Der Parteitag in Hannover hat den Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mit 93,45 Prozent zum Kanzlerkandidaten gewählt.

Hannover. Der 65-Jährige Peer Steinbrück ist jetzt offiziell Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Wahl im nächsten Herbst: Der SPD-Parteitag in Hannover hat Steinbrück am Sonntag mit 93,45 Prozent zum Kanzlerkandidaten gewählt.

Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hatte seine Partei für die Bundestagswahl auf den Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit eingeschworen. Auf einem Sonderparteitag in Hannover betonte der 65-Jährige am Sonntag, in Deutschland sei der Zusammenhalt aus dem Lot geraten und die Fliehkräfte in der Gesellschaft hätten zugenommen. „Deutschland braucht wieder mehr Wir und weniger Ich“, sagte der Ex-Finanzminister. Er kündigte an, mit ihm als Kanzler würden die von der SPD geplanten Steuererhöhungen für mehr Bildung verwendet. Die Energiewende werde er „zu einer persönlichen Angelegenheit“ machen und die Zuständigkeiten in einem Ministerium bündeln. Im Kanzleramt werde er eine Staatsministerin für Gleichstellung und Frauen ansiedeln. Für seine Rede über eine Stunde und 45 Minuten erhielt Steinbrück von den über 600 Delegierten zehn Minuten stehend Applaus.

Auf persönliche Angriffe gegen Kanzlerin Angela Merkel verzichtete Steinbrück. Er betonte, er wolle eine rot-grüne Mehrheit und stehe für eine große Koalition nicht zur Verfügung. In Umfragen haben SPD und Grüne derzeit im Bund ebensowenig eine Mehrheit wie die schwarz-gelbe Regierungskoalition. Die SPD setzt darauf, dass ihr ein Wechsel zu Rot-Grün bei der Wahl am 20. Januar in Niedersachen Rückenwind im Bund verschafft.

„Der soziale Wohlfahrtsstaat ist das große Projekt der deutschen Sozialdemokratie“, sagte Steinbrück. Dies sei „kein Luxus in Abhängigkeit von der Kassenlage“. Deutschland stehe vor einer Richtungsfrage. „Es geht wieder um ein neues Gleichgewicht“, sagte Steinbrück. „Und es geht darum, die Marktwirtschaft wieder stärker auf das Gemeinwohl zu verpflichten.“ Der CDU warf er vor, sie sei zu einer „Machtmaschine“ geworden: „Die Kanzlerschaft von Frau Merkel ist der einzig übriggebliebene Markenkern der CDU.“ Er könne keine Überzeugungen und keine Haltung erkennen.

Der Bundeskanzlerin warf Steinbrück vor, sie habe in Europa die wirtschaftliche Macht Deutschlands für Beschlüsse genutzt, mit denen schwächere Länder immer weniger leben könnten. „Das schadet Europa. Das spaltet Europa“, rief Steinbrück. „Frau Merkel hat Deutschland in eine Isolierung moderiert.“

Steinbrück sagte, er wolle auch in der Innenpolitik im Wahlkampf für einen Politik- und Richtungswechsel werben, damit es einen Regierungswechsel geben könne. „Die Antwort, wie das funktioniert, ist ziemlich eindeutig: Rot-Grün“, sagte Steinbrück. „Und ich möchte einen ganzen Regierungswechsel“, sagte er mit Blick auf Umfragen, die eine Mehrheit für eine große Koalition sehen.

Mit seinen inhaltlichen Ankündigen blieb Steinbrück ganz auf Linie der SPD-Beschlüsse. Er versprach einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, eine armutsfeste Solidarrente, eine Frauenquote in der Wirtschaft und die Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Bezahlung. Für Frauen und Männer in der Familiengründung schlug er eine „30-Stunden-Woche“ vor.

Der Ex-Finanzminister kündigte an, er wolle die „Vermögensteuer so reaktivieren“, dass eine Substanzbesteuerung des Mittelstandes und der Familienunternehmen vermieden werde. Er kündigte zudem einen „Nationalen Aktionsplan Wohnen und Stadtentwicklung“ an, um preiswerten Wohnraum zu sichern.

Steinbrück, dem die Debatte über seine Nebeneinkünfte als Abgeordneter den Start verhagelt hatte, zeigte sich auch selbstkritisch. „Meine Vortragshonorare waren Wackersteine, die ich in meinem Gepäck habe und leider auch euch auf die Schultern gelegt habe“, sagte er. Er habe nicht nur Kritik, sondern auch viel Solidarität erhalten. „Das hat mich berührt, das werde ich nicht vergessen“, sagte Steinbrück. Anschließend schritt der Parteitag zur Wahl des Kanzlerkandidaten.