Warum Radrennen für Zuschauer so spannend sind. Ein Windstoß, ein Surren, schon ist's vorbei. Genau darum geht es!

Kommst du dieses Jahr wieder Waden gucken?" fragte mich vor Wochen meine französische Freundin Joëlle am Telefon. Wadengucken! Es handelte sich hier bitteschön um meinen alljährlichen, heiligen Kurzurlaub zur Schlußetappe der Tour de France. Eine Angewohnheit, für die sie weder Verständnis aufbringt ("Am Sonntag könnten wir schön auf den Flohmarkt") noch auch nur ein Minimum an Wissen ("Ist dieser Üllrickö wieder dabei?").

Ach, die Arme. Sie ahnt ja nichts von den Glücksgefühlen eines Fans am Rande der Strecke. Nicht nur für die Fahrer, auch für die Zuschauer ist Radsport eine kollektive Strapaze mit anschließender Erlösung: Das stundenlange Warten in der Hitze, ohne zu trinken - bloß nicht den Platz in Reihe eins aufgeben! -, der Lärm aus Dutzenden Lautsprechern, die Fachdiskussionen an der Strecke ("Warum gibt es für die Fahrer keine Knieschützer?") und schließlich, endlich, ein Raunen aus Tausenden Mündern, "Aaaaaah". Ein Windstoß, dann harte, surrende Geräusche auf Teer und Kopfsteinpflaster. Da! Ich hab einen erkannt! Voigt! Da, Zabel, war er das? Zu spät, zu schnell, das Foto verschwommen, auch egal.

Warum guckt man überhaupt Radrennen? Bei der Antwort muß ich weiter ausholen. Von der Wadenobsession war bereits die Rede. Daß die schöne Wade beim Rennfahrer oft mit dem Preis eines Hühneroberkörpers erkauft ist, ist mir egal. Ich habe absolut nichts gegen Hühneroberkörper.

Zweitens: Radsport ist ehrlich. Zumindest theoretisch. Ein dünnes Karbonrähmchen und darauf pure Muskelkraft. Es hat etwas Gladiatorenhaftes, wie sich die Männer die Anstiege heraufquälen und Serpentine um Serpentine bezwingen. Wer jemals am Hügel vor Krüppelshagen vom Rad steigen mußte (ähäm), der weiß, was ich meine. Jedes "Hopphopp!" an der Strecke verbietet sich auf Ewigkeit.

Und drittens, und das ist jetzt privat: Radsport beruhigt - sofern er nicht live ist. Wenn der Sieger feststeht, kann ich entspannt meine TV-Aufzeichnungen gucken. Frühjahrsklassiker, Giro, Tour, Cyclassics und Vuelta schaue ich noch wochenlang an.

Einmal habe ich mich in diesem Jahr vertan. Ausgerechnet am Tour-Sonnabend, als Jens Voigt gewann, hab ich nicht mitgeschnitten. Zum Glück konnte ich es abends in der Wiederholung auf Eurosport aufzeichnen. "Du hast waaaaas?", empörte sich mein Gatte, "die Boxkampf-Programmierung gelöscht wegen der blöden Tour??!" Nun ja. Jens Voigt hielt ich historisch für ungleich wichtiger als Felix Sturm.

Wenn alle Radrennen gefahren sind, beginnt der lange, graue Herbst. Dann werde ich meine Lichtlampe herausholen, um die depressive rennfreie Zeit bis ins Frühjahr zu überbrücken.