Hamburg. Die Botschaft von „The Game Changers“: Das volle Leistungsspektrum können wir nur abrufen, wenn wir auf tierische Lebensmittel verzichten.

Die Ernährungsdoku „The Game Changers“ auf Netflix sorgt für Furore. Die Botschaft: Unser volles Leistungsspektrum können wir nur abrufen, wenn wir auf Fleisch und tierische Lebensmittel verzichten. Schlimmer noch, sie machen uns sogar krank. Aber wie seriös ist diese Dokumentation? Ist ein veganer Lebensstil wirklich gesünder? Und können Profisportler bei einer veganen Ernährungsweise tatsächlich dauerhaft ihre beste Leistung bringen?

„Ich musste mir immer anhören: Du kannst vegan nicht schlank und muskulös werden, weil du zu viele Kohlenhydrate isst. Aber mein Körper beweist das Gegenteil.“
Mischa Janiec, Bodybuilder, in „The Game Changers“

Die Wissenschaftler in der Netflix-Doku „The Game Changers“ staunten nicht schlecht, als der Computer die Ergebnisse ihrer archäologischen Knochenanalyse ausspuckte. Mit den Gladiatoren der Antike hatten sie bisher vor allem mutige Muskelberge assoziiert, die in den Arenen des Römischen Reiches regelmäßig ihre Höchstleistungen erbrachten. Doch die Spurenelemente, die sie in den Knochen aus dem bekannten Gladiatorenfriedhof bei Ephesos (in der heutigen Türkei) fanden, förderten eine verblüffende Erkenntnis zutage: Die römischen Leistungssportler ernährten sich überwiegend vegetarisch. Auf dem Speiseplan standen der Analyse zufolge Getreidegerichte und fleischlose Kost, vor allem Bohnen und Hülsenfrüchte. Das wirft ein neues Licht auf die Frage, die Sportler und Forscher gleichermaßen seit Langem beschäftigt: Kann ein Athlet genügend Energie aus fleischloser Ernährung gewinnen?

„The Game Changers“ nimmt dazu eine eindeutige Position ein: Erst der Verzicht auf Fleisch lässt Höchstleistungen im Profisport überhaupt zu. Der Film trifft absolut den Nerv der Zeit. Er ging viral und sorgt seit Monaten für heftige Diskussionen. Bislang war die Annahme weit verbreitet, dass Sportler Proteine in Form von Steak und Hühnchen brauchen, um Energie zu gewinnen. Dr. James Loomis, der als Arzt verschiedene US-Footballmannschaften betreut, kennt die Fleischberge, die Sportler vor Wettkämpfen verdrücken, um ihre Leistungen abzurufen.

Doch er räumt mit diesem Vorurteil in „The Game Changers“ gründlich auf. „Den Großteil der Energie bekommen wir aus Kohlenhydraten in Form von Glykogen, das in Leber und Muskeln gespeichert wird“, erklärt er. Wenn wir an Kalorien aus Kohlenhydraten sparen, um stattdessen mehr Kalorien aus Proteinen zu uns zu nehmen, passiere Folgendes: „Wir entwickeln einen chronischen Glykogenmangel. Das führt zu chronischer Müdigkeit und verminderter Ausdauer.“ Ist die Menschheit seit Anbeginn ihrer Existenz einem Irrtum aufgesessen, und erst eine Netflix-Doku hat sie aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt?

„Erst mal habe ich auf Milchprodukte verzichtet und dann immer weniger Fleisch gegessen. Wenn ich mich nicht vegan ernähre, geht es mir nicht gut.“
Luca Waldschmidt, Fußballprofi bei Bayer 04 Leverkusen

Die negativen Folgen des Fleischkonsums

Der Film porträtiert verschiedene vegan lebende Spitzensportler, darunter einen Boxer, eine Radfahrerin und mehrere Bodybuilder. Anhand verschiedener Tests bekommen wir aufgezeigt, welche negativen Auswirkungen Fleischkonsum haben kann. Als Folgen bestätigen Experten unter anderem verengte Blutgefäße, viel zu hohe Cholesterinwerte, eine deutlich schlechtere allgemeine Fitness sowie ein stark erhöhtes Krebs- und Herzinfarktrisiko. Ein besonders beeindruckendes Beispiel liefert hier der Mixed-Martial-Arts*-Kampfsportler James Wilks. Nach einer Verletzung verzichtet er auf tierische Produkte und erholt sich dadurch sehr schnell. Ein weiterer Effekt: Im Krafttraining schafft er plötzlich dreimal so viele Wiederholungen wie zu jener Zeit, als er noch dreimal pro Tag Fleisch verzehrte. Reihenweise bestätigen Experten im Film ähnlich positive und verjüngende Auswirkungen einer pflanzenbasierten Ernährung auf den menschlichen Organismus.

*Mixed Martial Arts (MMA) sind „gemischte Kampfkünste“ mit Techniken aus asiatischen wie auch westlichen Kampfsportarten

Ist der Film zu einseitig?

So überzeugend die Ergebnisse auch dargestellt werden, liegt hier zugleich das größte Manko der Doku: Viele Studien, Grafikanimationen oder auch die spektakulären Miniexperimente des Films werden wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht. Zudem werden nur die Pro-Argumente aus Studien herausgepickt und die Ergebnisse häufig verdreht präsentiert. Dabei hätte „The Game Changers“ das sehr einseitige, unwissenschaftliche Vorgehen überhaupt nicht nötig: Die positiven Effekte veganer Ernährung auf unsere Gesundheit sind durch zahllose Studien bestätigt. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge haben bis zu 70 Prozent der chronischen Erkrankungen ihre Ursachen in unserer Ernährung.

Andreas Michalsen, Professor für Klinische Naturheilkunde an der Charité Berlin und Chefarzt des Zentrums für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin, behandelt Krankheiten wie Arthrose, Rheuma, Depressionen und Arterienverkalkung fast ausschließlich mit einer Umstellung auf vegetarische oder vegane Kost – und erzielt beispiellose Erfolge. „Die Bedeutung der Gene ist für die Gesundheit weniger wichtig, als wir denken, stattdessen sind Ernährung und Lebensstil für die meisten chronischen Erkrankungen maßgeblich“, sagt Michalsen (aktuelles Buch: „Mit Ernährung heilen“).

„Der Film hat den Anschein einer Dokumentation, ist in Wahrheit aber ein Propagandafilm, der die Vorteile einer veganen Lebensweise darstellen soll. ‚The Game Changers‘ vermischt einige richtige Aussagen mit sehr viel Pseudowissenschaft bis hin zu absoluten Falschaussagen.“
Julia Tulipan, Biologin und Ernährungsmedizinerin (Auf ihrem Youtube-Kanal analysiert sie ausführlich die wichtigsten Aussagen der Netflix-Doku – Titel: „Richtigstellung“)

Überzeugte Spitzensportler

Aber funktioniert das auch für Athleten? Können vegan lebende Sportler wirklich eine beeindruckende Menge an Muskelmasse und Kraft aufbauen, wie es „The Game Changers“ suggeriert? Tatsächlich gibt es auch in Deutschland unzählige Profisportler, die auf tierische Nährstoffe verzichten. Fußballer wie Mitchell Weiser (Bayer Leverkusen) und Luca Waldschmidt (SC Freiburg) leben seit Jahren vegan. Auch der Kraftsportler Patrik Baboumian, einst „stärkster Mann der Welt“, und Bodybuilder Karl Ess, Vorreiter der veganen Natural-Body-Forming-Szene, sind überzeugte Veganer und lebende Beweise dafür, dass es keiner tierischen Nährstoffe bedarf, um athletisch auszusehen und Topleistungen abzurufen.

Allerdings müssen die Lebensmittel deutlich sorgfältiger ausgewählt werden, als es bei einer Mischkost der Fall wäre. Denn natürliche pflanzliche Proteinquellen wie Hülsenfrüchte, Nüsse oder Tofu enthalten im Vergleich zu vielen tierischen Proteinträgern deutlich mehr Fett und Kohlenhydrate pro 100 Gramm Protein. Wer da beim Muskelaufbau nicht gleichzeitig dick werden will, zum Beispiel weil er zu wenig der zugeführten Nährstoffe verbrennt, muss aufpassen und seine ausgewogenen Mahlzeiten sorgfältig planen. Ohne Nahrungsergänzungen wie Proteinpulver ist es fast unmöglich, auf die optimale Proteinmenge zu kommen und gleichzeitig nicht zu viele Kalorien aufzunehmen. Davon erzählt der Netflix-Film allerdings nichts. Auch nicht von den Tausenden Spitzensportlern, die auch ohne Umstellung auf eine vegane Ernährung Höchstleistungen erbringen.

Denn mehr noch als Fleisch sind stark verarbeitete Lebensmittel das Problem vieler Ernährungspläne: Pommes und diverse Schokoriegel sind zwar vegan, enthalten aber ungesunde Transfette. Eine Ernährung, die auf tierische Produkte verzichtet, ist daher nicht automatisch gesund. „Auch vegetarische oder vegane Kost kann sehr ungesund sein, wenn sie überwiegend aus Nudeln, Süßspeisen und Fertigprodukten besteht“, sagt Prof. Dr. Andreas Michalsen. „Ernährt man sich aber vielfältig vegan, ist das hervorragend gesund.“ Das gilt für Athleten ebenso wie für Normalsterbliche.

Nie wieder Milch oder Fisch?

Fakt ist: Es gibt nicht die eine, einzigartige Ernährungsweise, die für jeden funktioniert. Doch Vegetarier, die Milch und Fisch konsumieren, haben erwiesenermaßen deutlich bessere Chancen, einen Nährstoffmangel zu verhindern. Fakt ist aber auch: Pflanzen können eine gute Proteinquelle sein – auch für Leistungssportler. Sie müssen sich nur besser mit den Inhaltsstoffen von Lebensmitteln auskennen. Sonst kann es ihnen ergehen wie einst den Gladiatoren. Die lebten zwar vegan, aber sie waren: fett. Aus gutem Grund, die Fettschicht sollte sie – bis zu einem gewissen Grad – vor Hieben und Schlägen schützen. Aber mopsige Gladiatoren passen – natürlich – nicht ins Bild der „Game Changers“-Macher.

„Mir geht es so gut wie noch nie in meinem ganzen Leben. Ich fühle mich unglaublich rein und gesund.“
Lewis Hamilton, vegan lebender mehrfacher Formel-1-Weltmeister in „The Game Changers“

THE GAME CHANGERS

Netflix-Sportdoku von 2018, Regie: Louie Psihoyos, produziert von Jackie Chan, Arnold Schwarzenegger und James Cameron.

Der Hauptdarsteller: James Wilks

„Dass Gladiatoren sich von Pflanzen ernährten, widerspricht allem, was ich über Ernährung wusste.“

Der Brite ist MMA**-Fighter und trainiert Eliteeinheiten. Als ihn eine Verletzung ausbremst, sucht er nach einem Weg, um schnell wieder auf die Beine zu kommen. Fünf Jahre lang widmet er sich den Studien von Ernährung und Erholung. Er kommt zu dem Schluss, dass man auf tierische Proteine komplett verzichten kann.

Der Terminator: Arnold Schwarzenegger

„Je älter ich wurde, umso mehr stellte ich fest, dass man kein tierisches Protein braucht.“

Der ehemalige „Mister Universum“ aß viel Fleisch und zehn bis 15 Eier am Tag. Dann stellte er seine Ernährung um und verzichtete auf Fleisch. Sofort verbesserten sich seine Cholesterinwerte. Mit 69 Jahren sind sie so niedrig wie noch nie in seinem Leben. Seit 2016 lebt Schwarzenegger eigenen Angaben zufolge „fast vegan“.

Die Radrennfahrerin: Dotsie Bausch

„Als ich zu einer rein pflanzlichen Ernährung wechselte, wusste ich nicht, ob ich das überleben würde.“

Stattdessen wurde die acht-fache US-Meisterin im Radrennen und zweifache panamerikanische Goldmedaillengewinnerin zu einer Maschine: Statt 150 Kilo auf der Beinpresse schaffte sie plötzlich fünf Sets von 60-mal 290 Kilo.

Die Olympionikin: Morgan Mitchell

„Viele zweifelten an meiner Entscheidung, Veganerin zu werden. Aber mein Energieniveau stieg erheblich.“

Morgan Mitchell sprintet über 400 und 800 Meter. Die Australierin nahm 2016 an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro teil.

Der Weltrekordler: Patrik Baboumian

„Ich wurde mal gefragt, wie ich so stark wie ein Ochse sein kann, ohne Fleisch zu essen. Da habe ich geantwortet: ‚Hast du jemals einen Ochsen Fleisch essen sehen?‘“

Der Deutsch-Armenier ist einer der stärksten Männer der Welt und hält diverse Rekorde, etwa im Fronthold, Bierfassstemmen und Loglift. In der Doku trägt er 555 Kilo zehn Meter weit. 2005 hörte er auf, Fleisch zu essen, seit 2011 ist er Veganer.

Was stimmt nun? Der Faktencheck

Fleisch ist ebenso schädlich für den Körper wie Zigaretten
Viele Studien deuten darauf hin, dass ein reduzierter Fleischkonsum gesünder ist. 2015 stufte die Weltgesundheits-organisation WHO gesalzenes, gepökeltes oder geräuchertes Fleisch, wie etwa in Wurstwaren oder Schinken, als sicher krebserregend und rotes Fleisch als wahrscheinlich krebserregend ein. Damit steht verarbeitetes Fleisch auf einer Gefährdungsstufe mit Zigaretten.

Wir brauchen kein tierisches Protein, um Bestleistung abzuliefern
Stimmt! Aber es erleichtert die Sache. Tierisches Protein ist für Menschen einfacher zu verwerten. Pflanzliches Protein muss für die gleiche Qualität auf geschickte Weise miteinander kombiniert werden.

Bis zu knapp 40 Prozent der Menschen, auch Fleischesser, haben zu wenig B12
Richtig! Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen Fleischverzehr und dem B12-Pegel. Über Nahrungsergänzungsprodukte lässt sich der Mangel ausgleichen.

Wer Lust auf ein paar vegane Rezepte bekommen hat, wird hier fündig:

Alle veganen Rezepte auf einen Blick:

Mandelpolenta mit Caponata
Mandelpolenta mit Caponata © Foto & Credit: Eat Club
Quiche mit Cashewguss und Röstkichererbsen
Quiche mit Cashewguss und Röstkichererbsen © Foto & Credit: Eat Club
Veganer Bohnenburger
Veganer Bohnenburger © Foto & Credit: Eat Club
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