Mit einem lautstarken „Schwabenstreich“ haben 40.000 Menschen am Freitag ihre Wut gegen das Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 kundgetan.

Stuttgart. Die Grenze verläuft am Freitagabend direkt unter dem Dachvorsprung des Stuttgarter Landtags. Polizisten in voller Montur und laut pfeifende und trommelnde Demonstranten gegen das Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 stehen sich gegenüber. Denn die Demonstranten sind in die Bannmeile rund um das Parlament eingedrungen. „Wir bleiben hier!“, ruft die Menge. Nach ein paar Rangeleien entspannt sich die Situation. Die Polizei hält sich zurück. Nach Veranstalterangaben sind rund 40.000 Menschen gekommen - obwohl es am Anfang der Demonstration bei der Kundgebung am Hauptbahnhof in Strömen regnet. Die Polizei spricht von 30.000 Teilnehmern. Nach der Kundgebung starten zwei Protestzüge, die am Parkplatz des Landtags aufeinandertreffen. Der Ring der Menschen um die Polizisten, die die Bannmeile schützen wollen, zieht sich immer enger. Irgendwann rennen einige Demonstranten los – und stehen direkt an den Fensterscheiben. Dahinter sitzen verdutzte Gäste im Landtagsrestaurant. „Lügenpack!“, rufen die Protestierenden immer wieder, „Mappus raus, Schuster raus!“. Dass der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) gar nicht im Landtag sitzt, ist in diesem Moment Nebensache.

Denn die Wut bei der bunten Schar an Demonstranten ist groß. Die Wut darüber, dass es keine Befragung der Bürger zu dem Projekt gegeben hat. Angst, dass das Gestein abrutschen oder die Mineralwasserquellen Schaden nehmen könnten. Und Zorn, weil die Kosten des Projekts immer weiter steigen – 4,1 Milliarden Euro sind es derzeit, die geplant sind für die Tieferlegung und Umwandlung des heutigen denkmalgeschützten Kopfbahnhofs in eine Durchgangsstation und die unterirdische Anbindung an den Flughafen und die Schnellstrecke nach Ulm. „Oben bleiben!“ rufen die Demonstranten deshalb immer wieder. „Stuttgart steht Kopf“, schallt es aus vielen Kehlen.

Gegenüber vom Hauptbahnhof haben mehrere Aktivisten ein Baugerüst um ein Hochhaus erklommen und ein Plakat entrollt. „Kein Stuttgart 21 - 2011 ist Landtagswahl. Gruß an Frau Merkel“, ist darauf zu lesen - eine Anspielung darauf, dass das Projekt die Befürworter vor allem aus CDU und FDP viele Stimmen kosten könnte.

Zum Auftakt der Kundgebung ruft Schauspieler Walter Sittler zum „Schwabenstreich“ auf – einer Minute Lärm. Denn der Protest soll hörbar sein. „Wir protestieren seit Wochen friedlich – und werden nicht gehört“, sagt die Grüne Kreisvorsitzende Irmela Neipp-Gereke. Sie spricht von „verbaler Aufrüstung“, die es nach den ersten sichtbaren Abrissaktionen am Nordflügel des Bahnhofs gegeben habe.

Tausende hatten deshalb schon am Mittwoch protestiert, Straßen und abfahrende Züge blockiert – die Projektbefürworter hatten die Gegner daraufhin scharf kritisiert. „Aber wir lassen uns nicht in die Gewaltecke stellen“, sagt Neipp-Gereke. Stattdessen wolle man Dialog, betonten alle Redner – und bekräftigen die Forderung nach einem Baustopp und einer Bürgerbefragung.

Der Kunsthistoriker Matthias Roser kritisiert in seiner Ansprache den Architekten des Projekts, Christoph Ingenhoven. Dieser habe „Märchen“ erzählt, denn die Behörden hätten nicht wie von ihm behauptet, den Plänen so zugestimmt. Zudem seien Vertreter der Denkmalschutzbehörden nur bei den anfänglichen Planungen gehört worden und hätten später kein Stimmrecht gehabt. „Unumkehrbar ist nur eins – unser Widerstand“, sagt er unter Verweis auf das Argument der Befürworter, das Projekt sei nicht mehr zu stoppen.