Nach einer Empörungswelle über Pannenserie bei den NSU-Ermittlungen nimmt Heinz Fromm seinen Hut. Eisvogel wird als Nachfolger gehandelt.

Berlin. Das Staatsversagen bei der NSU-Mordserie zieht eine erste personelle Konsequenz nach sich: Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm räumt seinen Posten. Der 63-Jährige werde auf eigenen Wunsch zum Monatsende in den vorgezogenen Ruhestand versetzt, sagte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Montag in Berlin. Fromm gilt als einer der erfahrensten Sicherheitsexperten Deutschlands und stand zwölf Jahre an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes. Die Opposition spricht von einem „Bauernopfer“ und verlangt eine grundlegende Reform der Geheimdienste.

Der Verfassungsschutz steht seit Monaten wegen seiner Pannen bei den Ermittlungen zur im November vergangenen Jahres aufgeflogenen Neonazi-Terrorgruppe NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) in der Kritik. Die Gruppe lebte mehr als ein Jahrzehnt unentdeckt von den Sicherheitsbehörden im Untergrund und ermordete bundesweit zehn Menschen. Am Mittwoch stieg der Druck auf die Geheimdienstler nochmals, nachdem bekanntwurde, dass die Behörde nach Auffliegen der Terrorzelle Akten zum NSU-Komplex geschreddert haben soll.

+++Fromm geht - Fragen zu Aktenvernichtung bleiben+++

Einen ersten Bericht des Verfassungsschutzes zu dem Vorfall will das Bundesinnenministerium bis Donnerstag auswerten. Ressortchef Friedrich will dann den Bundestag informieren. Am selben Tag sagt Fromm auch als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss aus.

Bei der Suche nach einem Nachfolger will sich Friedrich indes Zeit lassen. Es gebe „keine Notwendigkeit, jetzt irgendeine Entscheidung zu fällen“, sagte er. Als Nachfolger ist Fromms Stellvertreter Alexander Eisvogel im Gespräch. Nach Informationen des „Spiegels“ soll er die Bundesbehörde zunächst kommissarisch leiten. Eisvogel gilt als erfahrender Mann auf dem Gebiet. Er war bereits Leiter des hessischen Verfassungsschutzes und leitete die Abteilung „islamistischer Terrorismus“ beim Bundesverfassungsschutz.

Friedrich betonte, Fromm sei von der Aktenschredder-Aktion selbst „überrascht und erschüttert“ gewesen. „Er ist – wie ich – zutiefst besorgt über den dadurch eingetretenen Vertrauensverlust in den Verfassungsschutz.“ Die Ereignisse um den NSU sowie die Akten-Affäre hätten Fromm bedrückt. Er habe jedoch viele Erfolge vorzuweisen, „gut gearbeitet“ und besitze „jede persönliche Integrität“. Fromms Kompetenz war aber auch zuletzt angezweifelt worden: „Die Affäre wirft die Frage auf, ob Fromm den Verfassungsschutz noch im Griff hat“, sagte CSU-Innenexperte Stephan Mayer kurz nach Bekanntwerden der Aktenvernichtung der „Bild“-Zeitung.

In Sicherheitskreisen hieß es, Fromm sei überaus frustriert über die immer wieder kehrende Kritik an seiner Amtsführung und an der Arbeit seiner Behörde gewesen. Er habe die Anwürfe für unverhältnismäßig gehalten. Mit der Akten-Affäre und der daraus resultierenden Kritik sei für ihn persönlich nun „die rote Linie“ überschritten gewesen. Er habe „die Reißleine gezogen“. Fromm ist seit Juni 2000 Präsident des Bundesamtes. Zuvor leitete er den Verfassungsschutz in Hessen und eine Justizvollzugsanstalt in Kassel. Zudem war er Staatssekretär im hessischen Innenministerium. Fromm ist Mitglied der SPD.

+++Heinz Fromm: Zwölf Jahre diskret an Spitze des Verfassungsschutzes +++

Die Grünen reagierten kritisch auf den überraschenden Abgang Fromms. Der Skandal um die schleppende Aufklärung der NSU-Terrorserie sei damit keinesfalls erledigt, sagte der Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. Die Struktur der Geheimdienste und von Fromms Behörde stünden „nun grundsätzlich zur Debatte“. Der SPD-Innenexperte Michael Hartmann lobte, dass Fromm „als verantwortungsbewusster und erfolgreicher Chef“ jetzt Verantwortung übernehme. Auch FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff nannte den Rückzug einen ehrenwerten Schritt. Er fügte jedoch hinzu, es liege nun aber die Vermutung nahe, dass „hinter der Aktenvernichtung mehr steckt, als wir schon wissen“.

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, bilanzierte: „Der Verfassungsschutz hat nicht nur Fehler gemacht, er ist der Fehler.“ Sie verlangte die Auflösung der „demokratisch nicht zu kontrollierenden“ Verfassungsschutzämter. „Denn durch die V-Leute der Geheimdienste werden Nazi-Kameradschaften gegründet oder personell und finanziell unterstützt.“ Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele nannte Fromms Rücktritt konsequent. Er sagte der „Welt“, Fromm trage „mindestens“ die politische Verantwortung. Die jetzt bekanntgewordene Aktenvernichtung sei nicht einmal das schlimmste Versagen. „Schwerer wiegt, dass der Dienst sich ab 2003 offenbar nicht mehr ausreichend um das NSU-Trio gekümmert hat.“ (dapd/abendblatt.de)