In der Nacht zum Montag tritt Anni Friesinger über 1500 Meter an und will auf ihre alten Tage für eine Überraschung bei Olympia sorgen.

Vancouver. Ihre Schnelligkeit hatte Anni Friesinger-Postma an diesem wunderschönen Frühlingsnachmittag irgendwann dann doch wiedergefunden. Als alle Fragen beantwortet schienen, auch die unbequemen nach ihrem 14. Platz über die 1000 Meter auf dem olympischen Eisoval in Richmond, wollte sie ihren Gatten Ids Postma nicht länger warten lassen. "Der hat bestimmt schon zigmal angerufen", hoffte sie, "ich muss unbedingt nach meinem Handy schauen." Die Geschwindigkeit, mit der sie plötzlich um die Ecke Richtung Umkleidekabine glitt, meinten Spötter, hätte zuvor vielleicht für eine bessere Platzierung gereicht.

Vier olympische Medaillen hat die 16-malige Eisschnelllauf-Weltmeisterin Anni Friesinger bislang gewonnen, zwei goldene und zwei bronzene, die fünfte, egal welcher Farbe, sollte ihrer Karriere ein letztes Ausrufezeichen setzen. Dass sie nach Verletzungen und Krankheiten dafür beim Sieg der kanadischen Weltmeisterin Christine Nesbitt ihr mit Abstand schlechtestes Olympiaresultat in Kauf genommen hat, spricht für den Sportsgeist der 33-Jährigen. Es falschen Ehrgeiz zu nennen, mit einem lädierten Knie und großem Trainingsrückstand in den härtesten Wettkampf der Saison zu gehen, würde ihrem Charakter nicht gerecht. Nur Pakete gibt man auf, hat sie einmal gesagt, und wer mehr als 20 Jahre lang für den Erfolg geschuftet hat, der fällt nicht beim ersten Gegenwind um. Athleten wie sie glauben immer an ihre Chance, und sei sie auch noch so klein. Auf Erfahrung berufen sie sich dann, auf dieses Wundermittel, das körperliche Defizite manchmal kompensieren kann.

Es gab ja immer wieder diese Hoffnung, dass es noch klappen könnte mit einem exzellenten Lauf über jene brutalen 1000 Meter, die beides verlangen, Explosivität und Ausdauer. Eine mörderische Strecke für eine, die nicht fit ist. Das Knie aber schien zu halten, die Form wurde besser, und ihr Trainer Gianni Romme meinte, sie sei wieder in der Verfassung, mit den Besten mithalten zu können: "Ob dann bei diesem Weltklassefeld ein erster oder achter Platz herausspringt, sei dahingestellt." Es wurde, wie gesagt, der 14.

99 Hundertstelsekunden fehlten Friesinger am Ende für eine Medaille. Wie viel Zeit sie bei ihrem Ausrutscher nach 250 Metern verloren hatte, der sie fast aus der Bahn geworfen hätte, wird Spekulation bleiben müssen. Natürlich hatte sie danach ihren Rhythmus verloren, sie musste Tritt nach dem Fehltritt fassen, neue Kräfte mobilisieren, auch mentale. Aber Friesinger war weit davon entfernt, aus dem Missgeschick eine Legende zu stricken. Vielmehr suchte sie nach Erklärungen. "Die Feinkoordination stimmt noch nicht, die frühere Stabilität fehlt mir. Das ist sicherlich die Folge davon, dass ich in dieser Saison nicht ausreichend trainieren konnte."

Anni Friesinger wird bei diesen Olympischen Spielen noch einmal an die Startlinie gehen, in der Nacht zum Montag gegen ein Uhr über die 1500 Meter. Die lägen ihr, sagt sie, bei ihrem momentanen Zustand besser als die 1000. Es könnte ihr letztes großes Einzelrennen werden, der Schlussspurt einer Karriere. "Bei Olympia", sagt sie, "gibt es immer wieder Überraschungen. Warum soll ich auf meine alten Tage nicht auch für eine gut sein?" Kampfgeist klingt wohl so. Ob ihr Mann sie dann von der Tribüne aus anfeuern wird, weiß sie nicht. Sie hofft es. "Ich lasse mich überraschen." Ids Postma, der Eisschnelllauf-Olympiasieger von 1998 über 1000 Meter, ist Landwirt. Rund 300 Milchkühe hat er auf seinem Hof im friesischen Deersum zu versorgen. Klaus Kärcher, Friesingers Manager, hat dennoch für ihn einen Flug nach Kanada gebucht. "Das ist doch keine Weltreise", hat Kärcher ihm gesagt. Na ja, eine halbe schon.