Henkel hat Erkenntnisse über V-Mann nicht weitergegeben, weil die Bundesanwaltschaft das angeordnet habe. Die bestreitet das.

Berlin. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) bleibt wegen neuer Ungereimtheiten in der V-Mann-Affäre unter Druck. Im Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses verteidigte er sich am Mittwoch erneut gegen Vorwürfe, Erkenntnisse über den V-Mann des Landeskriminalamtes (LKA), Thomas S., unbegründet nicht weitergegeben zu haben. Laut Polizei habe es eine Vereinbarung mit dem Generalbundesanwalt gegeben, Informationen über S. solange geheim zu halten, bis die Gefährdung des V-Mannes und der Ermittlungen geprüft sei. „Ich habe keinen Anlass, an dieser Darstellung zu zweifeln.“

Die Bundesanwaltschaft bestritt am Mittwoch indes erneut, der Berliner Polizei Anweisungen zur Geheimhaltung gegenüber dem NSU-Untersuchungsausschuss gegeben zu haben. „Die Bundesanwaltschaft hat das Polizeipräsidium Berlin oder dessen vorgesetzte Landesbehörde zu keinem Zeitpunkt angewiesen, aufgefordert oder gebeten, die betreffenden Erkenntnisse nicht an den NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zu übermitteln“, sagte Sprecher Marcus Köhler am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa.

Die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers bekräftigte tagsüber wiederholt und auch in der RBB-Abendschau dagegen ihre Darstellung von Dienstag, dass es mit ihrer Behörde eine Vereinbarung zur Geheimhaltung gegeben hat. „Es wurde vereinbart, dass weder von Seiten des GBA (Generalbundesanwalt) noch von Berliner Seite Informationen herausgegeben werden.“ Im RBB-Interview ergänzte sie, es sei„absolute Geheimhaltung“ vereinbart worden. Zunächst hätte auch die Frage der Gefährdung des V-Manns geklärt werden müssen.

Die nicht frühzeitig erfolgte Unterrichtung hatte für Ärger bei den Mitgliedern des NSU-Ausschusses gesorgt. Henkel sprach seinerseits von „semantischen Spitzfindigkeiten“. Einen Widerspruch zu den Aussagen der Bundesanwaltschaft sehe er nicht. Henkel sagte aber auch: „Vielleicht hätte ich aber einen Weg finden müssen, um den NSU-Untersuchungsausschuss trotzdem zu informieren.“

Die Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion im Untersuchungsausschuss „Terrorgruppe NSU“, Eva Högl, schenkt der Berliner Darstellung wenig Glauben. Aus ihrer Sicht stehe nun fest, „dass Herr Henkel und seine Polizeiführung erneut falsche Auskünfte gegeben haben“.

Unterdessen stemmte sich Henkel gegen eine Rücktrittsdebatte. „Es geht doch gar nicht um mich persönlich. Es geht mir darum, dass wir Licht ins Dunkel dieser Angelegenheit bringen“, sagte er im ZDF-Morgenmagazin auf die Frage, ob er einen Rücktritt in Erwägung ziehe. Unterstützung erhielt er von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). „Er wollte nie irgendwo etwas verheimlichen“, sagte Friedrich. Hintergrund der Informationslücken in Berlin sei wohl eher eine unglückliche Kommunikation. Der CDU-Obmann im NSU-Ausschuss sagte: „Die derzeit ausufernde Diskussion über Versäumnisse bei der Aktenvorlage ist in dieser Form nicht mehr nachvollziehbar.“

Entgegen der Forderung der Linken will Henkel am Einsatz von V-Leuten festhalten. „Quellen sind und bleiben wichtig.“ Dies hätte etwa das Verfahren zu der später als kriminellen Vereinigung verbotenen Berliner Neonazi-Rockgruppe „Landser“ gezeigt. Auch hierzu soll S. Informationen geliefert haben. Er wurde 2005 in einem zweiten „Landser“-Prozess in Dresden zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Unterdessen will der Berliner Verfassungsschutz nach eigenen Angaben nicht gewusst haben, dass der NSU-Helfer beim LKA V-Mann war. „Er werden weder Klar- noch Aliasnamen zu Vertrauenspersonen ausgetauscht“, sagte Landesamtschefin Claudia Schmid. Dies liege am hohen Quellenschutz. „Aber wir stimmen uns über Maßnahmen eng mit dem Staatsschutz des Landeskriminalamtes ab.“

Weiter unklar ist, ob die brisanten Hinweise von Thomas S. aus dem Jahr 2002 zu dem Terrortrio damals an andere Behörden übermittelt wurden. Nach unbestätigten Informationen von „Spiegel Online“ von Mittwochabend war dies nicht der Fall. Die Berliner Akten enthielten keine entsprechenden Vermerke, sagte SPD-Obfrau Eva Högl der dpa. Es sei nicht mehr nötig, Henkel in den NSU-Ausschuss zu laden, da nun alle Akten übergeben seien. Der Fall fiele in die Amtszeit seines SPD-Vorgängers Ehrhart Körting, der als Zeuge gehört werden müsse.

Nach dpa-Informationen hat es beim Berliner Landeskriminalamt (LKA) offenbar erhebliche Vorbehalte bei der Anwerbung des NSU-Helfers Thomas S. im Jahr 2000 als V-Mann gegeben. Dies geht aus seiner LKA-Akte hervor. Dennoch arbeitete der V-Mann rund zehn Jahre als Informant. 2002 lieferte er den Beamten einen Hinweis zu der untergetauchten NSU-Terrorgruppe. SPD-Obfrau Högl will die beiden V-Mann-Führer von Thomas S. als Zeugen laden.

Für die Ombudsfrau des Bundes für die NSU-Opfer, Barbara John, sind die Aufklärungspannen der Berliner Behörden Ausdruck einer „Krise der staatlichen Bürokratie“. Die Bundesregierung müsse Strukturmängel beheben, um das Grundvertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen, sagte John.