10 000 Patienten warten bundesweit auf Augenhornhäute und andere Gewebespenden

Hamburg. Frank-Walter Steinmeier war ein Glücksfall für die Organspende. Bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation verdreifachten sich die Anrufe in der Zeit, als er seiner Frau eine Niere spendete. Dagegen führen Gewebespenden immer noch ein Schattendasein: Bundesweit warten 10 000 Menschen auf ein Gewebetransplantat.

"Gewebetransplantationen sind in der Bevölkerung noch ziemlich unbekannt," so Prof. Klaus Püschel, Rechtsmediziner am Universitätsklinikum Eppendorf. Mit gespendeten Geweben kann man kranken Menschen das Leben wieder lebenswert machen, indem etwa entzündete Herzklappen, von Unfällen zerstörte Knochen oder verätzte Augenhornhäute ersetzt werden. Und obwohl sich in Umfragen 70 bis 80 Prozent der Befragten für eine Organ- oder Gewebespende aussprechen, sind im entscheidenden Moment nur 45 Prozent der Angehörigen dazu bereit, das Gewebe des Verstorbenen freizugeben.

Zwar ist die Gewebespende der Organspende zahlenmäßig weit überlegen: Allein den 5800 entnommenen Augenhornhäuten standen 2008 lediglich 4050 Organtransplantationen gegenüber. Das reicht aber trotzdem nicht. Für viele Gewebe, vor allem für Hornhäute und Herzklappen, bestehen Wartelisten - unterschiedlich lang in den einzelnen Bundesländern.

Viele Menschen denken nicht an eine Gewebespende nach ihrem Tod, oft, weil sie nicht genug darüber wissen, aber vielleicht auch, weil die Gewebespende früher häufig in der Kritik stand. Entnahme und Verteilung von Geweben waren nicht einheitlich geregelt und erfolgten - so die Kritiker - manchmal auch auf diffusen Kanälen.

Seit 2007 gibt es das "Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen" ("Gewebe-Gesetz"). Mehrere Maßnahmen tragen dazu bei, die Herkunft von gespendeten Geweben besser nachvollziehen zu können und die Versorgung mit Herzklappen, Hornhäuten, Muskeln, Knochen, Haut etc. zu verbessern.

Genau wie Organspenden werden auch Gewebe nach Dringlichkeit, Chancengleichheit und Erfolgsaussicht verteilt. Die Qualitätsanforderungen bei Herstellung, Lagerung und Weitergabe von Geweben und Gewebezubereitungen müssen dem Arzneimittelgesetz entsprechen. Gewebetransplantate müssen darüber hinaus beim Paul-Ehrlich-Institut in Langen erfasst und ihre Herkunft dokumentiert werden - ein Vorteil für Transparenz und Patientensicherheit. Das entnommene Gewebe wird auf seine gesundheitliche Unbedenklichkeit untersucht, präpariert und bis zur Transplantation in Gewebebanken gelagert.

Im August 2010 zog das Bundesgesundheitsministerium ein erstes Fazit: Im Großen und Ganzen besteht zwar kein Versorgungsmangel, allerdings ist vor allem bei Herzklappen, Hornhäuten und Blutgefäßen die Versorgung noch nicht zufriedenstellend sichergestellt.

Sehr wichtig: Es besteht grundsätzlich ein Vorrang der Organspende vor der Gewebespende. Es dürfen also z. B. keine Herzklappen entnommen werden, wenn es einen Herzpatienten gibt, dem das ganze Herz transplantiert werden könnte. Der neue Organspende-Ausweis schließt deshalb die Gewebespende mit ein. Spender brauchen keinen Extra-Ausweis für die Gewebespende mehr, da diese nur durchgeführt werden darf, wenn kein Organ benötigt wird. Zusätzlich kann man auf dem Ausweis seine Wünsche deutlich machen: Neben der genauen Nennung einzelner Organe oder Gewebe kann man auch festlegen, ob man nur Organe oder nur Gewebe spenden möchte.

Auch in einem anderen Punkt hat das Gesetz für Klarheit gesorgt: Gewebe und Gewebezubereitungen, die nicht industriell hergestellt werden, dürfen nicht gehandelt werden. Die Herstellung, Lagerung und Verteilung von Geweben und Gewebezubereitungen ist deshalb nach dem Gewebe-Gesetz gemeinnützig organisiert. "Wir können nicht Menschen um eine Gewebespende bitten und dann damit Profit erzielen", erläutert Dr. Frank-Peter Nitschke, medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG). Das gilt für Augenhornhäute, Herzklappen und Blutgefäße - Gewebe also, die unverarbeitet transplantiert werden.

Knochenzubereitungen, die industriell produziert werden, sind rein juristisch nach dem Arzneimittelgesetz handelbar. "Die Einrichtungen, mit denen wir kooperieren, sind jedoch gemeinnützig organisiert und dürfen damit keinen ausschüttbaren Gewinn erwirtschaften", so Nitschke. Die Zukunft könnte eine andere sein: "Die Gewebemedizin wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten so weit entwickeln, dass auch weitere industrielle Verfahren greifen werden."

Hier können Sie einen Organspendeausweis direkt ausfüllen und herunterladen

Patientenverfügung: Selbstbestimmung für den Ernstfall

Bereits im Juni 2009 ist im Bundestag eine Mehrheit für eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen zustande gekommen, die am 1. September 2009 in Kraft getreten ist.