Harmlose Stoffe wie Pollen lösen Entzündungen aus.. Mit neuen Pfleglotionen und Medikamenten lassen sich Beschwerden meist schnell lindern.

Hamburg. Gesund soll ein Baby sein, behaglich soll es sich fühlen, sorgenfrei ins Leben starten: Mehr wünschen sich frischgebackene Eltern gar nicht. "Und dann das", sagt Ines Acklam, "Milchschorf auf dem Kopf, trockene Haut im Gesicht". Schon wenige Wochen nach der Geburt ihrer Zwillingstöchter Helen und Kate deutete sich an, dass etwas nicht stimmt. Eine Untersuchung beim Kinderarzt brachte Klarheit: Die beiden Mädchen haben Neurodermitis.

Damals habe ihr am meisten die Hilflosigkeit zu schaffen gemacht, mit der sie der Krankheit gegenüberstand, erzählt die 40 Jahre alte Lehrerin aus Hausbruch: "Ich wollte verhindern, dass die Mädchen sich die Haut aufkratzen, es tat mir weh, das mitanzusehen - und ihnen nicht wirklich helfen zu können." Fragen von wildfremden Menschen ("Was haben Ihre Kinder denn da im Gesicht?") machten die Sache nicht leichter. "Die Werbung suggeriert ja, alle Babys hätten eine wunderbar glatte, zartrosa Haut - und diesem Bild entsprachen meine Zwillinge so gar nicht", sagt Acklam. Auch ihr Mann sei damals besorgt gewesen. Ihre älteste Tochter, die heute vierjährige Silva, habe nur leichte Hautprobleme gehabt, die durch normale Pflege verschwanden. "Bewahren Sie die Ruhe", riet der Kinderarzt. Er verschrieb Hautcremes und eine Kortisonsalbe und empfahl unter anderem, die Mädchen weniger zu baden, weil dies die Haut zusätzlich austrocknet, synthetische Kleidung zu vermeiden, weil diese die Schweißbildung begünstigt, was Juckreiz auslösen kann.

Heute sind die Zwillinge zweieinhalb Jahre alt - und ihre Beschwerden sind stark zurückgegangen: Die letzten 50 Gramm Kortisonsalbe reichten für ein ganzes Jahr, so selten musste Acklam das Medikament einsetzen. Sie kann wieder lachen. Beim Fototermin tollen ihre beiden Jüngsten mit der älteren Schwester vergnügt durchs Wohnzimmer. "Ich hoffe", sagt Ines Acklam, "dass die Ekzeme bei Helen und Kate mit zunehmendem Alter ganz weggehen werden."

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Die Hoffnung ist berechtigt: Anders als noch vor zehn Jahren erfährt man heute hauptsächlich ermutigende Nachrichten, wenn man mit Experten über Neurodermitis spricht. Bei etwa 70 Prozent der Kinder, die im ersten oder zweiten Lebensjahr Ekzeme haben, kommt es bis zum vierten Lebensjahr zu einer erheblichen Besserung; bis zum sechsten Lebensjahr verschwinden die Ekzeme bei etwa 70 Prozent der Kinder völlig. Doch trotz dieser guten Aussichten haben es viele Hautärzte immer noch oft mit beunruhigten, ja verzweifelten Eltern zu tun, die längst widerlegte Thesen vortragen: etwa, dass Neurodermitis eine psychosomatische Erkrankung sei. Das ist ein Überbleibsel aus dem 19. Jahrhundert, als Ärzte dachten, die Ekzeme seien auf eine Entzündung der Nerven zurückzuführen, daher die Bezeichnung der Krankheit ("neuron" ist griechisch und heißt Nerv). Die aus der Balance geratene, nervöse Haut als Ausdruck psychischer Probleme - dieser Mythos hat sich bis heute gehalten.

Dabei weiß es die Wissenschaft längst besser: Die Ursache von Neurodermitis liegt im Erbgut. In den vergangenen Jahren haben Forscher etliche sogenannte Risikogene ausgemacht. Diese sorgen normalerweise dafür, dass eine in der äußersten Hautschicht (Epidermis) liegende Barriere die Haut vor Umweltreizen schützt. Sind die Gene jedoch weniger oder stärker aktiv als bei gesunden Menschen, kann es zu Störungen der Hautbarriere kommen.

Ein Beispiel ist die Mutation des Filaggrin-Gens, die bei einem Großteil der Neurodermitis-Patienten vorliegt. Filaggrin ist ein Protein, das in der Epidermis in Aminosäuren aufgespalten wird, die Wasser anziehen und so dazu beitragen, die Feuchtigkeit der Haut zu erhalten. Wird weniger Filaggrin produziert, wird die äußerste Hautschicht trocken und porös - Krankheitserreger haben es leichter, in die Haut einzudringen, es kommt dort schneller zu Infektionen. Weil solche genetischen Fehlfunktionen je nach Patient anders ausfallen, zeigt sich die Krankheit in vielen Formen: Ein Kind hat leichte, flächige Ekzeme, ein anderes rundliche Herde, die schwer entzündet sind.

Alle Betroffenen leiden jedoch unter Juckreiz. Dieser entsteht durch die Freisetzung von Stoffen wie Histamin aus Zellen des Immunsystems, die durch sogenannte Chemokine aus dem Blut übermäßig stark in die Haut gelockt werden. Normalerweise werden die Immunzellen nur angefordert, um Krankheitserreger abzuwehren, doch bei Neurodermitis treten sie auch dann in Aktion, wenn harmlose Stoffe auf die Haut treffen, etwa Pollen, Hausstaub oder Partikel aus Nahrungsmitteln. Diese lösen dann als sogenannte Allergene Beschwerden aus.

Die Therapie der Krankheit ruht auf zwei Säulen. Da ist erstens die Behandlung der Haut. Das zunehmende Wissen über die genetischen Ursachen von Neurodermitis führe zu einem Paradigmenwechsel, sagt Prof. Peter Höger, Chefarzt der Abteilung Dermatologie im Katholischen Kinderkrankenhaus Wilhelmstift: "Früher verordneten Ärzte vor allem mineralische Fette wie Vaseline oder Paraffin. Diese Fettsalben schotten die poröse Haut zwar gegen Umweltreize ab, ersetzen aber nicht das, was ihr fehlt. Heute gehen wir dazu über, fehlende Stoffe auf natürliche Weise zu ersetzen und der Haut bestimmte Funktionen, etwa die Feuchtigkeitsbindung, zurückzugeben, sodass im Idealfall keine neuen Entzündungen mehr entstehen." Bestehende Entzündungen werden für kurze Zeit mit Kortison behandelt. Die Angst vieler Eltern davor sei unbegründet.

Der zweite Teil der Behandlung konzentriert sich darauf, die Faktoren zu identifizieren, etwa Allergene, die akute Beschwerden auslösen können. Der Einfluss dieser und weiterer Faktoren könne bei jedem Kind anders zum Tragen kommen, sagt Prof. Christian Sander, Chefarzt der Abteilung Dermatologie an der Asklepios-Klinik St. Georg. "Das Krankheitsgeschehen ist sehr komplex. Es kann eine Weile dauern, bis die passende Therapie gefunden wird."

Wenn Eltern annehmen, dass ihr Kind an Neurodermitis leidet, sollten sie dies von einem Kinderarzt oder einem Hautarzt abklären lassen. Babys verreiben sich etwa oft Speichel im Gesicht, der Hautrötungen auslösen kann - das ist dann aber keine Neurodermitis. Ausschläge können durch eine Infektion mit Bakterien oder Pilzen verursacht werden. Der Arzt macht einen Abstrich, falls er eine Infektion vermutet, und prüft gegebenenfalls durch einen Pricktest, ob eine Allergie vorliegt, etwa gegen Nahrungsmittel. Keinesfalls sollten Eltern ihre Kinder ohne ärztliche Anleitung auf Diät setzen.

Alle Folgen

28.1. Bauchschmerzen

30.1. Neurodermitis

31.1. Infektionen

1.2. Diabetes

2.2. Asthma und Allergien

3.2. Erkältungen

4.2. Sport und geistige Entwicklung

6.2. Spielen und seine Bedeutung

7.2. Kopfschmerzen

8.2. Ernährung

9.2. Augenkrankheiten

10.2. Unfälle

11.2. Gesundheitsgipfel