Ein Terrorhelfer als V-Mann und verschlampte Akten: Die jüngsten Pannen rund um die NSU-Ermittlungen bringen das Land Berlin in Bedrängnis.

Berlin. Kein Tag vergeht derzeit ohne neue Enthüllung im Fall NSU. Die Aufklärung der Machenschaften der rechtsextremen Terrorzelle befördert in aller Regelmäßigkeit Unglaublichkeiten zutage. Nun ist ein weiteres pikantes Detail ans Licht gekommen: Einer der Terrorhelfer soll jahrelang als V-Mann für die Berliner Polizei aktiv gewesen sein . Auch die Bundesregierung ist weiter mit dem Vorwurf konfrontiert, sie nehme es mit der Aufklärung nicht so genau. Eine weitere Akte aus dem Haus von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hing monatelang im Behörden-Wirrwarr fest.

Thomas S. heißt der Mann, der erst den „Nationalsozialistischen Untergrund“ unterstützt und später mit dem Staat kooperiert haben soll. Medienberichten zufolge war der heute 44-Jährige von Ende 2000 bis Januar 2011 als Quelle des Berliner Landeskriminalamts aktiv. Die Zwickauer Terrorzelle war da längst untergetaucht. Gleich mehrfach soll S. seinen V-Mann-Führern Hinweise auf die drei gegeben haben - 2002, die NSU-Mordserie war in vollem Gange, auch auf ihren möglichen Aufenthaltsort. Der NSU-Helfer soll dem Trio Ende der 90er Jahre rund ein Kilogramm TNT-Sprengstoff besorgt haben. Außerdem wird ihm eine Liaison mit dem NSU-Mitglied Beate Zschäpe nachgesagt.

Vieles ist noch Spekulation, die Details kommen nur nach und nach ans Licht. Das Land Berlin – allen voran Innensenator Frank Henkel (CDU) – soll Klarheit schaffen. Der Neonazi-Untersuchungsausschuss im Bundestag fordert lautstark Aufklärung von Henkel und dessen Amtsvorgänger Ehrhart Körting (SPD). Wer wusste wann von der V-Mann-Tätigkeit von Thomas S.? Warum gelangte die Information nicht an die parlamentarischen Aufklärer im Bundestag? Und: Was passierte damals mit den Hinweisen auf das Trio?

+++ MAD-Affäre bringt de Maizière in Bedrängnis +++

+++ Berliner Landesverwaltung soll NSU-Akten zurückhalten +++

In Berlin tauchen auch an anderer Stelle unbequeme Fragen auf – an die Bundesregierung und das Verteidigungsressort. Erst am Dienstag kam bei einer Sitzung des Neonazi-Untersuchungsausschusses im Bundestag heraus, dass der Bundeswehr-Geheimdienst MAD bereits in den 90er Jahren eine Akte zu dem späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos angelegt hatte. Mehrere Verfassungsschutzämter und auch de Maizière wussten bereits seit Monaten davon. Nur die Aufklärer im Parlament ahnten nichts. Ein Vermerk über die Akte ging in ihrem Berg an Unterlagen unter. Einen Hinweis der Verfassungsschützer oder des Verteidigungsministeriums bekamen sie nicht.

De Maizière ist für den MAD zuständig. Nach dem Auffliegen der Akte ließ er zunächst über sein Ministerium ausrichten, es sei bedauerlich und unsensibel gewesen, dass sein Haus nicht gesondert auf die Akte Mundlos aufmerksam gemacht habe. Dann folgte die öffentliche Reue: Der MAD und sein Ministerium hätten zwar korrekt gehandelt, aber korrekt sei eben nicht immer gut genug, räumte der Minister bei einem Auftritt in Berlin und in mehreren Interviews ein. Und: Er bot an, die Sache im Untersuchungsausschuss selbst aufzuklären.

Der Aufklärungsbedarf wird allerdings größer: Denn auch eine Personalakte über Mundlos wirft Fragen auf. Der spätere Rechtsterrorist hatte Mitte der 90er Jahre seinen Wehrdienst in einer Thüringer Kaserne geleistet. Damals befragten ihn die MAD-Leute. Wie für jeden Soldaten wurde damals auch für Mundlos eine Personalakte angelegt. Auch sie erreichte aber erst jetzt die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss. Am Donnerstagabend ging das Papier dort ein.

De Maizières Sprecher versuchte am Freitag, den langen Weg der Akte zu erklären. Das Verteidigungsministerium habe sich die Unterlagen im Dezember 2011 erstmals angeschaut und schon damals öffentlich über Mundlos’ Wehrdienstzeit berichtet. Anfang März sei das Dokument dann an das Bundeskriminalamt und den Generalbundesanwalt gegangen – auf deren Nachfrage hin – und später an die Aufklärer im Parlament.

Rechtliche Fragen hätten die Abläufe in die Länge gezogen, hieß es dazu weiter aus dem Verteidigungsministerium. Auch habe sich das Haus zunächst darauf konzentriert, aus dem Berg an Unterlagen andere Akten für den Ausschuss herauszusuchen. Die Untersuchungsschwerpunkte seien damals eben andere gewesen.

Die Erklärung stellt nicht jeden zufrieden. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, der im Untersuchungsausschuss sitzt, fühlt sich vom Verteidigungsministerium getäuscht. Das Haus habe zum zweiten Mal Akten vorenthalten, sagte er der „Welt“. Er fühle sich hereingelegt, klagt Ströbele, und will de Maizière im Ausschuss sehen. Gut möglich, dass dort auch Henkel und Körting auftauchen müssen. Die Liste der Zeugen wird mit jeder Enthüllung länger. Die Ausschussmitglieder haben sich schon auf einige Sondersitzungen eingestellt.