“Ankara hat die politischen Voraussetzungen ausreichend erfüllt.“

Brüssel. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi spricht von einem "bedingten Ja" in Richtung Türkei. Die wichtigsten Punkte aus dem Brüsseler Bericht:

Die Kommission kommt zu dem Schluß, "daß die Türkei die politischen Voraussetzungen ausreichend erfüllt" und empfiehlt daher die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen . Gleichzeitig warnt sie, daß die Gespräche jederzeit ausgesetzt oder gar abgebrochen werden können: Im Falle eines "ernsten oder andauernden Verstoßes gegen die Prinzipien der Freiheit, Demokratie, der Einhaltung der Menschenrechte und Grundrechte und der Herrschaft des Rechts, auf dem die Union sich gründet", werde die Kommission die Aussetzung der Verhandlungen empfehlen. "Das Ziel, nämlich der Beitritt, ist klar, aber er kann nicht im voraus garantiert werden."

Zur Dauer der Verhandlungen macht die Kommission keine Angaben. Die notwendigen Vorbereitungen für einen Beitritt würden aber "gut bis ins kommende Jahrzehnt hinein" dauern. "Das Tempo der Reformen wird den Fortschritt bei den Verhandlungen bestimmen." Es liege in der Natur der Sache, daß es ein offener Prozeß ist. "Unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen oder einem anschließenden Ratifizierungsprozeß muß sichergestellt werden, daß die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei vollkommen in den europäischen Strukturen verankert bleiben."

Die Kommission bescheinigt der Türkei "beachtliche" Fortschritte bei der Anwendung internationaler Menschenrechtskonventionen . Zugleich verweist sie auf 388 Einzelklagen wegen Verstößen gegen die Menschenrechte zwischen Januar und Juni 2004.

In der Türkei gibt es nach Ansicht der Kommission zwar keine "systematische" Folter mehr. Jedoch gebe es nach wie vor "zahlreiche Fälle" von Folter und Mißhandlungen; "weitere Bemühungen" seien nötig, um solche Praktiken auszurotten. Hier müsse die Politik der Nulltoleranz umgesetzt werden.

Das soeben verabschiedete neue Strafrecht bewertet der Bericht als "fortschrittlich" hinsichtlich der Frauenrechte , weil es Verbrechen wie Ehrenmorde an Frauen, sexuelle Übergriffe und sogenannte Jungfrauentests angehe. Es bedürfe aber noch "substantieller Bemühungen" für eine Gleichstellung der Frauen in der Gesellschaft.

Im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit hätten Verfolgungen und Verurteilungen abgenommen. Es gebe aber noch eine "bedeutende" Anzahl von Fällen, in denen friedliche Meinungsbekundungen verfolgt und bestraft würden.

Die Religionsfreiheit sei zwar in der Verfassung garantiert, nicht-moslemische Glaubensgemeinschaften würden aber behindert.

Bei der Pressefreiheit kritisiert Brüssel, daß immer noch Journalisten, Schriftsteller und Herausgeber aus Gründen verurteilt würden, die den Standards des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entgegenstünden.

Trotz Fortschritte im Kampf gegen die Korruption bleibe die Bestechlichkeit ein "sehr ernsthaftes Problem" in der Türkei.

Die Kontrolle ziviler Institutionen über das Militär wurde laut dem Kommissionsbericht verstärkt. Über "informelle Mechanismen" übten die Streitkräfte aber nach wie vor "Einfluß" aus.