In den vergangenen Jahren sind zwölf weitere Eisschnellläufer mit erhöhten Retikulozyten-Blutwerten über drei Prozent getestet worden.

Lausanne/Berlin. Die Anhörung im Fall Claudia Pechstein hat eine brisante Erkenntnis gebracht: In den vergangenen Jahren sind zwölf weitere Eisschnellläufer mit erhöhten Retikulozyten-Blutwerten über drei Prozent getestet worden. Dies wurde bei der Anhörung zum Präzedenzfall Pechstein vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS am Donnerstag bekannt. „Das musste der Weltverband ISU auf unsere Anfrage bestätigen. Aber laut ISU interessiere nicht allein der Wert, sondern das Muster“, erklärte Pechsteins Anwalt Christian Krähe am Donnerstag in Lausanne.

Die Hoffnungen der Olympiasiegerin auf eine schnelle Wettkampf- Rückkehr hatte zuvor CAS-Generalsekretär Matthieu Reeb gedämpft, der die Möglichkeit einer Hängepartie andeutete: „Das Urteil wird einige Tage, wenn nicht sogar Wochen dauern“, sagte Reeb wenige Stunden nachdem Pechstein in weißer Bluse und schwarzer Weste erstmals vor die CAS-Richter getreten war. „Auf einer solchen Basis wie diesmal hat der CAS noch nie verhandelt“, fügte Reeb hinzu. Das Urteil sei von enormer Wichtigkeit.

Im Falle eines Freispruchs hatte Pechstein auf einen Start bei den deutschen Meisterschaften (30. Oktober) gehofft. Die Anwälte der Berlinerin gehen weiter von einem Richterspruch in der kommende Woche aus. „Wir sind ganz optimistisch“, erklärte Anwalt Simon Bergmann nach dem ersten Tag, bei dem es zwischen den fünf Experten des Eislauf-Weltverbandes ISU und den drei Gutachtern vonseiten Pechsteins und der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft DESG einen Schlagabtausch über die Möglichkeiten der körpereigenen Produktion von Retikulozyten, der Vorstufe der roten Blutkörperchen, gegeben hatte.

Die Berliner Eisschnelllauf-Olympiasiegerin ist Hauptdarstellerin im spektakulärsten Sport-Prozess des Jahres. Im edlen Chateau de Bethusy unweit des Genfer Sees versucht die 37-Jährige vor dem CAS ihre Sperre wegen auffälliger Blutwerte rückgängig zu machen. Beim zweiten Verhandlungstag am Freitag von 8.30 Uhr an wollen ihre Anwälte die Verfahrensfehler der ISUin den Mittelpunkt stellen.

DESG-Präsident Gerd Heinze bezeichnete den insgesamt fünfstündigen Auftakt als „hochwissenschaftliche Diskussion“. Die ISU sei sehr gut vorbereitet, berichtete er. Bis zur letzten Minute hatten sich Experten öffentliche Scharmützel geliefert. So sprach der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel im ARD-Hörfunk von „einer Katastrophe für die indirekte Beweisführung“, wenn Pechstein gewinnen würde und sah sich umgehend mit der Kritik des Pechstein-Managers konfrontiert. „Die Meinungen von Herrn Sörgel sind mindestens genauso schwankend wie Claudias Retikulozytenwerte“, sagte Ralf Grengel. „Ich finde ein solches Verhalten als unseriös und beschämend“, fügte er hinzu und drohte Sörgel, juristische Schritte gegen ihn zu prüfen.

Pechstein war am Vortag noch einmal mit einer Erkenntnis aus wissenschaftlichen Studien an die Öffentlichkeit gegangen, wonach die erhöhten Blutwerte von einer Hämolyse-Krankheit stammen könnten und somit nicht auf Blut-Doping zurückzuführen seien. Anders sehen das die Fachleute von der ISU, die in Lausanne durch den Vorsitzenden der Rechtskommission, dem Tschechen Gerhardt Bubnik, und Chef-Mediziner Harm Kuipers vertreten ist. „Wir vertrauen darauf, dass wir unsere Arbeit richtig gemacht haben“, sagte Kuipers.

Um viel geht es in Lausanne nicht nur für Pechstein und die ISU, sondern auch für den deutschen Verband. Im Fall der Bestätigung der Sperre drohen der DESG der Rückzug von Sponsoren und gravierende finanzielle Einschnitte. „Natürlich schweben einem die Konsequenzen für einen solchen Fall im Hinterkopf herum. Aber ich sehe auch dann keinen Image-Verlust für den Verband“, sagte Heinze. „Wir sind für Verurteilung auf Grundlage von Blutprofilen. Aber Anklagen müssen auf gesicherten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen beruhen und die individuellen Profile der Sportler berücksichtigen“, so Heinze. Neben ihm vertreten Sportdirektor Günter Schumacher, Anwalt Marius Breucker und Gutachter Wolfgang Jelkmann, Professor an der Uni Lübeck, die DESG-Interessen. Auf ISU-Antrag nicht zugelassen wurden Cheftrainer Helge Jasch und Teamarzt Gerald Lutz.

Die von der Sportwelt mit Spannung erwartete Entscheidung fällen drei Richter: Der vom CAS bestimmte Italiener Massimo Cocchia sowie die von den Streit-Gegnern ausgewählten Schweizer Stephan Netzle und Michele Bernasconi.