Christian Wulff oder Joachim Gauck - auch 26 Hamburger wählen heute im Reichstag den neuen Bundespräsidenten

Berlin. Es ist ein Duell, das Deutschland elektrisiert: Heute Nachmittag wird in der Bundesversammlung in Berlin der neue Bundespräsident gewählt. Die Regierungskoalition hat den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) aufgestellt, die rot-grüne Opposition den parteilosen Theologen und früheren Leiter der Stasi-Akten-Behörde, Joachim Gauck. Nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen gilt die Wahl auch als Test für die Stabilität des schwarz-gelben Bündnisses. Die Koalition verfügt über 644 Stimmen - 21 mehr als die absolute Mehrheit. Die Wahl ist geheim. Vier FDP-Politiker haben bereits angekündigt, statt Wulff Gauck ihre Stimme geben zu wollen.

Die Spitzen von Union und FDP wollten gestern nicht ausschließen, dass Wulff erst im dritten Wahlgang, wenn die einfache Mehrheit zählt, gewählt werden könnte. Aber auch für den unwahrscheinlichen Fall einer Niederlage Wulffs gegen Gauck wurde in der Regierung ein Auseinanderbrechen der Koalition ausgeschlossen. Aus der SPD-Führung hieß es, man freue sich über die große öffentliche Zustimmung für Gauck, rechne aber nicht mit seinem Erfolg. Neben Gauck und Wulff treten die frühere Fernsehjournalistin Luc Jochimsen für die Linkspartei und der Liedermacher Frank Rennicke für die NPD an. Beide sind chancenlos.

Die Stimmung in der Regierungskoalition wurde gestern durch einen Streit im Koalitionsausschuss um den künftigen Kurs in der Steuerpolitik überschattet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warf FDP-Generalsekretär Christian Lindner vor, neue Unruhe in die Koalition gebracht zu haben, weil dieser die Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen als "Fehler" bezeichnete. Dazu kamen die sinkenden Umfragewerte der FDP, die im "Stern"/RTL-Wahltrend bei der Sonntagsfrage nur noch auf vier Prozent kam. Damit würde sie derzeit nicht mehr in den Bundestag kommen.

Trotz der Zwistigkeiten im schwarz-gelben Lager hat Joachim Gauck nach Meinung der politischen Beobachter nur dann eine Chance, wenn im dritten Wahlgang auch zahlreiche Wahlleute der Linkspartei für ihn stimmen. Dies gilt wegen großer inhaltlicher Differenzen, insbesondere hinsichtlich der Einschätzung des DDR-Unrechts, als unwahrscheinlich. Die Linke will über ihr Verhalten in einem möglichen dritten Wahlgang jedoch erst kurzfristig entscheiden. Bei einem Treffen Gaucks mit Mitgliedern der Linken-Fraktion blieben sich gestern beide Seiten fremd. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte, die Nominierung Gaucks sei auf jeden Fall "ein großer politischer Erfolg". Er habe in kurzer Zeit "Begeisterung und Aufbruchstimmung" ausgelöst.

Wulff warb gestern bei den Wahlleuten von Union und FDP erneut um Unterstützung. Wenn er gewählt wird, will er gegenüber Niedersachsens Landtagspräsidenten Hermann Dinkla (CDU) sofort seinen Rücktritt als Regierungschef erklären und die Geschäfte vorübergehend seinem Stellvertreter, Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP), übergeben.

Der Tag der Entscheidung beginnt um 9 Uhr mit einem ökumenischen Gottesdienst in der St.-Hedwigs-Kathedrale. Um 11 Uhr steht in den Fraktionen ein letzter Zählappell an. Um 12 Uhr beginnt die 14. Bundesversammlung mit 1244 Delegierten aus Bund und Ländern - 26 davon stellt Hamburg. Um 14.30 Uhr rechnen Beobachter mit dem Ergebnis des ersten Wahlgangs. Alle großen Sender übertragen live.