Der Wulff-Nachfolger muss gleich nach seinem Amtsantritt als Niedersachsens Regierungschef große Probleme anpacken.

Hannover. Auf die sonst übliche Schonfrist von 100 Tagen kann er nicht rechnen: Morgen, am 1. Juli, soll der niedersächsische Landtag den 39-jährigen David McAllister (CDU) als Nachfolger von Christian Wulff zum Ministerpräsidenten wählen, wenn der heute zum Staatsoberhaupt gekürt wird. Nur vier Tage später hebt der dann jüngste deutsche Ministerpräsident ab - Richtung China. Dort wartet schon eine hochrangige Delegation aus Niedersachsen darauf, dass der neue Regierungschef eine seiner vielen Aufgaben gutmacht und Türöffner für die Industrie spielt.

Dass der Rechtsanwalt McAllister im neuen Amt auf dem Teppich bleiben wird, dafür sorgt schon die Wirtschaftskrise. Auf Anfang August verschoben ist die Kabinettsklausur, auf der bittere Sparbeschlüsse anstehen. Ähnlich wie Schleswig-Holstein ist auch in Niedersachsen mit massenhaften Protesten zu rechnen, falls das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr und Lehrerstellen gestrichen werden, der Polizeibereich bluten muss. McAllister schlüpft nicht nur in die großen Schuhe seines Vorgängers, er übernimmt auch eine rekordverdächtig hohe Neuverschuldung und die undankbare Aufgabe, Wahlversprechen seines Vorgängers einkassieren zu müssen. Da wird er umgehend Autorität beweisen müssen.

Vor wenigen Tagen haben drei CDU-Abgeordnete aus der Region Braunschweig öffentlich Front gemacht gegen Einsparmaßnahmen bei der dortigen Landesbehörde für Geoinformation, und der CDU-Landesverband Oldenburg stemmt sich gegen Änderungen in der Kommunalverfassung, wie sie das Kabinett beschlossen hat - das sind ungewöhnliche Vorgänge in der Niedersachsen-CDU, bislang wurden solche Konflikte hinter verschlossener Tür beigelegt.

In seiner Regierungserklärung noch am 1. Juli wird McAllister zu den Einschnitten wohl nur auf die noch ausstehende Sparklausur verweisen und sich optimistisch in die Tradition seines Vorgängers stellen. Tatsächlich ist Niedersachsen bislang deutlich besser durch die Krise gekommen als der Durchschnitt der Bundesländer. Freund und Feind im Landtag warten aber gespannt vor allem darauf, ob der neue Regierungschef nicht nur den Türöffner in China gibt, sondern inhaltlich neue Türen im eigenen Land aufstößt, sich so auch ein Stück weit von Wulff abgrenzt.

Seit gestern ist klar: Wulff wird am Donnerstag nicht als Ehrengast in den Landtag kommen, wenn über seine Nachfolge entschieden wird. Anders aber als die Bundespräsidentenwahl am 30. Juni verspricht die Wahl des neuen Ministerpräsidenten wenig Spannung. CDU und FDP verfügen im Landtag über eine solide Mehrheit von 81 der insgesamt 152 Mandate. Und der Deutsch-Schotte McAllister ist in der Koalition unangefochten wegen seiner Sachkenntnis und auch wegen seiner zupackend-hemdsärmeligen Art. Dass er mit geliehener Macht regieren wird - die Wahl 2008 hat schließlich Wulff gewonnen -, wird McAllister nicht als Belastung empfinden. Ihm macht, seit er 1998 in den Landtag kam, Politik sichtlich Spaß, aber er ist alles andere als ein Spaßpolitiker.

Er findet Probleme vor, vor allem die Dauerbaustelle Bildungspolitik. Angesichts rückläufiger Schülerzahlen haben sich Ende vergangenen Jahres mit Hans-Heinrich Ehlen (Agrar) und Mechthild Ross-Luttmann (Soziales) gleich zwei Landesminister der CDU gegen die Parteilinie für die Gründung einer Gesamtschule ausgesprochen. Anders seien künftig wohnortnahe Schulstandorte kaum machbar, sagten sie. Mit dem Festhalten am dreigliedrigen System aus Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien steht Niedersachsen zumindest in Norddeutschland inzwischen alleine da.

Erwartet wird, dass McAllister einen deutlicheren Akzent in der Umweltpolitik setzt, vielleicht sogar auf Distanz zum geplanten Endlager Gorleben geht. Bei einem Spaziergang um den Maschsee in Hannover, so hat es der Ministerpräsidentenkandidat verraten, habe er Teile seiner Regierungserklärung in ein Diktiergerät gesprochen.

Der SPD-Fraktionschef Stefan Schostok sieht McAllister erst einmal allein zu Hause: "Ich habe das Bild von einem einsamen McAllister, der angesichts einer gestandenen Ministerriege um seine Position als Chef kämpfen muss." Schostok ist mit Blick auf die Regierungserklärung neugierig: "Ich bin gespannt, ob er gestalten will."

Linken-Fraktionschef Manfred Sohn glaubt das nicht: "Vermutlich geht es in Niedersachsen so unsozial und ideenlos weiter wie bisher. David McAllister ist ein Mann, der Politik wie eine Unterhaltungssendung betreibt."

Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel sieht McAllister in einer "Statistenrolle", weil Wulff seinen Stuhl in Hannover nur räumen will, wenn er auch zum Bundespräsidenten gewählt wird. Ob der neue Regierungschef die Probleme wirklich anpacken wird, hält Wenzel für offen: "In den vergangenen zweieinhalb Jahren hatten weder Wulff noch McAllister die Kraft zur Gestaltung."