“Functional Food“ liegt im Trend. Doch den zusätzlichen Nutzen dieser Speisen können die Hersteller bisher meist nicht beweisen.

Hamburg. Manche Supermarktregale erinnern an eine Apotheke: Da stehen Joghurtsdrinks, die angeblich körpereigene Abwehrkräfte stärken, Frühstücksflocken, die beim Abnehmen helfen sollen, Margarinen, die versprechen, den Cholesterinspiegel zu senken. "Functional Food", Speisen, die mit einem Zusatznutzen werben, sind ein Milliardengeschäft in Zeiten, in denen viele Menschen alles tun, um nicht krank zu werden - und lange zu leben.

"Die Verbraucher achten oft auf den Preis, aber wenn ein Produkt ihrer Gesundheit zu nützen scheint, geben sie dafür eher Geld aus", sagt Armin Valet, Ernährungsexperte von der Hamburger Verbraucherzentrale. "Das Problem ist nur: Die Versprechen der Hersteller stimmen meist nicht."

Krankheitsbezogene Werbung für Lebensmittel ("schützt vor Krebs") ist in Deutschland verboten, gesundheitsbezogene Werbung jedoch erlaubt. Aussagen zu Functional-Food-Produkten, sogenannte "Health Claims", bewegen sich häufig irgendwo dazwischen und deshalb in einer rechtlichen Grauzone.

Damit könnte bald Schluss sein. Denn nach der europäischen Health-Claims-Verordnung müssen künftig alle Gesundheitsversprechen wissenschaftlich belegt sein. Die EU hatte dazu 2006 ihre Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im italienischen Parma beauftragt, die Verheißungen der Industrie zu überprüfen. Wer mit der angeblich gesundheitsfördernden Wirkung seiner Produkte werben wollte, musste dies bis zum 31. Januar 2008 bei der EU-Kommission beantragen.

Von den rund 44.000 eingereichten Claims von Herstellern aus den Mitgliedsländern ließ die Kommission nach einer ersten Durchsicht nur rund 4600 zu; anschließend prüften Forscher der EFSA, ob die Beweiskraft der vorgelegten Studien ausreicht.

Seit 2009 hat die Behörde bereits sechs Gutachterreihen vorgestellt. Die bisherige Bilanz ist für die Lebensmittelwirtschaft verheerend: 80 Prozent der nunmehr 2758 begutachteten Behauptungen halten die EFSA-Experten für nicht erwiesen. Deshalb müssen viele aktuelle Slogans wohl bald von den Verpackungen und aus Anzeigen weichen. Jutta Kleiner, Chefin der Abteilung Ernährung bei der EFSA, sagt: "Die Verbraucher können sich künftig darauf verlassen, dass Aussagen auf Lebensmittelpackungen wissenschaftlich fundiert sind." Erst muss die EU-Kommission allerdings noch entscheiden, welche konkreten Auflagen aus den Bewertungen folgen sollen.

Am härtesten treffen die Bewertungen aus Parma die Vorzeigeprodukte der Functional-Food-Branche: probiotische Joghurts und Joghurt-Getränke. Bei keinem von fast 200 eingereichten Claims sahen die EFSA-Forscher es als erwiesen an, dass spezielle Bakterien im Darm die versprochenen Wirkungen zeigen. Einige Hersteller hatten ihre Anträge vorsorglich zurückgezogen, bevor die EFSA zum Zug kam. "Es gibt Unklarheiten bezüglich der Kriterien und des Prozesses für die Anträge bei der EFSA. Deshalb haben wir unsere Dossiers noch nicht wieder eingereicht", sagt Marion Fürst, Sprecherin des Unternehmens Danone, das mit Actimel (Werbespruch: "activiert Abwehrkräfte") und Activia ("bringt ihre Verdauung in Schwung") ins Rennen gegangen war. Konkurrent Yakult ("Fühl Deine innere Kraft") hatte die Behauptung zurückgezogen, in seinem Milchgetränk enthaltene Bakterien verbesserten die Funktion des Darms. Einen weiteren Claim, der versprach, die Bakterien könnten das Risiko für Atemwegsinfektionen reduzieren, ließ das Unternehmen bewerten - und kassierte eine Abfuhr. "Wir haben viel darüber gelernt, welche Erwartungen die EFSA hat", sagt Yakult-Sprecherin Irmtrud Wagner. Derzeit seien neue Studien in Arbeit. "Zu gegebener Zeit" werde das Unternehmen neue Anträge einreichen.

Zwar betreiben manche Hersteller einen enormen Aufwand, um ihre Versprechen zu untermauern. Danone etwa verweist allein für sein Produkt Activia auf 17 wissenschaftliche Studien mit über 1500 Probanden. Experten haben dennoch damit gerechnet, dass die aktuellen Probiotika eine Abfuhr kassieren würden. "Im Darm leben schätzungsweise eine Billion Bakterien. Sie beeinflussen die Physiologie des Menschen und können auch Teil von Krankheiten sein. Wie genau sie im Darm wirken, versteht die Forschung aber erst ansatzweise", sagt Prof. Dirk Haller, Leiter des Lehrstuhls für Biofunktionalität der Lebensmittel an der Technischen Universität München.

Unklar sei bisher auch, ob sich funktionelle Zusätze und die anderen Bestandteile eines Lebensmittels gegenseitig beeinflussten und das Lebensmittel dadurch womöglich so veränderten, dass für den Verbraucher ein Risiko bestehe, sagt Sascha Rohn, Professor für Lebensmittelchemie an der Universität Hamburg. Konkret: "Ob Erdbeeren in einem probiotischen Getränk auf den Organismus genauso wirken wie Erdbeeren allein, wissen wir nicht."

Der vage Wissensstand betrifft auch diverse andere Produkte. So darf etwa Ferrero in Zukunft wohl nicht damit werben, dass seine Kinderschokolade wachstumsunterstützend wirkt, Unilever darf nicht versprechen, Lipton Schwarztee fördere die Konzentrationsfähigkeit, Ocean Spray nicht behaupten, sein Cranberry-Saft senke das Risiko für Harnwegsinfektionen. Eine Abfuhr kassierten auch Hersteller, die behaupteten, sogenannte Soja-Isoflavone könnten Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen lindern.

Zwar hat die EU-Behörde auch einige Claims genehmigt. Als erwiesen gilt jetzt etwa, dass Walnüsse durch bestimmte Wirkstoffe die Funktion der Blutgefäße verbessern können. In Olivenöl enthaltene Polyphenole können vor freien Radikalen schützen, langkettige Omega-3-Fettsäuren in Fischöl den Blutdruck senken, zuckerfreie Kaugummis schädliche Säuren reduzieren können und - wenig verwunderlich - Kalzium ist tatsächlich wichtig für gesunde Knochen.

Einige genehmigte Claims sind jedoch umstritten, insbesondere jener für Unilevers Margarine "Becel pro activ". Diese enthält einen Anteil an sogenannten Phytosterinen, pflanzlichen Stoffen, die bei regelmäßigem Konsum den Cholesterinspiegel senken sollen. Befragungen ergaben jedoch, dass die Hälfte der Verbraucher, die Speisen mit Phytosterinzusatz essen, gar keinen erhöhten Cholesterinspiegel hat. Einige von ihnen essen die Margarine, obwohl Studien darauf hindeuten, dass zu viele der Phytosterine genau wie Cholesterin bewirken, dass die Arterien verkalken.

Das Bundesinstitut zur Risikobewertung weist deshalb darauf hin, "dass der Verzehr von Lebensmitteln mit Phytosterinen von gesunden Menschen, die keinen erhöhten Cholesterinspiegel haben, ausdrücklich vermieden werden sollte". Hinzu kommt: Für Schwangere, Stillende und Kinder unter fünf Jahren ist die Margarine "nicht zweckmäßig", wie auf der Verpackung steht. "Solche Hinweise fallen vielen Verbrauchern aber nicht auf", sagt Armin Valet von der Verbraucherzentrale.

Er findet die meisten Functional-Food-Produkte überflüssig, insbesondere aber Probiotika: "Auch ganz normale Joghurts können die Verdauung fördern. Für Probiotika lohnt sich das Geld erst, wenn der Nutzen bewiesen ist." Essen als Medizin - diesen Ansatz hält Valet für falsch: "Wer krank ist, braucht ein Medikament. Für alle anderen genügt eine ausgewogene Ernährung - ohne Functional Food."