Seit der EHEC-Krise ist die Ernährung das große Thema. Was nützt, was schadet uns? In welchen Mengen und aus welcher Herstellung?

Was dürfen wir noch essen? Selten war die Verunsicherung so groß wie in den vergangenen Monaten. Dabei hatten sich die Deutschen schon an Hiobsbotschaften gewöhnt: Ob Dioxin, Nitrofen, Salmonellen oder Würmer - immer wieder gelangten durch Schadstoffe oder Krankheitserreger verunreinigte Lebensmitteln in den Handel. Doch in den meisten Fällen fanden die Ermittler relativ schnell heraus, wo sich der Feind versteckt hatte: in Fleisch, Fisch oder Eiern. EHEC-Keime hingegen können prinzipiell auf allen Lebensmitteln auftauchen, auf Fleisch, Gemüse und Obst.

Die EHEC-Krise sorgte nicht nur für Diskussionen über den künftigen Umgang mit neuen Krankheitserregern, sie lenkt den Blick auch auf die mehr als 10 000 verschiedenen Lebensmittel, aus denen die Deutschen wählen können. Was macht gesunde Ernährung aus? Wie wirken Nahrungsbestandteile auf unseren Organismus? Was bringt eine vegetarische Ernährung? Sind ökologisch erzeugte Lebensmittel gesünder als konventionell erzeugte Produkte? Diesen und weiteren Fragen geht das Abendblatt in den kommenden drei Wochen, jeweils dienstags, donnerstags und am Wochenende, in einer Ernährungsserie nach.

Es erscheint paradox: Einerseits, das legen Umfragen nahe, nimmt das Gesundheitsbewusstsein der Deutschen zu. So ergab etwa die GEDA-Studie des Robert-Koch-Instituts, dass immer weniger Menschen hierzulande rauchen und immer mehr Sport treiben. Andererseits, so zeigte es die zweite Nationale Verzehrstudie des Max-Rubner-Instituts (Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel), ernähren sich viele Deutsche alles andere als gesund: Sie essen zu viel und dabei oft fett, süß und salzig: relativ viel Fleisch, Butter, Schokolade und Chips, eher wenig Gemüse und Obst.

Die Folge dieser kalorienreichen Kost: 66 Prozent der Männer und 51 Prozent der Frauen in Deutschland sind übergewichtig, jeder Fünfte ist adipös (fettleibig), ergab die Studie. Zwar gibt es Unterschiede: Zum Beispiel essen Menschen mit hohem Einkommen mehr Gemüse und Obst und weniger fett- und zuckerreiche Lebensmittel als Menschen mit geringem Einkommen und einer niedrigen beruflichen Stellung. Und doch finden sich Ernährungssünden in allen Schichten, Altersklassen und bei beiden Geschlechtern.

Wie ist der Widerspruch zwischen gestiegenem Gesundheitsbewusstsein und schlechter Ernährung zu erklären? "Bei der Nahrungsauswahl spielen viele Aspekte eine Rolle", sagt Prof. Joachim Westenhöfer, Ernährungspsychologe von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. "Je nach Situation kann etwa der Genuss im Vordergrund stehen. Oder es muss beim Essen schnell gehen. Auch das soziale Umfeld ist wichtig: Bei einem Grillabend tritt der Gesundheitsaspekt in der Regel zurück." Zudem könnten ökonomische Gründe die Nahrungsauswahl beeinflussen, sagt Westenhöfer. "Wir haben in einer Studie festgestellt, dass Lebensmittel umso billiger sind, je mehr Kalorien pro Gramm sie aufweisen. Wenn Menschen wenig Geld haben, handeln sie ökonomisch, wenn sie kalorienreiche Lebensmittel kaufen."

Andere Wissenschaftler meinen, dass die Nahrungsauswahl auch biologisch gesteuert wird und seit der Frühzeit in unseren Genen verankert ist. Damals musste der Mensch in den warmen Monaten, in denen es genug Nahrung gab, schnell Fett ansetzen, um den harten Winter zu überleben. So kam es, dass der Körper eine energiereiche Kost bevorzugte - und dies noch heute tut. "Unglückerweise machen ausgerechnet die Lebensmittel, die wir gerne essen, dick - und das ist nicht gesund", sagt Prof. Hans-Georg Joost, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIFE) in Potsdam. Am DIFE untersuchen Forscher, welche Rolle die Ernährung für Krankheiten spielen kann, insbesondere für Adipositas, Diabetes und Krebs.

Aber: Wenn unsere Nahrungsauswahl biologisch bedingt ist, lässt sie sich dann überhaupt beeinflussen? Eindeutig ja, sagt Joost: "Wer sich mit gesunder Ernährung auskennt und sein Verhalten ändern will, kann das mitttel- oder langfristig schaffen." Was gesunde Ernährung ausmacht, sei wissenschaftlich kaum gesichert, heißt es oft; Wissenschaftler begännen erst langsam zu verstehen, wie Nahrungskomponenten im Körper wirken. "Das stimmt nicht", sagt Joost, "wir wissen mittlerweile sehr viel, etwa, dass Ballaststoffe ein wesentlicher Gesundheitsfaktor sind."

Ballaststoffe sind Kohlenhydrate, die überwiegend in pflanzlichen Lebensmitteln vorkommen; tierische Produkte sind nahezu frei davon. Der Mensch kann Ballaststoffe nicht verdauen, dennoch schreiben Forscher ihnen eine wichtige Rolle zu, weil sie zu einer geregelten Verdauung beitragen und die Aufnahme anderer Kohlenhydrate verzögern, wodurch der Blutzuckerspiegel langsamer steigt. Und weil Speisen mit vielen Ballaststoffen bei gleichem Volumen weniger Energie enthalten als ballaststoffarme Speisen, helfen sie, das Gewicht zu halten.

Problematisch werde es dann, wenn man beweisen wolle, dass Ballaststoffe oder andere Nahrungsbestandteile Krankheiten verhindern könnten: "Es deuten viele Studien darauf hin, dass Menschen, die wenig Ballaststoffe essen, häufiger Darmkrebs bekommen. Um sicher zu sein, müssten wir Menschen aber über einen langen Zeitraum Ballaststoffe essen lassen und sie immer wieder untersuchen - das ist nicht möglich", erläutert Joost. Besser sei die Forschungslage bei Diabetes: "Ich halte es für eindeutig belegt, dass Ballaststoffe vor dieser Krankheit schützen."

Dabei komme es nicht auf bestimmte Gemüse- oder Obstsorten an, sagt Antje Gahl, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). "Man kann nicht sagen: Wer regelmäßig Brokkoli isst, bekommt keinen Krebs. Es ist vielmehr so, dass verschiedene Obst- und Gemüsesorten zusammen eine gesundheitsfördernde Wirkung entfalten können."

Wenn es etwas gibt, dass viele Ernährungsforscher gleichermaßen unterstützen, dann die Empfehlung der DGE, "vollwertig" zu essen. Damit ist gemeint, dass man alle wichtigen Nährstoffe in ausreichender Menge und in einem bestimmten Verhältnis zu sich nimmt, nicht nur, um Krankheiten vorzubeugen, sondern weil der Körper sie braucht, um gut zu funktionieren. "Je abwechslungsreicher man isst, desto einfacher ist es, eine vollwertige Ernährung zu erreichen", sagt Antje Gahl.

Mit einem "Ernährungskreis", den man auch als Teller wahrnehmen kann, will die DGE das empfohlene Verhältnis der Lebensmittel illustrieren. Die größte Portion bildet pflanzliche Kost wie Gemüse, Obst und Getreide, wegen der Ballaststoffe und weil diese Kost im Vergleich zu tierischen Lebensmitteln meist weniger Fett enthält, aber mehr Vitamine und Mineralstoffe. Dagegen gelten Butter, fettreiches Fleisch, Käse, Schokolade und Kuchen als eher ungesund, sie sollte man selten verzehren.

In Zahlen heißt das: Pflanzliche Lebensmittel sollten 73 Prozent ausmachen, tierische Produkte 25 Prozent und Öle und Fette zwei Prozent. Genau ist das natürlich nicht umzusetzen. "Aber wer sich daran orientiert", sagt Antje Gahl, "hat schon viel gewonnen."