Allergien: Fast jedes dritte Kind ist betroffen. Der Verdacht: Übertriebene Hygiene ist eine der Ursachen.

Die Augen tränen, die Haut juckt, das Atmen fällt schwer - Allergien und Asthma haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu Volkskrankheiten unter Kindern und Jugendlichen entwickelt. "Fast jedes dritte Kind hat eine Allergie - Asthma, Heuschnupfen oder Neurodermitis oder sogar in Kombination, Tendenz steigend", sagt Prof. Frank Riedel, Ärztlicher Direktor des Altonaer Kinderkrankenhauses. Warum das Immunsystem der Kinder plötzlich so viele Substanzen zu Feinden erklärt, wird noch diskutiert. Es mehren sich jedoch Hinweise, dass verbesserte Hygienebedingungen dafür verantwortlich sind. "Das Immunsystem hat sich mehr auf die Allergie verlegt, weil es sich mit seiner eigentlichen Aufgabe, der Abwehr von Infekten, nicht mehr so viel beschäftigen muss", erklärt der Kinderarzt. So sei zum Beispiel belegt, dass Allergien bei Einzelkindern häufiger sind als bei Kindern mit fünf Geschwistern und dass Kinder, die auf einem Bauernhof groß werden, weniger Allergien haben als Großstadtkinder. "Wer schon als kleines Kind im Stall mit Ausscheidungen von Tieren in Kontakt kommt, dessen Immunsystem ist damit so stark beschäftigt, dass es gar keine Gelegenheit hat, Allergien zu entwickeln", beschreibt Riedel das Phänomen. Außerdem spielt auch erbliche Veranlagung eine Rolle. Sind beide Eltern Allergiker, hat das Kind ein 60-prozentiges Risiko, auch eine Allergie zu bekommen. "Die Veranlagung liefert die Grundlage, doch ob, wann und wie die Allergie ausbricht, entscheidet die Umwelt", sagt Riedel und empfiehlt deshalb, Kinder nicht gegen banale Erreger abzuschotten und sie ruhig im Matsch spielen zu lassen. Wenn beide Eltern Allergiker sind, können Vorsichtsmaßnahmen das Allergierisiko beim Kind senken. "Es sollte sechs Monate lang gestillt werden und in dieser Zeit keine Beikost, wie zum Beispiel Ei oder Getreidesorten, erhalten. Sehr wichtig ist auch, dass die Eltern nicht rauchen", sagt Riedel. Starke Allergene wie Hausstaubmilben und Tierhaare sollten aus der häuslichen Umgebung verbannt werden. "Matratze und Bett des Kindes allergenarm auswählen und in eine Folie einhüllen, die undurchlässig für das Hausstaubmilbenallergen ist. Außerdem keine Haustiere in der Wohnung halten." Zu den häufigsten Allergenen zählen auch Schimmelpilze in der Wohnung und Pollen von Hasel, Birke, Erle sowie Gräser und Getreidesorten. Alle diese Stoffe können Asthma hervorrufen, die häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter. Die dauerhafte Entzündung der Bronchien beginnt meist in den ersten Lebensjahren, oft nach banalen Infekten. "Das Kind hat Schnupfen, Husten, ist kurzatmig und nicht leistungsfähig, oft drei bis vier Wochen lang. Wenn sich das mehrmals wiederholt, sollte man an Asthma denken", sagt Riedel. Dass es zum Asthma kommt, liegt nicht nur an der Allergie. Infekte, körperliche Anstrengung, wie zum Beispiel Laufen, Fahrrad fahren, Passivrauchen oder seelischer Stress, lösen oft die Beschwerden aus. "Entscheidend ist aber, wie hoch bereits die Belastung mit Allergenen ist." So ist dann auch die erste Maßnahme, Allergene so weit wie möglich zu vermeiden. Die zweite Säule der Therapie sind Medikamente. "Viele Asthmatiker brauchen eine Dauertherapie mit entzündungshemmenden Medikamenten, die inhaliert werden. Ein Mittel, das in leichten Fällen gut wirkt und keine Nebenwirkungen hat, ist die Chromoglycinsäure. Wenn das nicht reicht, werden Cortisonabkömmlinge eingesetzt. Vernünftig dosiert, haben inhalative Cortisonpräparate keine bedeutsamen Nebenwirkungen", beruhigt Riedel. Beim Asthmaanfall, wenn die Bronchien sich verkrampfen, das Kind hustet und schlecht Luft bekommt, muss ein bronchialerweiterndes Spray verabreicht werden. Wenn dann nach zehn Minuten keine deutliche Besserung eingetreten ist, muss das Kind zum Arzt. "Oberstes Gebot für Eltern: das Kind beruhigen, damit sich seine Atemnot durch die Angst nicht noch verschlimmert." Worauf beim Asthma zu achten ist, wie Medikamente eingesetzt werden, welche Nebenwirkungen auftreten, lernen Eltern und Kinder in der Asthmaschulung, der dritten Säule der Therapie. Die Hyposensibilisierung ist als weitere Therapiemöglichkeit "oft nur sinnvoll bei Kindern mit Pollen-Asthma und möglich ab dem sechsten Lebensjahr. Dabei wird über drei Jahre das Allergen einmal monatlich unter die Haut gespritzt, es entsteht eine Toleranz gegenüber dem Allergen." Asthmakranke Kinder können heute dank immer besserer Medikamente zu 90 Prozent ein normales Leben führen. Sie können unbeschwert mit ihren Freunden herumtoben, Fahrrad fahren oder schwimmen. "Man sieht ihnen die Krankheit nicht an", freut sich Riedel.