Einen Tag, nachdem Claudia Pechstein wegen angeblichen Blutdopings von der Eislauf-Weltverband ISU für zwei Jahre gesperrt wurde, ist die die fünfmalige Olympiasiegerin in die Offensive gegangen.

Neuss/Berlin. Der Dopingfall Claudia Pechstein erschüttert den Sport in Deutschland und bekommt auch eine weltweite Dimension. Pechstein setzte sich am Sonnabend heftig zur Wehr und weiß vorläufig sogar den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) auf ihrer Seite.

Nun soll der Internationale Sportgerichtshof CAS ein Urteil fällen, das über die Karriere von Deutschlands erfolgreichster Winterolympionikin entscheidet und in jedem Fall richtungweisend für den weltweiten Kampf gegen Doping sein wird.

„Ich habe nicht gedopt!“, sagte Pechstein im Gespräch mit dem SID und wiederholte ihre Aussagen in einem wahren Interview-Marathon, den sie am Sonnabend absolvierte. Bis ins kleinste Detail versuchte sie sich zu rechtfertigen und bemängelte vor allem die Tatsache, dass die ISU ausschließlich aufgrund von Indizien ihre „Karriere zerstört hat“.

In der Tat ist Pechstein weltweit die erste Sportlerin, die infolge der Anfang des Jahres eingeführten Blutprofil-Regel der Welt-Antidoping-Agentur (WADA) gesperrt wurde. Diese Regel besagt, dass derartige Sanktionen gegen Sportler bereits wegen Auffälligkeiten in ihrem Blutprofil ausgeprochen werden können, ohne dass ein konkreter positiver Dopingbefund vorliegt.

Die ISU verwies als Begründung für die Sperre auf „abnormale Werte und abnormale Veränderungen“ im Blut Pechsteins, festgestellt im Februar bei der Mehrkampf-WM in Hamar. Betroffen sind die Werte der Retikulozyten, der Vorstufe der roten Blutkörperchen. Pechstein hält dagegen, dass die erhöhten Werte auch in Krankheiten oder Blutanomalien, die sie nun in Eigenregie ermitteln will, ihren Ursprung haben könnten. Aufgrund eines einzelnen Blutwertes sei ein verlässlicher Doping-Nachweis nicht zu führen.

Auch der DOSB stellte sich auf Pechsteins Seite - zumindest vorläufig. „Wir sind bestürzt, aber es muss in so einem Fall die Unschuldsvermutung gelten. Er ist nicht vergleichbar mit einer positiven Probe oder dem Besitz von verbotenen Materialien wie in Turin“, sagte DOSB-Präsident Thomas Bach dem SID: „Es handelt sich jetzt um ein laufendes Verfahren. In diesem genießt der Athlet Rechte, und die gilt es zu verteidigen. Wir hoffen auf eine zügige Entscheidung, die zu einer umfassenden Aufklärung führt.“ Zuvor hatte auch der DOSB festgestellt, dass „die Beweiskraft der Indizien von namhaften Sachverständigen bezweifelt wird“.

Noch deutlicher wurde Gerd Heinze, Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG): „Ich erwarte und hoffe, dass der internationale Sportgerichtshof CAS dieses Urteil kippen wird. Hier wird nicht aufgrund von Fakten, sondern aufgrund von Indizien geurteilt. Ich bin nicht bereit, unseren Sport für so ein Experiment herzugeben. Wir werden an ihrer Seite stehen, bis Klarheit herrscht. Und für diese Klarheit wird der CAS sorgen.“

Der Verband und Pechsteins Anwälte werden nun ein beschleunigtes Verfahren beim CAS in Lausanne beantragen. Dieses muss vom CAS angenommen werden. Wann mit einem Ergebnis zu rechnen ist, ist unklar. In nicht beschleunigten Verfahren kommt das Gericht in der Regel innerhalb von vier Monaten zu einer Entscheidung. Die im Fall Pechstein ist von immenser Tragweite. Von ihr wird abhängen, ob Pechstein 2010 in Vancouver zum sechsten Mal an Olympischen Spielen teilnehmen darf und in Zukunft Sportler auch ohne Dopingbefund gesperrt werden dürfen.

Wie kompliziert die Sachlage ist, verdeutlichen Aussagen des Heidelberger Molekularbiologen und Dopingbekämpfers Werner Franke, der bei Pechstein mit Einschränkungen „sichere Zeichen“ für Epo-Missbrauch, allerdings keinen Dopingbeweis sieht. „Falls sie keine Erkrankung des blutbildenden Systems hat, zum Beispiel verschiedene Arten von Tumoren, liegen hier sichere Zeichen zur Stimulation durch Epo vor“, sagte Franke dem SID: „Ein Beweis für Doping kann dies aber nicht sein.“

Die Vorgehensweise des Eislauf-Weltverbandes verteidigte er dennoch. Wenn man bei erhöhten Hämoglobin- oder Hämatokrit-Werten Sperren ausspreche, müsse man dies auch bei erhöhten Retikulozyten-Werten tun: „Das ist nur konsequent. Der Sport kann sich nur effektiv gegen Blutdoping schützen, wenn man auch die Folgen von Blutdoping bekämpfen darf.“

Während sich Weggefährten wie ihr langjähriger Trainer Joachim Franke („Wer Claudia kennt, weiß, dass das nicht ihr Wesen ist“) schockiert zu den Anschuldigungen äußerten, begann Pechstein ihren Verteidigungskampf. Dabei brachte sie auch die ISU in Bedrängnis. Sie selbst werfe sich nur vor, sich auf einen „Kuhhandel“ mit der ISU eingelassen zu haben.

„Die ISU hat unseren Teamleiter von den erhöhten Retikulozytenwerten unterrichtet und mir geraten, den Wettkampf abzubrechen, um in Ruhe die Angelegenheit zu klären. Ich habe mich darauf eingelassen, weil ich Angst hatte, ungerechterweise als Dopingsünderin dazustehen. Heute könnte ich mich dafür backpfeifen. Meine Entscheidung im Februar war ein schwerer Fehler, für den ich mich bei meinem Fans entschuldigen will“, sagte Pechstein mit Blick auf die Vorgänge bei der Mehrkampf-WM im Februar in Hamar, die sie offiziell wegen eines Infekts nach zwei von vier Rennen abbgebrochen hatte. Die DESG war eingeweiht und machte beim Verwirrspiel mit.

In der Berliner Morgenpost kündigte Pechstein an, die ISU „auf eine riesige Summe“ zu verklagen. Hintergrund sind Pechsteins Werbeverträge. „Die beinhalten Klauseln, falls ich einen Dopingverstoß begehe. Dann sind meine Werbeverträge erledigt.“ Auch ihre Verbeamtung auf Lebenszeit bei der Bundespolizei steht auf dem Spiel: „Ich weiß, dass ich mit einem Disziplinarverfahren rechnen muss.