkleideraum sitzt und die Bilder von damals zurückkommen. Aber sie kann sagen, worauf sie sich am meisten freut: "Auf das Publikum, auf die Menschen, die mir durch die harte Zeit geholfen haben. Ihnen möchte ich etwas zurückgeben", sagt sie. 4500 Karten für die Veranstaltung sind verkauft.

+++ Kommentar: Rola El-Halabi ist sich treu geblieben +++

Das ist vor allem deshalb wichtig, weil El-Halabi mit dem Team um ihren Verlobten Kosta das Comeback in Eigenregie veranstaltet. Sie hat eine sechsstellige Summe investiert und mit der Italienerin Lucia Morelli eine Gegnerin verpflichtet, die für jemanden, der 30 Monate nicht gekämpft hat, eigentlich zu stark ist. Und sie hat die Kooperation mit dem TV-Sender Sat.1 abgesagt, als dieser sie im Programm von Felix Sturm unterbringen wollte. Nun wird ihr Kampf, in dem es um die WM-Gürtel der WIBA und WBF geht, um 22.30 Uhr nur auf der Internetseite des Fachmagazins "Boxen heute" übertragen. "Ich wollte keine Inszenierung, sondern mit reinem Gewissen einen Kampfabend, zu dem ich stehen kann."

Gedanken an ihren Stiefvater hat sie verdrängt. "Es würde mich kaputtmachen, zu viel über das Geschehene zu grübeln, deshalb habe ich im vergangenen Jahr nie wirklich an ihn gedacht", sagt sie. Trotzdem gefällt ihr die Frage, ob sie sich wünsche, dass er im Gefängnis ihren Kampf anschaut. Dann, sagt sie, würde er endgültig wissen, dass er gescheitert ist und sie es geschafft habe, das Comeback ins Leben.