Ökologische Produkte stehen unter anderem für den Verzicht auf Pestizide und für artgerechte Haltung. Doch es gibt auch Kritik

Hamburg. Bio ist etabliert. 94 Prozent der deutschen Haushalte kauften 2009 Produkte aus ökologischer Erzeugung; im Schnitt landeten in dem Jahr 20-mal Bio-Lebensmittel im Einkaufskorb, ergab eine Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung. Sogar Discounter wie Aldi und Lidl bieten mittlerweile Bio-Produkte an.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Umsatz bei Bio-Produkten von 2,1 auf 5,9 Milliarden Euro fast verdreifacht. Zwar kommen sie nach Angaben des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) erst auf einen Marktanteil von knapp vier Prozent. Doch die Nachfrage wird auch künftig wachsen, erwartet ifo-Experte Matthias Balz.

Die steigende Nachfrage hat mehrere Gründe. Bio-Produkte waren bisher nicht in Lebensmittelskandale verwickelt. Als zu Beginn des Jahres Dioxin in Eiern für Verunsicherung sorgte, galt: Bio-Eier sind sicher. Die meisten Menschen greifen aber auch zu Bio-Produkten, weil sie diese mit gesunder Ernährung und artgerechter Tierhaltung verbinden, ergab eine Umfrage der Wirtschaftsberater Ernst & Young.

Die Begeisterung für Bio hat zudem mit einem Imagewandel zu tun. Früher wurden jene gesundheitsbewussten, ethisch korrekten Mitmenschen, die in der Mittagspause ihr Dinkelbrot aus Demeter-Anbau mümmelten, als "Ökos" verspottet. Die Ökos von heute trinken Holunder-Bionade und sind irgendwie hip. Bio ist in, Bio gilt als gut - aber ist es besser? Können ökologisch erzeugte Produkte halten, was sich die Kunden davon versprechen?

Als Bio-Lebensmittel dürfen in der EU nur Produkte gekennzeichnet werden, die der 2007 verabschiedeten EG-Öko-Verordnung entsprechen. Viele Hersteller wollen sich allerdings einen ökologischen Anstrich geben, ohne die Auflagen zu erfüllen. Doch nur Produkte mit dem deutschen sechseckigen Bio-Siegel oder dem EU-Bio-Siegel (weiße Sterne vor grünem Hintergrund) sind echte Bio-Lebensmittel. Nach der Verordnung dürfen Pflanzen zum Beispiel nicht gentechnisch verändert werden; verboten ist auch der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln (Pestiziden).

Weil das so ist, schneiden Bio-Lebensmittel bei Pestizid-Tests fast immer besser ab als konventionell erzeugte Lebensmittel. So ergab etwa die jüngste Testreihe von Baden-Württembergs Ökomonitoring, dass konventionelle Obst- und Gemüsesorten 2010 im Durchschnitt 0,36 Milligramm Pestizidrückstände pro Kilogramm enthielten, Bioprodukte dagegen im Schnitt 0,003 Milligramm pro Kilogramm. "Bio überzeugt", schreibt Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) in dem Bericht. Dass sich überhaupt Rückstände auf Bio-Lebensmitteln finden, erklärt sich etwa dadurch, dass in den Äckern noch Altlasten stecken können oder dass der Wind Pestizide vom konventionell bewirtschafteten Nachbarfeld herübergeweht hat. Auch die Stiftung Warentest stellte in Untersuchungen fest, dass frisches Bio-Obst und -Gemüse meist nahezu frei von Pestiziden ist. Unverarbeitet seien pflanzliche Bio-Produkte den konventionellen deutlich überlegen, schreiben die Prüfer.

Enthalten frische Bio-Produkte mehr wichtige Nährstoffe? Das von Bio-Bauern und Wissenschaftlern gegründete Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frankfurt/Main hat in einem Dossier zur Qualität von Bio-Produkten sieben Studien zusammengefasst und kommt zu dem Schluss, dass sich pflanzliche Bio-Lebensmittel teilweise durch einen höheren Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen und Vitamin C auszeichnen. Allerdings gibt es auch Studien, die keine Unterschiede diesbezüglich feststellten.

Grundsätzlich können viele Faktoren die Zusammensetzung eines pflanzlichen Lebensmittels beeinflussen, bei Obst zum Beispiel die Sorte. "Der Nährstoffgehalt eines Apfels der Sorte Gloster kann von einem Cox Orange deutlich abweichen", sagt Thomas Alföldi, Mitautor der Auswertung. "Teilweise unterscheiden sich aber auch schon Äpfel der gleichen Sorte, die auf ein und demselben Baum gewachsen sind." Die Anbauart spiele dabei nur eine untergeordnete Rolle, sagt Alföldi.

Bei frischen tierischen Bio-Lebensmitteln fanden die Forscher ebenfalls geringe Unterschiede gegenüber konventionell erzeugten Produkten. So zeigten Studien, dass in Milch und Fleisch von ökologisch gehaltenen Rindern die Zusammensetzung der Fettsäuren günstiger war. Biomilch enthielt etwa mehr Omega-3-Fettsäuren als konventionelle Milch. Der Grund könnte die unterschiedliche Fütterung sein: Bio-Kühe erhalten hauptsächlich Weidegras und Heu und nur wenig Kraftfutter. Insgesamt ließ sich für tierische Produkte aber nicht beweisen, dass eine ökologische Haltung positiv auf die Nährstoffzusammensetzung wirkt.

Sind Bio-Produkte gesünder als konventionell erzeugte Lebensmittel? Um diese Frage zu beantworten, müssten Forscher Studien durchführen, in denen Tausende von Menschen jahrelang unter wissenschaftlicher Aufsicht hauptsächlich Bio-Lebensmittel essen - was so gut wie unmöglich ist.

Viele Ernährungswissenschaftler sind ohnehin der Meinung, dass für die Gesundheit in erster Linie eine Ernährung mit viel frischem Gemüse, Obst, Getreide und wenig Fleisch, Chips und Süßigkeiten wichtig ist - ob konventionell oder ökologisch erzeugt, spielt eine Nebenrolle. Anders formuliert: Wer Bio-Chips konventionell erzeugten vorzieht, lebt nicht unbedingt gesünder. Umgekehrt können natürlich auch Ballaststoffe aus konventionell angebautem Gemüse und Obst das Risiko für Darmkrebs und Diabetes verringern.

Während frische Bio-Produkte zu Recht ein gutes Image genießen, sind verarbeitete Produkte, deren Inhaltsstoffe zu mindestens 95 Prozent aus ökologischer Erzeugung stammen müssen, in den vergangenen Jahren einige Male in die Kritik geraten. Bei der mikrobiologischen Prüfung schnitten sie teilweise erheblich schlechter ab als konventionelle Produkte. So entdeckten Prüfer von Stiftung Warentest insbesondere in Fleisch-, Fisch- und Milchprodukten, die kurz vor dem Ende der Mindesthaltbarkeitszeit standen, Bakterien und Pilze - selten krankmachende, aber öfter solche, die den Geschmack negativ beeinflussen. Kochschinken etwa schmeckte dadurch "leicht sauer", Mozzarella "alt". Als Ursache vermuteten die Prüfer, dass die Hersteller weitestgehend auf Konservierungsstoffe verzichten. In vielen Fällen müsste deshalb eigentlich eine kürzere Mindesthaltbarkeitszeit angegeben werden, so Stiftung Warentest.

Von den 316 Zusatzstoffen, die in konventionellen verarbeiteten Produkten zum Einsatz kommen, sind in Bio-Produkten nur noch 47 erlaubt. Darunter seien jedoch problematische Substanzen, etwa Carrageen (E 407), kritisiert die Verbraucherschutzorganisation "Foodwatch". Als Verdickungsmittel soll Carrageen in einigen Bio-Milchprodukten verhindern, dass sich eine Rahmschicht bildet. In Tierversuchen führte die Substanz zu Geschwüren.

Bio-Lebensmittel sind auch deshalb zunehmend gefragt, weil sich mehr Menschen Gedanken über artgerechte Tierhaltung machen. Diese ist auf Biohöfen eher gewährleistet als in konventionellen Betrieben. Denn die EG-Öko-Verordnung schreibt vor, dass Nutztiere wie Rinder, Schweine, Schafe und Hühner "ausreichend" Auslauf haben müssen, tagsüber auch ins Freie. Ställe müssen ihnen Tageslicht und frische Luft bieten. Dagegen leben Tiere in der konventionellen Haltung in der Regel auf kleinerem Raum zusammen, ihre Ställe müssen nur künstlich beleuchtet sein.

Es wäre allerdings naiv, bei ökologischer Tierhaltung an eine fußballfeld-große Wiese zu denken, auf der maximal zehn Hühner picken. Viele Betriebe halten Tausende Tiere - und für jede Legehenne etwa schreibt die Öko-Verordnung einen Auslauf ins Freie von vier Quadratmetern vor. Dennoch: Wer Bio-Fleisch konventionellem vorziehe, helfe, die Haltungsbedingungen zu verbessern, so der Deutsche Tierschutzbund.

Neben den gesetzlichen Bio-Siegeln gibt es noch weitere Label von ökologischen Verbänden und Vereinen wie Bioland, Demeter, Naturland und Neuland. Sie hätten andere, häufig strengere Richtlinien und achteten noch stärker auf Platz und Zuwendung für die Tiere, so der Tierschutzbund. Im Unterschied zur konventionellen Haltung müssen Bio-Nutztiere überwiegend Futter aus ökologischem Anbau erhalten. Medikamente, etwa Antibiotika, und Hormone dürfen Bauern nur bei Krankheit einsetzen, nicht vorbeugend oder zur Steigerung des Wachstums.

Eine artgerechte Haltung mit Auslauf im Freien ist auch für Legehennen vorgeschrieben, die Eier aus "Freilandhaltung" produzieren. Allerdings bekommen sie keine Bio-Nahrung, und ihr Futter darf Zusätze enthalten, etwa Farbstoffe. So kommt es, dass der Dotter ihrer Eier eher orange aussieht, während der Dotter von Bio-Eiern meist sonnengelb gefärbt ist.

Ökologische Landwirtschaft macht teilweise mehr Arbeit und liefert weniger Ertrag. Deshalb sind viele Bio-Produkte teurer, wobei der Aufpreis bei Grundnahrungsmitteln wie Nudeln oder Milch gering ausfällt. Ist er es wert? Foodwatch schreibt: "Die Aussage 'Bio essen und alles ist gut' ist nicht richtig. 'Bio essen und vieles ist besser' dagegen schon."