Der Streit um das Sturmflut-Denkmal am Lühesperrwerk weckt bei den Menschen im Alten Land Erinnerungen an den Februar 1962.

Landkreis Stade. Auf dem Papier ist es fast 50 Jahre her. In den Köpfen vieler Menschen hingegen ist die Sturmflut des Februars 1962 noch immer sehr präsent. Die Diskussion um das neue Lühesperrwerk und den Abriss des Denkmals für die Flutopfer sorgt dafür, dass das Thema urplötzlich wieder auf der Tagesordnung steht.

Nachdem bei der schweren Sturmflut am 16. und 17. Februar 1962 im Alten Land mehrere Deiche gebrochen waren, wurde das alte Lühesperrwerk in Jork-Höhen durch ein modernes Sperrwerk ersetzt. Von 1964 bis 1967 wurde es an der Lühemündung im Zuge der Vordeichung in die neue Elbdeichlinie integriert.

Mit seinerzeit üblicher "Kunst am Bau" wurde das Steuerhaus für die zugehörige Klappbrücke und Fluttore mit einer zeitgenössisch, charakteristischen Betonstele versehen. Sie sollte fortan an die Februarflut und ihre Opfer erinnern. Doch nun soll das alte Sperrwerksgebäude abgerissen werden und die Stele wird zum Streitobjekt.

"Wenn ich Gästeführungen mache, spüre ich die Ergriffenheit der Menschen, wenn ich von der Flutnacht berichte", sagt Rolf-Dietrich Wahlen aus Grünendeich. Wenige Meter links und rechts seines Elternhauses in Jork-Höhen brach der Lühedeich an zwei Stellen, gewaltige Wassermassen ergossen sich durch die etwa 80 bis 100 Meter breite Lücke über die Höfe in Richtung Ladekop und Dammhausen. Häuser seien teilweise regelrecht weggerissen worden. Ein Nachbar war in dieser bitterkalten Sturmnacht vor dem Wasser auf einen Baum geflüchtet. Zwölf Stunden habe er sich dort festgeklammert, ehe er von Soldaten der Bundeswehr gerettet werden konnte, so der Altländer.

"In jener Nacht klopfte unser Nachbar Willi Dunker ans Fenster und warnte meinen Vater, dass der Wasserstand bedrohlich steigt", erinnert sich Wahlen, der damals 13 Jahre alt war. Mutter und Großmutter, sein kleiner Bruder und er selbst wurden vom Vater zu Verwandten nach Horneburg in Sicherheit gebracht. "Wie alle Männer ging auch mein Vater zurück, um den Deich zu verteidigen. "In Mittelnkirchen kam ihm dann schon das Wasser entgegen", sagt Wahlen. Das Wasser war erst über die Deichkrone getreten, hatte dann die Wurzeln der Kirschbäume auf dem Deich unterspült und dann die Erde weggebrochen, so Wahlen. "Am Tag nach der Flut setzte klirrender Frost ein und man konnte mit Schlittschuhen vom Alten Land bis Horneburg kommen, was wir Kinder natürlich interessant fanden." Für ihn als Zeitzeugen der Flut erinnert die Stele am Sperrwerk an die Katastrophe. "Vielleicht gelingt es, sie zu retten und an einem passenden Platz aufzustellen", sagt Wahlen.

Heiner Schlichtmann, Bürgermeister in Mittelnkirchen, würde die Erinnerungen nicht allein an ein Betonbild hängen, das kostenintensiv erhalten werden müsste. "Wenn die Menschen darüber sprechen, bleibt alles lebendig", sagt der Mittelnkirchener. "In der Flutnacht kam ich mit meiner damaligen Verlobten von einer Reise und man wollte uns gar nicht mehr ins Alte Land lassen. Es kostete viel Überredungskunst, dass wir noch bis zu meinem Elternhaus in Mittelnkirchen, direkt am Lühedeich, durften", sagt Schlichtmann. "Ich war damals 24 Jahre alt und habe mich dann sofort zur Hilfe in der schwer betroffenen Dritten Meile, in Neuenfelde einteilen lassen", erinnert sich Schlichtmann. "Wir haben zu Hause so viel Glück gehabt, dass das Wasser nur in den Kellern stand, dass es selbstverständlich war, dort zu helfen, wo die Situation katastrophal war."

Auch sein Amtskollege Hans Gosch, Bürgermeister in Guderhandviertel, hat noch bewegte Bilder in Erinnerung, wenn er von der Flutnacht spricht.

"Das Wasser der Elbe stieg schon am Nachmittag des 16. Februar. Ich war 19 Jahre alt, kam mit der Elbfähre in Lühe an und es stürmte gewaltig", sagt Gosch. Die Feuerwehr Steinkirchen hielt gerade ihre Jahreshauptversammlung in der "Schönen Fernsicht" ab, als der Großalarm kam. Frauen und Kinder wurden auf die Geest in Sicherheit gebracht. "Gegen 23 Uhr trat die Flut über den Elbdeich, dann stieg das Wasser bei Grünendeich plötzlich nicht mehr so stark. Ein Zeichen, dass der Deich irgendwo gebrochen sein musste. Das war, wie wir am nächsten Tag erfuhren in der Zweiten Meile an der Lüheschleife, hinter dem Gasthaus Sofa-Stubbe", sagt Gosch, der, wie fast alle Männer im Alten Land, mit Sandsäcken die Deiche verteidigte.

Was sind Ihre Erinnerungen an die Februarflut von 1962? Rufen Sie uns an, am besten heute von 11 bis 14 Uhr unter 040/701 03 27 12 oder schicken Sie eine E-Mail an stade@abendblatt.de unter dem Stichwort "Flut".