Zuwanderungsregeln sollten laut DIW-Chef Zimmermann offener sein. Nach der heftigen Kritik ging Seehofer gestern Vormittag in die Offensive.

Berlin. Sich auch noch entschuldigen, wie es die Grünen und die Türkische Gemeinde fordert, will er nicht. Im Gegenteil: Nach der heftigen Kritik von allen Seiten ging CSU-Chef Horst Seehofer gestern Vormittag in die Offensive. Er habe sich "ausschließlich mit der Forderung nach Erleichterungen für den Zuzug von Fachkräften beschäftigt", sagte Seehofer in München. Zuallererst müsse in Deutschland dafür gesorgt werden, dass die hier lebenden Arbeitslosen in Arbeit kommen. "Ich habe - und das ist meine Pflicht - ganz sachlich Fragestellungen für die Zukunft beschrieben, auch Schwierigkeiten, die wir zu bewältigen haben." Das Wort "Zuwanderungsstopp" habe er nicht in den Mund genommen.

Der bayerische Ministerpräsident hatte sich im "Focus" gegen eine weitere Zuwanderung aus "anderen Kulturkreisen" gewandt. "Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun", hatte er gesagt. Auf die Frage, welche Schlüsse er daraus ziehe, antwortete Seehofer: "Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine weitere Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen."

Ein Satz, der auch innerhalb der Koalition für Irritationen und Widerspruch sorgte - nur nicht bei der Bundeskanzlerin. Angela Merkel ließ erklären, es bestehe "kein Dissens" zwischen ihr und dem bayerischen Ministerpräsidenten. Die stellvertretende Regierungssprecherin Sabine Heimbach sagte in Berlin, Merkel habe routinemäßig mit Seehofer telefoniert, und er habe ihr seine Motivation und seine Betrachtung der Dinge geschildert. "Das war für sie nachvollziehbar", sagte Heimbach. Es bestehe auch kein Zweifel daran, dass Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen in Deutschland willkommen seien, sagte Heimbach. "Dieser Äußerung bedurfte es nicht."

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, forderte unterdessen noch viel offenere Zuwanderungsregeln für Deutschland. "Tatsächlich haben derzeit bestimmte Zuwanderungsgruppen größere Schwierigkeiten als andere, sich in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren", sagte Zimmermann dem Abendblatt. "Das ist aber die Folge einer falschen Integrations- und Selektionspolitik. Es war ein Fehler, Zuwanderer als Gäste zu betrachten und die arbeitsmarktorientierte Zuwanderung 1973 in einer Wirtschaftskrise ganz zu stoppen."

So seien insbesondere Menschen aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien in Deutschland geblieben und hätten ihre Familien nachgeholt, weil sie keine Chancen gehabt hätten, nach einem Wegzug wieder nach Deutschland zurückzukehren, ist Zimmermann überzeugt. Je offener die arbeitsmarktorientierten Zuwanderungsregeln seien, umso besser passten Zuwanderer zum Arbeitsmarkt. Der Ökonom betonte zugleich: "Je größer der kulturelle Abstand zum Aufnahmeland, je stärker sind auch typischerweise die Integrationsanstrengungen." Araber und Türken seien deshalb für den deutschen Arbeitsmarkt nicht generell schwerer tauglich, "das wäre ein schweres Missverständnis", so Zimmermann. Der DIW-Chef forderte eine weitaus engere arbeitsmarktpolitische Zusammenarbeit mit der Türkei als bisher: "Tatsächlich ist etwa die Türkei in der längeren Sicht ein gutes Partnerland für einen flexiblen Arbeitsmarkt. Die Türkei sollte deshalb in die Europäische Union aufgenommen werden."

Zimmermann räumte zugleich ein, dass "der überwiegende Teil der Bevölkerung" die Lösung des Fachkräftemangels durch Zuwanderung ablehne. "Die Politik orientiert sich an diesen Stimmungen, statt die Notwendigkeit für Zuwanderung zu erläutern, und sichert sich so womöglich die nächste Wiederwahl", kritisierte der Ökonom. Zimmermann ist deshalb überzeugt: "Dass sich daraus eine Schwächung unserer Wirtschaft und letztlich auch der Gesellschaft ergibt, wird sich erst langfristig zeigen."

Gerade eine integrative, harmonisch organisierte Zuwanderung lasse sich nicht wie ein Wasserhahn auf- aber auch nicht zudrehen. "Wir werden die Konsequenzen einer restriktiven Zuwanderungspolitik in einigen Jahren negativ spüren", so der DIW-Präsident.

Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, plädierte dafür, gezielt um hoch qualifizierte Zuwanderer zu werben - ohne die Herkunft zum Maßstab zu machen. Nach Überzeugung von Weise ist eine gesteuerte Einwanderung ausländischer Spitzenkräfte unumgänglich, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Die Forderung der Union, entsprechendes Personal in erster Linie aus den bestehenden Langzeitarbeitslosen zu rekrutieren, bezeichnete der BA-Chef als unrealistisch. "Fachkräfte für sehr qualifizierte Jobs sind aus dieser Gruppe kaum zu gewinnen", sagte Weise der "Süddeutschen Zeitung". Nötig sei stattdessen "eine gesteuerte Zuwanderung, etwa mithilfe eines Punktesystems wie in Kanada".

Dem stimmte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gestern zu. Er sprach sich in der ARD für "geordnete Einwanderung" aus. Es sei das legitime Recht Deutschlands, wie anderer Länder zu entscheiden, "wen wir einladen, zu uns zu kommen und wen wir nicht einladen". Dabei hätten sich Punktesysteme wie etwa in Kanada bewährt, sagte Brüderle.