Simon Ammann zeigte sich von den Diskussionen um seine Bindung unberührt und sprang von der Großschanze zu seinem vierten Karriere-Gold.

Whistler. Der Schweizer Skisprungtrainer Martin Künzle sprach gerade über Psychologie, als ihm ein schmächtiger Typ mit markanter weißer Retro-Sonnenbrille auf den Rücken sprang. Simon Ammann lachte, schrie, feixte, in seinem Gesicht stand das ganze Glück dieser Welt, und er hatte wahrlich keinen Grund, es sich durch irgendjemanden kaputt machen zu lassen. Als er wieder heruntergesprungen war von seinem Trainer und im benachbarten Plastikzelt über seinen vierten Olympiasieg referierte, kam er deshalb rasch zum Punkt.

Betreffend der von den Österreichern angestrengten Polemik um sein Material erklärte er: "Mit Behauptungen, dass ein einzelnes Detail einen Sprung so stark macht, sollte man vorsichtig sein." Wer am Schanzentisch so forciere wie er im ersten Durchgang bei seiner Tageshöchstweite von 144 Metern, der brauche Mut, Klasse und Selbstbewusstsein. "Das mache ich einfach besser als die Konkurrenz. Das will ich hier mal sagen."

Es war sehr gut, dass er das gesagt hat. Denn was zuletzt um die Schanzen von Whistler ablief, konnte schon ein wenig absurd erscheinen. Da erlebt ein Sport eine geschichtliche Sternstunde, den ersten Vierfacholympiasieger in Einzelspringen, einen charismatischen Athleten zumal, dessen Talent außer jeder Frage steht, der 2002 mit zwei Olympiasiegen schon ganz oben war, danach auch mal ziemlich weit unten, und der nun schließlich 2010 mit zwei weiteren Goldmedaillen den Gipfel seiner Zunft erklommen hat. Doch gesprochen wird nur über seine Bindung.

Genauer gesagt: über seine Fortentwicklung der sogenannten "Bison"-Bindung. Statt einem Band zur Befestigung wie bei herkömmlichen Produkten ("Silvretta") operiert Ammann mit einem gebogenen, verstellbaren Aluminiumstab, der es erlaubt, das Paket aus Ski, Schuh und Bindung besser zu justieren; dies ermöglicht eine horizontalere Position beim Sprung und damit mehr Auftrieb. Die Österreicher beklagten einen unfairen Wettbewerbsvorteil und erstellten nach Ammanns Sieg auf der Normalschanze am ersten Olympiatag ein Dossier mit dem Ziel, die Bindung zum Springen auf der Großschanze verbieten zu lassen. Der Protest wurde abgelehnt.

"Mich hat es erstaunt, dass es darum so einen Lärm gab", sagte Ammann, denn die Schweizer waren weder die ersten noch die einzigen, die mit diesem System experimentierten. Jedoch gehört Ammann zu den wenigen Springern, die mit Bison-Bindungen gut zurechtkommen. Ob die Bindung aber wirklich jene elfeinhalb Meter ausmacht, die Ammann vor Silbergewinner Adam Malysz (Polen) lag oder gar die fünfzehneinhalb, die er dem besten Österreicher Gregor Schlierenzauer auf dem Bronzerang abnahm? "Der entscheidende Punkt ist, dass die anderen daran geglaubt haben", sagt Künzle.

Wenigstens ein Österreicher konnte sich noch dazu durchringen, dem besten Olympiaspringer aller Zeiten nicht zu seinem Material, sondern zu seiner Qualität als Sportler zu gratulieren. "Ammann springt fast perfekt", sagte der Zehntplatzierte Wolfgang Loitzl: "Das einzig Gute für uns ist, dass die Schweizer kein Team haben."