Jenny Wolf ist die Favoritin über die 500 Meter. Als Kopfmensch hat sie diese wichtigsten Rennen ihrer Karriere akribisch vorbereitet.

Vancouver. Jenny Wolf ist in Vancouver angekommen. Gelandet war sie schon vor zehn Tagen, "inzwischen aber stimmt alles. Mein Körper hat sich an die neun Stunden Zeitumstellung gewöhnt. Jetzt bin ich entspannt und bereit", sagt die Berlinerin. Das muss sie auch. Heute (1. Lauf 22 Uhr, 2. Lauf 24 Uhr) fällt der Startschuss zu den 500 Metern der Eisschnellläuferinnen. Alles andere als Gold, hat sie immer wieder betont, wäre für sie, die Weltrekordlerin über diese Strecke, eine Enttäuschung.

Jenny Wolf (31) ist ein Kopfmensch. Sie hat ein Literaturstudium abgeschlossen und vor drei Semestern an der Fachhochschule eins der Betriebswirtschaft angefangen, "weil ich mehr über die Abläufe in der Arbeitswelt erfahren will". Sie sagt, sie suche immer nach Erklärungen. "Wie soll man verantwortlich handeln, wie soll man sich zu einer Sache bekennen, wenn man die Zusammenhänge nicht versteht?"

Es passt zu ihr, dass sich ihre Beziehung zu den Olympischen Spielen gewandelt hat. Vancouver sind ihre dritten, "und da siehst du vieles nicht mehr so verklärt wie bei deiner ersten Teilnahme". 2002 in Salt Lake City "ging ein Traum in Erfüllung", heute fragt sie sich manchmal schon, wem Olympia wirklich dient, den Sportlern oder dem Kommerz. Andererseits hätte sie ihren Sport vielleicht nicht auf diesem hohen Niveau betreiben können, wenn es Olympia und die damit zusammenhängenden Strukturen nicht gäbe.

Dass insgesamt vier Weltmeistertitel das öffentliche Interesse an ihrer Person gesteigert haben, hat Jenny Wolf registriert, wohlwollend sogar. Wenn sie jedoch in Vancouver erleben muss, wie Kameraleute und Reporter sich nach dem Training auf Anni Friesinger stürzen und sie dafür mitten in ihrer Antwort stehen lassen, trifft sie diese Art mangelnden Respekts. Das ist ihr anzusehen. Sie sagt aber: "Ich habe bei Olympia noch keine Medaille gewonnen, ich muss erst das leisten, was andere geleistet haben."

Wolf war keine Schnellstarterin. Auf dem Eis zwar auf den ersten 100 Metern, ihre Karriere indes nahm nur langsam Fahrt auf. Zehnte bei Olympia 2002, Sechste 2006 in Turin, jetzt in Vancouver ist sie die Favoritin über die 500 Meter. "Es ist ein großer Vorteil für mich, dass sich in meiner Laufbahn alles Schritt für Schritt entwickelt hat", sagt sie, "das hat mir die nötige Sicherheit gegeben, wenn es kleine Rückschläge gab. Ich wusste dann, wie ich zu reagieren habe." In Richmond ist sie in den vergangenen Tagen im Training wieder die schnellste Zeit aller Konkurrentinnen gelaufen, 37,91 Sekunden, gerade mal 19 Hundertstel über ihrem Bahnrekord. Wie ihre Leistung einzuordnen sei, kann sie nur mutmaßen. Die Chinesin Wang Beixing, sie lebt seit einigen Jahren in Vancouver, und die Südkoreanerin Lee Sang-Hwa versteckten sich bislang. Beide haben wie Wolf das Potenzial, eine Zeit um die 37 Sekunden zu laufen.

Mit wissenschaftlicher und ärztlicher Hilfe hat Wolf in der Olympiasaison alle Eventualitäten auszuschalten versucht, fast generalstabsmäßig sei sie dabei vorgegangen. Dabei hat sie für Generäle wenig übrig. Die Bundeswehr war ihr lange suspekt. Ihrem Lebensgefährten, einem Hauptmann, gelang es, dass sie inzwischen einen gewissen Grad Verständnis für die Aufgaben einer Armee aufbringt. Nach Olympia wird geheiratet.

Doch zuvor stehen diese zweimal 500 Meter an. Während Wolf in Vancouver nur einmal zur Dopingkontrolle musste, war zu hören, dass die Chinesin und die Südkoreanerin mehrmals getestet wurden. Auch ihre Proben waren negativ, beide scheinen jedoch nicht über jeden Verdacht erhaben. Wer öfter in kurzen Zeitabständen zum Wasserlassen gebeten wird, ist in den Fokus der Zielfahnder geraten. Das weitgehende Desinteresse an ihrer Person kann Wolf in diesem Fall nur positiv sehen: "Bei mir ist offensichtlich alles in Ordnung. Das ist doch ein beruhigendes Gefühl." Und das braucht sie für die wichtigsten Rennen ihrer Karriere.