Tennishoffnung Angelique Kerber aus Kiel steht im Halbfinale der US Open und trifft dort auf die Australierin Samantha Stosur.

New York. Auf Platz 17 des Billie-Jean-King-Tenniszentrums hatte Angelique Kerber gerade das Break zum 4:3 im dritten, entscheidenden Satz gegen Flavia Penetta geschafft, da hielt es Mutter Beata nicht mehr auf ihrem Sitz. Fluchtartig stürmte die Mama vom neuen Showcourt am Osttor weg, das Gesicht blass und von der Anspannung gezeichnet. Die dramatischsten und glücklichsten Minuten in der Karriere ihrer Tochter erlebte sie so nicht mehr live mit, erst das hart umkämpfte 5:3-Spiel mit eigenem Aufschlag und dann, vorläufige Krönung einer wunderlichen Abenteuerreise im Big Apple, der verwandelte Matchball zum 6:4, 4:6, 6:3 - und damit den sensationellen Einzug ins Halbfinale der US Open. Gerade als Tochter Angelique auf dem Platz glückstrunken auf die Knie sank, ein paar Sekunden nach dem besiegelten Triumph, lugte ihre Mutter oben um die Ecke und brach sofort in Tränen aus: "Der Stress war unerträglich. Ich habe das nervlich nicht mehr ausgehalten", sagte die von Fans und amerikanischen Freunden umringte Mama, "ich bin so stolz auf Angelique. Sie hat so hart für diesen Erfolg kämpfen müssen."

Welch ein Coup war es für die unscheinbare Kielerin, aber welch ein sagenhafter Abschluss auch für das deutsche Damentennis in diesem Aufschwungjahr 2011: Erst die Viertelfinalteilnahmen von Frontfrau Andrea Petkovic in Melbourne und Paris, dann die märchenhafte Comebackmission von Sabine Lisicki in Wimbledon bis in die Vorschlussrunde - und nun ein Halbfinaldurchmarsch der einst talentiertesten deutschen Jugendspielerin Angelique Kerber bei New Yorks Tennisspektakel. "Angelique im Grand-Slam-Wunderland" (US Tennis), es war ohne Zweifel die verrückteste unter allen verrückten Geschichten, die Barbara Rittners Mädelstruppe in den letzten zwölf Erfolgsmonaten auf die Courts gezaubert hatte - seit jenem Moment, da Andrea Petkovic hier bei den US Open 2010 das Achtelfinale erreichte und als Leitfigur den neuen Boom auslöste.

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"Ich weiß nicht, ob ich das alles träume oder ob es wirklich wahr ist", sagte die 23-jährige Kerber, die nun an diesem Sonnabend im Duell mit Australiens Fitnesspäpstin Samantha Stosur um einen Platz im Endspiel kämpfte. Nach dem zweitägigen Regenchaos und einer Rebellion der Profis hatten die US-Organisatoren den Zeitplan für die Schlussphase des Turniers entzerrt, das Damenfinale auf Sonntag und das Herrenfinale wie in den letzten drei Jahren auf Montag verlegt. Am "Super Saturday" sollten nun alle Halbfinals stattfinden - mittendrin dann eben auch jene Angelique Kerber, die von Platz 92 der Weltrangliste aus ihren Siegeszug angetreten und die Branchenhackordnung auf den Kopf gestellt hatte.

Nach den besten Tagen ihrer Karriere, bei diesen US Open, spüre sie ein "unglaubliches Selbstbewusstsein", so Kerber, "ich traue mir einfach ganz andere Dinge zu." Die US Open wird Kerber nun mindestens als Nummer 34 der Szene verlassen - Verbesserung noch möglich.

Vier Spielerinnen sind noch in diesem Turnier: Wozniacki, die Nummer eins der Welt. Serena Williams, die haushohe Turnierfavoritin und Wozniacki-Gegnerin im Halbfinale. Dann Samantha Stosur, die robuste Australierin und letztjährige French-Open-Finalistin. Und eben Angelique Kerber, die ungesetzte Deutsche, die noch nie ein Turnier gewonnen hat, aber in der Form ihres Lebens ist. Nichts kann die mit Zuversicht aufgeladene 23-Jährige gerade beirren, nicht die zweitägige Wartepause im Regen, nicht sechs hintereinander verlorenen Spiele im Match gegen Penetta, die aus einer 6:4, 4:2-Führung ein 6:4, 4:6, 0:2 machten. "Früher", sagte Mutter Beata am Rande der Tennisbühne, "hätte sie solche Matches nie gewonnen. Aber hier ist sie eine ganz neue Spielerin."