Der erste Mensch, der seinen Fuß auf einen fremden Himmelskörper setzte, ist tot. Neil Armstrong starb im Alter von 82 Jahren.

Am 21. Juli 1969, an seinem großen Tag, hat er mich genervt. Er wollte nicht herauskommen aus seinem Eagle, dem Mondlandemodul, bevor man in Europa ins Bett ging. Nur das groß gepixelte Schwarz-Weiß-Bild einer Kamera, ohne Bewegung, flimmerte über den Bildschirm in der Jugendherberge in Rom, in der ich in der Sommernacht die erste Mondlandung des US-amerikanischen Apollo-Programms verfolgte. Seine großen Worte von dem kleinen Schritt für einen Menschen und dem großen Schritt für die Menschheit, die er dann sprach, als er, der Pionier, den ersten Fuß von seiner Leiter auf den Mond stellte, habe ich dann verpasst, im Tiefschlaf. Ob ich sie damals hätte würdigen können, ahnen, dass sie berühmter würden als Kennedys "Ich bin ein Berliner" oder Galileis "Und sie bewegt sich doch", ist eine andere Frage.

Später nervte er wieder. Er wollte sich auf kein Interview einlassen. Buzz Aldrin, der Mann, der Neil Armstrong auf der Leiter als Zweiter folgte, gab mir ein Interview nach dem anderen, aber Neil Armstrong beantwortete nicht mal die Anfragen, wie die aller anderen Journalisten, bis vor wenigen Monaten, als er doch mit ein paar Worten aus seiner Deckung kam. Irgendwann verstand ich ihn. Die erste Mondfahrt war wie keine andere Entdeckungstour in fast jeder Sekunde ausgeleuchtet, die Gefühle und Gedanken ihrer Pioniere sattsam gewendet, gewertet, gedruckt wie bei keiner anderen Expedition. Neil Armstrong hatte keine Lust. Er, der anders als andere Astronauten - Buzz Aldrin zum Beispiel - nach der Mondlandung beruflich in der Wissenschaft und in der Privatwirtschaft erfolgreich durchstartete und sich nicht dem Alkohol hingab, blieb so etwas wie ein Phantom. Eines, das zwar auf Kongressen und Konferenzen auftrat, aber nie zu fassen war.

+++ "Denken Sie an Neil und zwinkern Sie ihm zu" +++

+++ Der 21. Juli 1969 hat Neil Armstrong unsterblich gemacht +++

Spielte er den Scheuen, sah er sich dazu gezwungen, weil er es nicht schaffte, gescheit zu sprechen? Norman Mailer, der die Apollo-Mission für sein Buch "Of a fire on the Moon" minutiös verfolgte, meinte: "Er sprach mit langen Pausen, in denen er nach Worten suchte. Wenn er dann wieder redete, schien die Wartezeit für den banalen Inhalt zu lang gewesen zu sein." Die Mondlandung, ein banaler Inhalt? Vielleicht fühlte er es ja tatsächlich so, er, der Astronaut noch aus der Generation der Testpiloten, der Kampfflieger aus dem Koreakrieg. Viel Aufhebens um seinen Erfolg machte er jedenfalls nie.

Ein großer Redner war er jedenfalls nicht, aber das war auch nicht seine Aufgabe. Selbst sein berühmtester Satz - von dem nun wohl ungeklärt bleiben wird, ob er spontan kam oder von der Nasa vorgegeben war, wie es Mailer vermutet - kam ihm nicht ohne Lapsus über die Lippen. Streng genommen hat er sogar etwas Unsinniges gesagt: Nach dem aufgezeichneten Funkverkehr sagte Armstrong nicht "small step for a man", vielmehr vergaß oder verschluckte er das "a", dadurch wird aus "einem Mann" wieder nur "die Menschheit", sodass der ganze Satz, wie er Armstrong aus dem Mund kam, eigentlich heißt: "Es ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Sprung für die Menschheit." In die Erinnerung eingegangen ist die modifizierte Version von Armstrongs Worten, erst Mensch, dann Menschheit. Das Geheimnis darüber, was er meinte, wie er es meinte und wer auf den Satz kam, nimmt Armstrong mit ins Grab. Eigentlich können wir ihm dankbar dafür sein. Ein wunderbarer Satz ist es, und auch noch voller Geheimnisse. Jede Klärung hätte etwas Banalisierendes, offenbar ein Grundprinzip Armstrongs.

Man darf sich im Nachhinein schon wundern, dass es ausgerechnet Neil Armstrong war, der als Kommandant der ersten Mondlandemission ausgesucht wurde. Sein Charakter brachte seine Umgebung, seine Vorgesetzten und alle anderen, die die Verantwortung übernehmen mussten, mehr als einmal zum Erstaunen. Gene Kranz, der Flugdirektor von "Apollo 11", sagte, dass man sich an das Schweigen des Kommandanten gewöhnen musste, beklagte, dass er immer nur gelächelt oder genickt habe. Nicht, dass Kranz an Armstrong gezweifelt habe, "ich war überzeugt, dass er seine eigenen Regeln für die Landung hatte, ich wollte nur wissen, wie sie lauteten".

Spätestens bei der Mondlandung waren alle überzeugt, dass seine eigenen Regeln ihn zum Erfolg führten, dass sich in diesem entscheidenden Moment seine Coolheit, die wohl alles andere als gespielt war, auszahlte. Die automatische Steuerung hatte das Landemodul Eagle in ein Geröllfeld geleitet, Armstrong musste das Steuer, den Joystick, in die eigene Hand nehmen. Der Treibstoff drohte auszugehen. Aus dem Bordcomputer schrillte ein Sirenenton. Niemand, weder Armstrong oder Aldrin kurz über dem Mond noch die Bodenmannschaft in Houston, wussten, warum. Selbst Buzz Aldrin, der alte Haudegen, gab mir gegenüber einmal zu, dass er in dem Moment Angst gehabt habe, "natürlich, viel Angst". Der Kommandant aber, Neil, der alte Testpilotenhase, steuerte unbeirrt, ließ den Eagle mit dem letzten Tropfen Raketentreibstoff aus dem Landungstank auf einem ebenen Stück Mondstaub nieder. "The Eagle has landed", kam es dann deutlich ohne Zögern und ohne Fehler in seinem breiten Mittelwestakzent aus seinem Mund.

+++ Neil Armstrong - Der erste Mann auf dem Mond ist tot +++

Was wollt ihr nur alle? Ist was? Die Frage scheint Armstrong ins Gesicht geschrieben. In dem Moment und in all den Jahren danach. So sparte er sich den näheren Kontakt mit Verschwörungstheoretikern, die behaupten, die Mondlandung habe nur in Fernsehstudios stattgefunden, musste nicht, wie sein Kollege und Haudegen Buzz Aldrin, einen von ihnen mit einem Faustschlag außer Gefecht setzen.

Neil Armstrong, der berühmteste aller Mondfahrer, ist gestorben. Es zeigt, dass die Ära der bemannten Mondlandungen aus der Zeitgeschichte in die jüngere Geschichte hinüberwandert. Die Mondfahrer sind alt. Am 7. Dezember liegt ihr letzter Start 40 Jahre zurück. Das Traurige für jene, die das Glück hatten, die Begeisterung jener Tage zu teilen: Es kam nichts danach.

Auf Kolumbus folgten die Überfahrten über den Atlantik, nach Edmund Hillary eroberten die Bergsteiger die Achttausender. Mit der Mondfahrt aber war 1972 Schluss, und trotz halbherziger Versprechen der US-Präsidenten, egal ob von Bush oder Obama, mag niemand daran glauben, dass es wieder zum Mond oder gar zum Mars hinaufgeht. Wenn überhaupt, werden es wohl Chinesen oder Inder sein.

Das war damals anders. Armstrong wuchs in die Epoche des "schneller, höher, weiter" hinein. 1930 wurde er im ländlichen Wapakoneta in Ohio in eine kleinbürgerliche Familie geboren. Seit der Jugend begeisterte er sich für die Fliegerei, baute Modellflugzeuge, machte mit 17 Jahren den Pilotenschein und begann das Studium zum Flugzeugingenieur, wurde mit 19 Kampfpilot und flog mit 20 Jahren, als jüngstes Mitglied seines Geschwaders, erste Einsätze im Koreakrieg. Wieder zurück schloss er sein Studium ab, wurde bei der Luftwaffe Testpilot, flog die X-15 mit vierfacher Schallgeschwindigkeit. Er landete bei dem Projekt "Man in Space Soonest" in der ersten Vorbereitungsgruppe für Astronauten, bevor es in die neu gegründete Nasa überging. Als er beim Raumfahrtprojekt Gemini 8 eingesetzt wurde, gab es den ersten Vertrauensbeweis in seine Person: Er war einer der wenigen Astronauten, die bei ihrem ersten Raumflug als Kommandant starteten. Tatsächlich wurde die Mission zur ersten Bewährungsprobe für Armstrongs sprichwörtliche Gelassenheit. Beim Koppelungsmanöver mit einem unbemannten Satelliten in der Erdumlaufbahn nahm seine Kapsel eine bedrohliche Rotationsgeschwindigkeit auf, die Armstrong nur durch raffinierte, nie getestete Manöver in den Griff bekam. Dass er dann aber als Kommandant von "Apollo 11" eingesetzt wurde, war keineswegs von langer Hand vorbereitet, sondern eher ein Zufall. Nach der tödlichen Katastrophe von "Apollo 1" auf der Startrampe, nach mehreren Anpassungen des Mondlandeprogramms und Wechseln von Haupt- und Reservemannschaften erhielt Armstrong erst 1969 endgültig die Nachricht, dass er Kommandant von "Apollo 11" würde und dass es seine Mission sein sollte, die die erste Mondlandung anpeilen sollte. Er enttäuschte das Vertrauen nicht.

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1971, während des laufenden Apollo-Programms, schied Armstrong aus der Nasa aus, ging als Professor für Luft- und Raumfahrttechnik an die Universität Cincinnati, wechselte dann als Manager und Aufsichtsrat in die Privatwirtschaft, gründete Firmen, die ihn zum mehrfachen Millionär machten. Zuletzt machte er von sich reden, als er die Ankündigung Präsident Bushs, Astronauten zum Mond und zum Mars zu schicken, lobte und später die Entscheidung Obamas, diese Vorhaben zurückzunehmen, scharf kritisierte.

Er zeigte sich "sehr beunruhigt", dass die USA ihre "hart errungene globale Führung in der Raumfahrttechnologie an andere Nationen abtreten". Armstrong hatte sich am 7. August einer Bypassoperation unterzogen und war vergangene Woche wegen Herz-Kreislauf-Problemen ins Krankenhaus gekommen. Obwohl die Ärzte Entwarnung gegeben hatten, starb er am Sonnabend im Alter von 82 Jahren.