Erst nachdem die Uno und der Westen Zehntausende Bosnier im Stich gelassen hatten, änderte sich das Denken in der Weltpolitik.

Hamburg. Offiziere prosten sich mit einem Glas Schnaps zu. Keine ungewöhnliche Geste bei Militärs - nach gemeinsamen Manövern, im Kasino beim geselligen Abend - oder auch nach einer gewonnenen Schlacht. Aber mitten in einem Schlachten von Zivilisten? Und dann zwischen einem Täter und einem, der die Opfer beschützen sollte?

Das Foto, das nach dem 11. Juni 1995 um die Welt ging, zeigt den zufriedenen General der bosnischen Serben, Ratko Mladic, der einen Toast auf "ein langes Leben" ausbringt, und den verlegen dreinblickenden niederländischen Kommandeur der Uno-Truppen, Ton Karremans, nach der Einnahme von Srebrenica. Es zeigt die Hilflosigkeit der Weltgemeinschaft, das Versagen von Uno, Nato und EU angesichts der Kriegsverbrechen auf dem Balkan. Und es sollte die Einstellung des Westens und mancher Pazifisten grundlegend verändern.

Srebrenica war bis zum Ausbruch des Krieges 1992 eine kleine, unbedeutende Stadt mit 6000 überwiegend moslemischen Einwohnern im Osten Bosnien-Herzegowinas. Als die Feindseligkeiten begannen, versuchten zunächst die Moslems, ihre in serbischem Siedlungsgebiet gelegene Enklave zu vergrößern und sich aus der Umklammerung zu befreien. Das misslang, und in der Folge strömten immer mehr Flüchtlinge in den immer enger werdenden Kessel von Srebrenica. Schließlich waren im Frühjahr 1993 40 000 Menschen hier zusammengepfercht. Trinkwasser- und Stromversorgung brachen weitgehend zusammen, Lebensmittel und Medikamente wurden knapp. Die Uno reagierte mit der Resolution 819 und erklärte Srebrenica und die umliegende Region zur Schutzzone. Die ersten Blauhelme wurden entsandt, 170 Soldaten, hauptsächlich Kanadier. Weitere Resolutionen folgten und im Frühjahr 1994 schließlich auch ein niederländisches Bataillon. Dem sogenannten Dutchbat war inzwischen immerhin erlaubt worden, seine Waffen zur Selbstverteidigung zu benutzen.

Die Lage in Srebrenica wurde nicht besser. Ab Herbst sendeten der Bürgermeister Osman Suljic und der Krankenhausdirektor Avdo Hasanovic immer wieder verzweifelte Funksprüche in die Welt: "Wir brauchen Lebensmittel, Medikamente, Seuchen brechen aus." Nichts kam an. Schließlich funkte Suljic: "Es ist viel schlimmer, langsam zu verhungern oder zu erfrieren, als schnell getötet zu werden."

Mit seiner "Direktive Nr. 7" vom 8. März 1995 leitete Radovan Karadzic, damals Präsident der Republik Srpska, das Ende von Srebrenica ein. Die Armee seiner Republik sollte den Ring immer enger schließen. Am 6. Juli schließlich begann der direkte Angriff. Oberst Karremans forderte beim Uno-Kommando Luftunterstützung an, nachdem Flüchtlinge unter seiner Obhut beschossen wurden. Nichts geschah.

Inzwischen wurden auch die Stellungen von Karremans' Soldaten unter Feuer genommen. Erneut forderte der Niederländer Luftunterstützung an. Zunächst passierte nichts, weil er ein falsches Formular verwendet haben soll. Als dann doch Nato-Flugzeuge serbische Panzer angriffen, drohte Mladic mit der Ermordung gefangen genommener niederländischer Soldaten. Das Ende der Luftunterstützung. Das Ende der Enklave Srebrenica. Innerhalb der nächsten 30 Stunden wurden 23 000 Frauen und Kinder mit Bussen und Lkw weggebracht. Karremans nennt das später angeblich "eine logistische Meisterleistung". Die Vereinten Nationen bezahlten das Benzin.

Die Männer wurden von ihren Familien getrennt. Um nach Kriegsverbrechern zu suchen, wie die Serben gegenüber Karremans behaupten. Noch heute werden in der Umgebung Srebrenicas Massengräber gefunden. Etwa 8000 Männer sind vermutlich hier umgebracht worden. Die 400 niederländischen Soldaten bekamen später einen Orden für ihre schwierige Mission an die Brust geheftet, und die Regierung von Ministerpräsident Wim Kok trat nach der Untersuchung der Vorgänge von Srebrenica zurück.

Erst diese traurige Bilanz und die Blamage des gesamten Westens durch ein paar mörderische Nationalisten vom Schlage eines Mladic oder Karadzic haben dazu geführt, dass die Völkergemeinschaft schneller und konsequenter zu bewaffneten Friedensmissionen bereit war - im Kosovo und auch in anderen Teilen der Welt.