Die Kritik an dem Projekt könnte einem Bündnis aus SPD und Grünen in Baden-Württemberg zum Regierungswechsel verhelfen.

Stuttgart/Hamburg. Die Live-Aufnahmen von Robert Schrem haben in den vergangenen vier Tagen 170.000 Menschen gesehen. Der 41 Jahre alte Diplomingenieur arbeitet im Haus der früheren Bundesbahndirektion. Mit einer Kamera nimmt er den Abriss des Nordflügels des Stuttgarter Bahnhofs von seinem Büro aus auf und stellt die Bilder ins Internet.

Schrem dokumentiert vor allem aber die Proteste gegen das milliardenteure Bahnprojekt Stuttgart 21 . Und in seinen Bildern spiegelt sich ein Protest, der allmählich eine historisch gewachsene Machtbastion der CDU in Baden-Württemberg untergräbt. Seit Gründung des Bundeslands 1952 stellt die Partei im Landtag den Ministerpräsidenten. Jetzt kann Stuttgart 21 ein Bündnis aus SPD und Grünen in den Bereich des Möglichen bringen. Nach einer Forsa-Umfrage für den "Stern" katapultiert der Streit die Grünen nach vorne. Zugleich muss das bisherige Regierungsbündnis aus CDU und FDP herbe Verluste hinnehmen. Die CDU von Ministerpräsident Stefan Mappus käme nur auf 37 Prozent.

"Lügenpack!" und "Mappus raus!", skandierten Gegner des Bahnprojekts gestern vor dem Amtssitz von Mappus. Unter dem Motto "Mappus, tritt unsere Argumente nicht mit Füßen" warfen die Demonstranten dann ihre Schuhe auf das abgesperrte Gelände vor dem Eingang. Mappus war zu dem Zeitpunkt am Bodensee auf seiner Sommertour.

Nach einer Forsa-Umfrage sind 51 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg gegen Stuttgart 21, nur 26 Prozent dafür. CDU-Generalsekretär Thomas Strobl sieht darin ein "Warnsignal". Auch Robert Schrem gehört zu den Gegnern. Auf seiner Internetseite stellt er die Argumente der "S21"-Befürworter seinen Ansichten gegenüber. Bis heute seien die Risiken aufgrund von 60 Kilometern Tunnel durch schwierigstes Gebirge mit Höhlen nicht abschätzbar, schreibt er. Den Zorn müssten "wir kreativ nutzen und die Wut meiden". Die Idee mit der Webcam ist kreativ - und kommt gut an. Allein 300 bis 400 Zugriffe aus Japan habe er registriert, sagt Schrem. Sogar Fernsehsender hätten seine Aufnahmen schon gesendet.

Nutznießer dieser Stimmung gegen "S21" sind vor allem die Grünen, die sich von Beginn an als einzige Landtagspartei klar gegen das Bahnprojekt gestellt haben. Sie erreichen aktuell 24 Prozent, 13,3 Prozentpunkte mehr als bei der Landtagswahl 2006 und ebenso viel Prozent wie die SPD. Mit 48 Prozent liegt Rot-Grün deutlich vor der CDU/FDP-Koalition (43 Prozent).

In Tübingen, Freiburg und Konstanz stellen die Grünen bereits die Oberbürgermeister. Dass der Stuttgarter CDU-Amtsinhaber Wolfgang Schuster der Nächste sein wird, der sein Amt verliert, gilt als wahrscheinlich. Schuster bekommt als "S21"-Befürworter derzeit den Protest gegen das seit mehr als 15 Jahren geplante Großprojekt zu spüren. Der Umbau in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof und der geplante Neubau einer Schnellbahnstrecke nach Ulm wird bislang mit zehn Jahren Bauzeit und Kosten von 4,1 Milliarden Euro veranschlagt.

Mappus lehnt einen Baustopp strikt ab. Er will den Konflikt mit den Gegnern des Projekts an einem runden Tisch entschärfen - gemeinsam mit dem Grünen-Landesfraktionschef Winfried Kretschmann. Für Kretschmann war ein schwarz-grünes Landesbündnis lange Zeit eine Option. Doch mit Stuttgart 21 haben sich die Fronten zwischen den beiden Parteien verhärtet. Zudem machte sich Mappus mit seinen Äußerungen zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke bei den Grünen keine Freunde. Gleichzeitig bröckelt die Front der Befürworter von "S21" in der SPD. Ein Argument, das ein mögliches rot-grünes Bündnis in die Hände spielt.

Auch Bahnchef Rüdiger Grube hatte als Befürworter zu dem runden Tisch mit den Gegnern des Projekts eingeladen. Grube bekräftigte gestern, das Projekt werde realisiert. Und auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) setzt trotz der zahlreichen Proteste weiter auf das milliardenschwere Bahnvorhaben Stuttgart 21. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solches Projekt abgeblasen wird", sagte Ramsauer. Das Vorhaben sei "nach allen Regeln rechtsstaatlicher Kunst" zustande gekommen.