Reaktionen auf den EU-Bericht: Von “historisch“ über “sehr klug“ bis “politisch falsch“.

Berlin/Hamburg. Die Empfehlung der EU-Kommission für Beitrittsgespräche mit der Türkei ist in Deutschland auf ein geteiltes Echo gestoßen. Während die Bundesregierung den Beschluß begrüßte und den Bericht als "sehr klug" lobte, stieß er in der Union auf scharfe Ablehnung und Empörung. Auch Grüne und FDP unterstützten die Entscheidung für die Türkei. Türkische Organisationen reagierten erleichtert und äußerten die Hoffnung, daß nun auch die Integration von Türken in Deutschland vorankomme.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sprach von einem "sehr seriösen, guten Bericht" der EU-Kommission. Es bestehe kein Grund zur Angst vor einem türkischen EU-Beitritt, sagte der Kanzler am Rande seines Besuches in Neu-Delhi. An die Adresse der Kritiker auch in der SPD fügte er hinzu: "Die Skeptiker können beruhigt sein, denn es sind lange Übergangsfristen vorgesehen." Er werde bei dem EU-Gipfel im Dezember für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen stimmen.

Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) bezeichnete den Türkei-Bericht als "sehr klug" und den Beschluß als "sehr an der Sache orientiert". Die politischen Risiken in dem Prozeß blieben kalkulierbar. Auch die grüne Fraktion begrüßte den Beschluß, Fraktionschefin Krista Sager und Europaexperte Rainder Steenblock erklärten aber auch, daß Beitrittsverhandlungen "keine Einbahnstraße zum EU-Beitritt" seien. Auch die SPD-Außenexperten Gernot Erler und Gert Weisskirchen betonten, Verhandlungen könnten auch wieder ausgesetzt werden.

CDU-Chefin Angela Merkel sprach von einem "Beschluß voller Selbstzweifel". Wie Merkel forderte auch der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber für die Türkei eine "privilegierte Partnerschaft" an Stelle eines EU-Beitritts. Unionsfraktionsvize Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, es bestünden weiterhin "bemerkenswerte Zweifel" an einer Beitrittsfähigkeit der Türkei. Der CDU-Europaexperte Peter Hintze kündigte an, die Union wolle zu der Türkei-Frage ein Bundestagsvotum vor dem 10. Dezember erzwingen.

Auch der Hamburger CDU-Europaabgeordnete Georg Jarzembowski kritisierte die Brüsseler Entscheidung als "sachlich und politisch falsch". Die Türkei "erfüllt nicht die politischen Kriterien von Kopenhagen", sagte Jarzembowkski dem Hamburger Abendblatt. "Eine Aufnahme der Türkei würde die EU überfordern."

"Ich freue mich, daß die Kommission heute eine weise Entscheidung getroffen hat", sagte dagegen der SPD-Europaabgeordnete Vural Öger dem Abendblatt. "Sie ist von historischer Tragweite." Für Deutschland und Europa sei eine EU-Mitgliedschaft der Türkei eine Bereicherung, auch wenn die Verhandlungen lange dauern würden.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Hakki Keskin, erklärte in Hamburg, er rechne mit einer unverzüglichen Umsetzung der eingeleiteten Reformen in der Türkei. Aus anderen EU-Hauptstädten kamen zu der Türkei-Empfehlung weitgehend positive Kommentare. Der dänische Regierungschef Anders Fogh Rasmussen plädierte aber für "ausgesprochen lange Beitrittsverhandlungen".