Hamburg. Der frühere Bremer Bürgermeister Hans Koschnick (79) war von 1994 bis 1996 EU-Verwalter in der bosnischen Stadt Mostar. Das Abendblatt sprach mit ihm über Karadzics Verhaftung.


Hamburger Abendblatt:

Was haben Sie empfunden, als Sie von der Festnahme gehört haben?

Hans Koschnick:

Zunächst einmal Unsicherheit. Aber dann hat sich ja die Nachricht bewahrheitet. Jetzt gibt es eine Chance, dass die aufgewühlten Leidenschaften der Bosniaken und Kroaten in Bosnien gedämpft werden. Es gibt eine Chance, dass den Frauen von Srebrenica und allen Opfern des Krieges Gerechtigkeit zuteil werden kann.



Abendblatt:

Sie haben häufig die These vertreten, dass der Krieg in Bosnien-Herzegowina erst zu Ende ist, wenn Karadzic und Mladic gefasst sind.

Koschnick:

Das stimmt. Aber nicht nur, weil sie die allein Schuldigen sind, auch wenn sie schreckliche Taten begangen haben. Es gibt auf allen Seiten Schuldige. Aber Karadzic und Mladic sind die Hauptverantwortlichen für die Geschehnisse in Bosnien-Herzegowina. Und die Möglichkeit, dass die beiden Männer davongekommen wären, unbedeutendere Täter aber verurteilt worden wären, wäre bei den Opfern des Krieges auf allen Seiten auf Unverständnis gestoßen.



Abendblatt:

Also ist die Verhaftung von Karadzic eine Chance für Aussöhnung in Bosnien.

Koschnick:

Vorerst möchte ich von Normalisierung sprechen, denn Aussöhnung ist ein ganz schwieriges Unterfangen, weil es die Bereitschaft voraussetzt, sich an bestimmte Dinge nicht mehr zu erinnern. Die Aufarbeitung der Geschehnisse wird noch einige Jahre dauern. Aber es muss eine Form des normalen Zusammenlebens der Menschen in Bosnien-Herzegowina geben. Und solange die Hauptverantwortlichen vor der Strafverfolgung geschützt werden, können die Opfer nicht auf Zukunft setzen.



Abendblatt:

Steht jetzt auch die Verhaftung von Ratko Mladic unmittelbar bevor?

Koschnick:

Er wird wohl noch stark vom Militär geschützt. Karadzic war Zivilist, Mladic ist einer der Ihrigen. Alte Kriegskameradschaft ist langlebig. Aber Karadzic ohne Mladic ist nur die halbe Lösung für eine Normalisierung auf dem Balkan.