Viele Kinderkrankheiten gelten als harmlos. Doch Mediziner warnen vor verhängnisvollen Folgen. Was in den USA selbstverständlich ist, braucht hier vielleicht noch Jahre: eine wirksame Vorbeugung.

Soll ich mein Kind impfen lassen - welche Impfung ist unbedingt nötig?" Für viele Eltern ist das eine Gewissensfrage. Für die meisten Mediziner dagegen ein klarer Fall. "Die von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen sind sinnvoll", sagt Kinderarzt Dr. Michael Zinke (61). Das Risiko einer Schädigung durch eine Impfung sei deutlich geringer als die Risiken der Krankheit. "Der kleine ,Piks' schützt Leben", sagt Zinke. Impfgegner streuen ihre Argumente im Internet und über Schriften und Bücher. Sie meinen, das Erleben von Krankheiten gehört zur seelischen Entwicklung des Kindes. Doch im Ernstfall können diese Krankheiten lebensgefährlich sein - Kinderlähmung, Masern, Mumps, Röteln, Hepatitis B. "Der einzig wirksame Schutz ist die Impfung", sagt Zinke, der auch Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Hamburg ist. Das Ziel der Impfspezialisten: Diese Krankheiten, an denen jedes Jahr weltweit Tausende sterben, zu besiegen. Statistisch kommt es unter 1000 Masernkranken zu einer Gehirnentzündung mit Todesfolge oder bleibenden Schäden. Bei einer Masernepidemie in Italien mit 6000 Infizierten gab es kürzlich drei Tote. Zinke: "Masern fürchten wir wie die Pest." Weit häufiger sind Masern Auslöser für Mittelohrentzündungen und andere Krankheiten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will bis 2007 die Masern ausrotten, das aber "schaffen wir nur mit enormer Anstrengung", so Zinke. Die USA sind masernfrei. Jugendliche, die ein Jahr zum Austausch dorthin reisen, müssen einen Impfschutz vorweisen. Zinke: "Wenn in den Staaten Masernfälle auftreten, kommen sie aus Japan oder Deutschland." Für ihn ist die Rechnung einfach. Auf eine Million Impfungen gebe es eine Komplikation, "aber von 1000 Erkrankten stirbt oder trägt einer bleibende Schäden davon." Zinke, seit 26 Jahren niedergelassener Kinder- und Jugendarzt in Hamburg: "Ich habe in meiner Praxis nach einer Masernimpfung noch nie eine schwere Komplikation gehabt." Leichte Reaktionen wie Unwohlsein oder eine Rötung an der Impfstelle verschwinden binnen Stunden. Manchmal reagieren Geimpfte mit Fieber. Zinke: "Dann helfen Zäpfchen." 1200 Ärzte in Deutschland sind vereint im Kampf gegen Masern: Sie melden jeden Fall an das Robert-Koch-Institut in Berlin, das nachforscht, wo die Unterart herkommt. Die letzte starke Verbreitung gab es 2002 in Coburg. Zinke: "Dort gab es eine Kampagne gegen das Impfen." Er verweist auf historische Erfolge: "Pocken sind durch Impfung ausgerottet worden. Kinderlähmung gibt es nur noch in Indien und Afrika." Neue Viren und Bakterien "machen uns das Leben schwer, ob Legionellen, Aids-Viren, Ebola-Erreger". Gegen sie gibt es noch keine Impfung. Deshalb sei es unverantwortlich, auf die Eindämmung bekämpfbarer Krankheiten zu verzichten. Ein Piks schützt gegen bis zu sechs Krankheiten. Moderne Impfstoffe sind kombiniert, wie bei der Erstimpfung im zweiten bis dritten Lebensmonat gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Polio (Kinderlähmung), Hepatitis B und Meningitis (HIB, Hirnhautentzündung). Warum so früh? Zinke: "Keuchhusten und Meningitis können Neugeborene vom ersten Tag an bekommen. Gegen andere Ansteckungen sind sie meist immun." Die Gefahr: Keuchhusten tritt oft nicht mit typischen Symptomen auf. Wenn er erkannt wird, kann es zu spät sein. Zinke: "Auch plötzlicher Kindstod kann durch Keuchhusten ausgelöst werden." Erst seit sechs Jahren gibt es eine Impfung gegen Hepatitis B, die unter Jugendlichen bei zehn Prozent chronisch verläuft, das heißt, die Infizierten bleiben ein Leben lang ansteckend. Der Impfschutz hält 15 Jahre - bis zur Auffrischung. In Einzelfällen empfehlen die Ärzte weitere Impfungen, so gegen Pneumokokken, Erreger von schwerer Lungen- und Hirnhautentzündung, für Kinder mit Risiken wie Asthma, Diabetes, Herzerkrankungen. In den USA sind diese Impfungen weit verbreitet. Der Schutz gegen Kinderlähmung, Tetanus und Diphtherie sollte alle zehn Jahre erneuert werden. Nur 35 bis 40 Prozent der Erwachsenen haben einen Diphtherie- und Tetanusschutz. Sinkt die Impfrate, steige die Gefahr "kleiner Epidemien", so Zinke. Ein Auslöser: der Tourismus. Zuletzt traten in St. Petersburg Diphtheriefälle auf. Impfstoffe werden ständig verbessert. Seit der Zellkern des Keuchhustenerregers aus dem Serum entfernt wurde, sank die Zahl der unangenehmen Begleiterscheinungen. Trotz Impfung bleiben viele Krankheiten im Kindesalter. Typisch: die Windpocken. Zinke: "Sie sind in der Regel harmlos, doch Jugendliche über zwölf Jahren sind oft zwei Wochen schwer krank mit hohem Fieber." Einen Impfstoff gibt es. Deutschland werde in zwei bis drei Jahren dem Beispiel USA folgen, wo die Impfung seit 1996 empfohlen wird. "Deutschland hinkt beim Impfen dem Fortschritt hinterher."