In Hamburg steigt die Zahl der EHEC-Fälle mit schweren Komplikationen. Hygiene-Experte: “Es kann sein, dass man die Quelle nie findet“.

Hamburg. Der Höhepunkt der EHEC-Epidemie in Hamburg ist offensichtlich doch nicht überschritten. Während am Montag noch rückläufige Zahlen von Neuinfektionen den Behörden Hoffnung machten, schlug der gefährliche Erreger der Darmkrankheit jetzt wieder zu. Die Zahl der EHEC-Fälle stieg bis Dienstag um 81 auf jetzt 569 an. Hamburg bleibt damit nach wie vor der Schwerpunkt der EHEC-Ausbreitung in Deutschland. Vor allem die schweren Komplikationen mit dem Hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) nahmen in der Stadt auch wieder deutlich zu. Mittlerweile müssen in Hamburg 110 Patienten mit HUS behandelt werden, das ein Nierenversagen verursachen kann und mehrfach schon in Deutschland zu Todesfällen geführt hat. Damit werden in Hamburg 16 mehr HUS-Patienten behandelt als noch am Wochenende. "Wir sind besorgt, der ganze Senat ist besorgt", sagte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) daher am Dienstag, als er gemeinsam mit Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) die aktuellen Erkrankungszahlen erläuterte.

Bei den EHEC-Betroffenen handelt es sich in Hamburg überwiegend um Frauen, ihr Anteil liegt bei 66 Prozent. Prüfer-Storcks: "Das liegt vermutlich daran, dass Frauen eher Salat essen oder ihn häufiger zubereiten." Bei 31 der EHEC-Fälle handele es sich um Kinder bis zu 15 Jahren.

Die Situation in den Hamburger Krankenhäusern bleibe unterdessen wegen der schweren HUS-Komplikationen weiter angespannt, sagte die Senatorin. "Doch wir haben noch Kapazitäten." So würden Patienten ja auch wieder gesund und könnten entlassen werden. Das Universitätsklinikum Eppendorf werde zudem derzeit von anderen Notfällen frei gehalten, damit mehr Platz für die sehr schweren Fälle bleibt, sagte Prüfer-Storcks.

Bei der Behandlung der schweren HUS-Fälle setzen die Krankenhäuser der Senatorin zufolge weiter auf den Austausch von Blutplasma und auch ein neues Medikament. Das sei eigentlich für die Behandlung eines Gen-Defekts entwickelt worden und werde vom Hersteller in der aktuellen Situation kostenfrei zur Verfügung gestellt, sagte Senatorin Prüfer-Storcks: "Ob es erfolgreich sein wird, wissen wir aber erst in einiger Zeit." Um genügend Blutplasma zu erzeugen, benötigten die Kliniken aber weiter Blutspenden. "Ich selbst und der Bürgermeister werden jetzt spenden, um dieses Thema in der Öffentlichkeit bewusst zu machen", kündigte Prüfer-Storcks an.

An der Pressekonferenz im Rathaus gab es ein großes Interesse von verschiedenen Medien. Auch aus Spanien waren Journalisten angereist. Aus Südspanien waren Gurken an den Hamburger Großmarkt geliefert worden, an denen das Hamburger Hygiene-Institut den gefährlichen EHEC-Erreger festgestellt hatte. Allerdings nicht den Untertyp O104, der für die aktuellen und oft schweren Fälle in Deutschland verantwortlich gemacht wird. Die Veröffentlichung des Herkunftslandes hat in Spanien zu heftigen Einbrüchen beim Gemüseexport geführt - aber auch in Deutschland ist die Produktion nahezu zum Erliegen gekommen. Dennoch ist die Suche nach der Quelle des Erregers weiter offen. Die Warnung des Robert-Koch-Instituts vor dem Verzehr von rohen Tomaten, Gurken und Salat müsse aber aufrechterhalten bleiben, sagte Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks. So habe eine epidemiologische Studie in Hamburg gezeigt, dass betroffene Patienten die genannten Lebensmittel bedeutend häufiger verzehrt hatten als gesunde Studienteilnehmer. Auch im Fall der Schule in Othmarschen mit mehreren EHEC-Verdachtsfällen gehe man inzwischen sehr stark von einer Primärinfektion durch Lebensmittel aus, sagte die Senatorin.

Im Hamburger Hygiene-Institut würden zudem weiter auch etliche andere Lebensmittel untersucht. Die Proben werden von den Verbraucherschutzämtern der Bezirke aus Restaurants, großen Handelsketten und Märkten sowie den Haushalten der Patienten genommen. Die Identifizierung des O104-Stamms sei aber sehr langwierig, weil es zu EHEC mehr als 100 Unterarten gebe.

Der jetzige Erregertyp sei in Deutschland zudem bisher nie in Erscheinung getreten, sondern eher in den USA, wie Hans-Joachim Breetz, der Geschäftsführer des Hygiene-Instituts, sagte.

Unterdessen bestätigte sich ein EHEC-Verdacht auf Strauchtomaten, Salaten und Gurken in Mecklenburg-Vorpommern bei einer genauen Laboranalyse nicht. Dort und in Hamburg sollen daher auch die Transportwege von Gemüse und die weitere Behandlung - etwa in Verpackungsstationen - auf eine mögliche Übertragung mit EHEC hin untersucht werden. "Die Suche ist sehr schwierig, und es kann sein, dass man die Quelle nie findet", sagte Hygiene-Experte Breetz.

Dass der Erreger über das Trinkwasser oder gar einen terroristischen Akt verbreitet wird, schloss Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks hingegen weitgehend aus. Entsprechende Gerüchte hätten bei einem Spitzentreffen von Bund und Ländern zu dem Thema EHEC "keine Rolle gespielt", sagte die Senatorin.

Russland stoppt wegen EHEC-Welle Gemüseimporte aus EU

Russland hat wegen der steigenden Zahl von lebensgefährlichen EHEC-Infektionen vor allem in Deutschland alle Gemüse-Einfuhren aus der Europäischen Union untersagt. Der Importstopp für frisches Gemüse aus den Ländern der Europäischen Union sei am Donnerstag in Kraft getreten, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax den Chef der russischen Verbraucherschutz-Agentur, Gennadi Onischenko. Grund sei, dass die EHEC-Welle bislang noch nicht unter Kontrolle gebracht worden sei. Er forderte seine Landsleute zu großer Vorsicht beim Einkauf von Gemüse auf und riet ihnen, heimische Waren zu kaufen. Die EU protestierte gegen das Vorgehen und forderte eine umgehende Aufhebung der Maßnahme.

Mit der jüngsten Beschränkung weitete das Land seinen Importstopp gegen Einfuhren von Gemüse aus Deutschland und Spanien aus. „Was in der EU einen ganzen Monat lang geschehen ist, passiert nicht einmal in afrikanischen Ländern“, sagte Onischenko. Die Maßnahmen der europäischen Gesundheitsbehörden und anderer europäischer Organisationen seinen unprofessionell und unverantwortlich. (rtr/abendblatt.de)