Im Herbst 2013 ist Bundestagswahl. Die Parteien bereitet sich vor - doch alle haben mit Problemen zu kämpfen. Die große Abendblatt-Analyse.

In zwölf Monaten ist Bundestagswahl. Die Parteien bereiten sich auf den Herbst 2013 vor, Fraktionen und Vorstände gehen in Klausur, die Arbeit an den Wahlkampfstrategien hat begonnen. Welche Themen und Köpfe müssen beworben werden, um die Bürger zu überzeugen? Ob Union, FDP, SPD, Grüne, Linke oder Piraten - sie alle haben mit Problemen zu kämpfen. Eine Analyse unserer Berliner Korrespondenten Karsten Kammholz und Nina Paulsen

CDU/CSU: Wer Merkel will, wählt CDU. Nur was bekommt man dann?

Die wichtigste Person für den Wahlkampf hat eigentlich keine Zeit. Angela Merkel, Bundeskanzlerin, CDU-Vorsitzende und unumstrittene erste Währungsretterin dieses Staates, ist vollauf mit der europäischen Krisendiplomatie beschäftigt. Rom, Madrid, Paris, immer wieder Brüssel, das sind die Orte, an denen die Kanzlerin vermutlich mehr für einen Wahlsieg der CDU tun kann als auf den Marktplätzen von Gummersbach und Meldorf.

Merkels bestes Argument, die CDU zu wählen, will sie selbst sein. Die Euro-Krise wird ihr als Wahlkämpferin entgegenkommen, denn die CDU-Chefin wird das Wahlvolk an die notwendige Kontinuität in der deutschen Linie bei der Schuldenkrise erinnern. Noch musste Merkel in diese Richtung gar nicht werben - ihre und die Werte der CDU sind auch so in den Umfragen stabil. Es läuft auf Zugewinne gegenüber 2009 hinaus, vielleicht sogar 40 Prozent, weshalb weder die Meinungsforschungsinstitute noch der politische Betrieb daran zweifeln, dass die Union als klar stärkste Kraft hervorgehen wird. Also alles im Reinen bei den Schwarzen? Ganz so einfach stellt sich die Lage für Merkels Gefolgschaft nicht dar. In der Euro-Krise könnten schneller als befürchtet weitere Zugeständnisse an die kriselnden Staaten des Südens fällig werden. Aber ein drittes Griechenland-Paket etwa würden ihre eigene Fraktion wie auch die CSU sicher ablehnen. Die Zerrissenheit des eigenen Lagers könnte also schnell sichtbar werden, sollte sich die Euro-Krise vor der Wahl weiter verschärfen.

Der innere Missklang der Union lässt sich noch stärker an der Sozialpolitik messen. Beim Betreuungsgeld, der Homo-Ehe, der Frauenquote und der Frage, wie der Staat seine Otto Normalverdiener vor Altersarmut schützen kann, streiten CDU und CSU leidenschaftlich mit sich selbst. Bald kommt der Zeitpunkt, an dem Merkel klare Kante zeigen muss. Die Wähler wollen wissen, wie progressiv das Gesellschaftsbild der CDU 2013 sein soll.

+++ Wahlrechts-Streit: Der Bundestag soll größer werden +++

FDP: Der Regierungspartner blockt und ewig droht der Führungsstreit

Philipp Rösler ist ein unerschütterlicher Optimist. Nach außen jedenfalls, wenn er etwas zur nicht so guten Lage der FDP sagen muss. Der Parteichef spricht dann immer von Momentaufnahmen, von Kurs halten - und davon, dass es schon wieder bergauf gehen wird, wenn die Liberalen nur ihren Zielen treu bleiben. Das Problem: Seit Monaten, ja Jahren, gelingt das schon nicht mehr. Trotz der Ablösung des am Ende so ungeliebten Parteichefs Guido Westerwelle, trotz des zumindest geplanten Abschieds von der ewigen Steuersenkungsrhetorik. Die FDP dümpelt nach wie vor bei vier, fünf Prozent. Der Wiedereinzug in den Bundestag wird ein Mammutprojekt.

Schon die Niedersachsen-Wahl im Januar dürfte deshalb die Fragen wieder beleben, ob Rösler denn der richtige Parteichef ist, und auch der richtige Spitzenkandidat. Der FDP-Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher jedenfalls hebt in einem aktuellen Interview zwar die Wahlkämpfer Christian Lindner aus Nordrhein-Westfalen und Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein hervor, nicht aber Philipp Rösler. Auch der Haudegen und Fraktionschef Rainer Brüderle kommt bei Genscher bestens weg. Er gilt vielen als Ersatzmann, sollte Rösler gehen müssen.

Neben der Personal- stellt sich für die Liberalen auch die Themenfrage. Die Sache mit den Steuern ist vorbei, aber in der aktuellen Regierungspolitik wird in letzter Zeit lediglich klar, was die FDP nicht will. Das im Mai mit großem Tamtam verabschiedete neue Grundsatzprogramm hat bislang nur wenig Widerhall in der Tagespolitik gefunden. Das liegt auch an der Union. CDU und vor allem die CSU machen den Liberalen das Mitregieren schwer.

Schon allein deshalb gehört auch noch die Klärung der Koalitionsoptionen auf das Arbeitsprogramm bis zur Wahl. Immer wieder werben einige für ein Ampel-Bündnis mit SPD und Grünen, die Parteiführung aber hält diese Debatte klein. Nicht nur hier ist offen, wie lange das noch gut gehen wird.


Die Linke: Regieren oder opponieren? Neue Wege zum Pragmatismus

Die Linke steht vor der großen Frage, was sie eigentlich sein will: Weiter ewige Oppositionspartei oder womöglich doch Teil einer Bundesregierung? Die beiden neuen Chefs jedenfalls, Katja Kipping und Bernd Riexinger, wollen den zweiten Weg wählen. Doch ein entsprechendes Positionspapier, in dem beide aufgeschrieben hatten, wie man dieses Ziel am besten erreichen und sich Richtung SPD und Grünen öffnen könne, stieß nicht in der ganzen Partei auf Gegenliebe.

Klar ist aber: Die Zeiten, in denen etwa Ex-Parteichefin Gesine Lötzsch über neue Wege zum Kommunismus sinnierte, sollen vorbei sein. Der neuen Führung geht es vielmehr um Pragmatismus und darum, wie man trotz eines Machtanspruchs die linken Ideale nicht aufgeben muss. Angesichts des scharfen Streits zwischen Ost- und Westlinken wird das die Partei in den nächsten Monaten ausreichend beschäftigen.

Während selbst Abgeordnete von SPD und Grünen die Zusammenarbeit mit den regierungserfahrenen Polit-Profis aus den neuen Bundesländern loben, gibt es immer wieder Probleme mit den Fundis aus dem Westen, auch innerhalb der Partei. Auf die in der vergangenen Woche geäußerten Koalitionsavancen der Linken hieß es deshalb auch unisono, die Partei möge sich zunächst mit sich selbst versöhnen, bevor sie den Schulterschluss mit den anderen Oppositionsparteien sucht.

Als positiv kann gelten, dass sich die in der Vergangenheit so lauten Alphatiere - namentlich Fraktionschef Gregor Gysi oder der Ex-Parteivorsitzende Oskar Lafontaine - mit Wortmeldungen in letzter Zeit zurückhalten. Auf dem Göttinger Parteitag im Juni waren beide noch mit deutlichen Worten aufeinander losgegangen. Von "Hass", "Tricksereien", "üblem Nachtreten" und einer "verkorksten Ehe" hatte Gysi gesprochen, von "dummem Gerede" Lafontaine. Für Kipping und Riexinger dürfte es zum Kraftakt werden, das bisschen Frieden, das jetzt herrscht, bis ins nächste Jahr zu tragen. Vor allem dann, wenn es um die Frage des Spitzenkandidaten geht.

SPD: Vor allen anderen Fragen steht die Kanzlerkandidatur

Huch, ist denn schon Wahlkampf? Ganz Deutschland debattiert über Reformen im Rentensystem und den Vorschlag von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen einer Zuschussrente für Geringverdiener. Und was tut die SPD, die immerhin größte und bedeutsamste Oppositionspartei, die selbst ernannte Kraft der Ärmeren und Schwächeren? Sie sagt, sie könne noch nicht so richtig mitdiskutieren. Das eigene Rentenkonzept sei noch nicht fertig. Sorry, bitte noch mal im November nachfragen.

Ein Jahr vor der Wahl, bei der die 23-Prozent-Schmach von 2009 mit mindestens 30 Prozent vergessen werden soll, suchen die Sozialdemokraten sehnsüchtig nach ihrer alten Stärke. In den Ländern funktionierte zuletzt so manches besser. Da gelangen Wahlsiege, da wurden die Spitzenkräfte vorher nicht in einen Endloswettstreit aufeinander losgelassen, da waren die Wahlprogramme so pragmatisch und authentisch formuliert, dass sie auch konservative Wähler überzeugten. Olaf Scholz' Hamburger Wahlkampf, der in einer Alleinregierung mündete, gilt seitdem im Willy-Brandt-Haus als prägendes Beispiel geglückter Strategien.

Missglückt ist bereits jetzt der Plan von Parteichef Sigmar Gabriel, erst nach der Landtagswahl in Niedersachsen den Kanzlerkandidaten aus dem Hut zu zaubern. Aus Gabriels Sicht mag das Zögern verständlich sein, da er möglichst lange die Machtzügel in der Hand halten will. Sobald der Kanzlerkandidat ernannt ist, und viele Faktoren deuten momentan auf Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hin, spielt der Parteichef nur noch die zweite Geige. Nun ist allerdings die SPD - anders als die Grünen - eine Partei, die ihre Inhalte am glaubwürdigsten über das Führungspersonal vermitteln kann. Vor allen anderen Fragen des Wahlkampfes steht also die K-Frage. Vielleicht wird sie schon beantwortet werden, sobald auch das Rentenkonzept steht.


Bündnis 90/Die Grünen: Auch Stromkunden wollen von grünen Ideen überzeugt werden

Ginge es nach den Grünen, könnte bitte schon an diesem Sonntag gewählt werden. Keine Partei in der Opposition brennt so sehr darauf, schleunigst wieder auf der Regierungsbank Platz nehmen zu dürfen. Jürgen Trittin und Renate Künast haben sich seit dem Ende von Rot-Grün 2005 prächtig erholt, es lebt sich gut ohne Joschka Fischer. Und nachdem mit Winfried Kretschmann der erste grüne Ministerpräsident der Geschichte in Baden-Württemberg regiert, soll die jüngste Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden. Am besten mit einem Ergebnis von 15 Prozent und fünf Ministerposten. Die Zuversicht ist zurück, die zuletzt durch den Aufstieg der ach so jungen und transparenten Piratenpartei und dem von Angela Merkel abgeräumten Atomkraft-Thema gelitten hatte. Man sieht sich inzwischen als politische Kraft, die mehr kann als Umwelt und Anti-Akw-Mobilisierung. Wirtschafts-, Innen- und Finanzpolitik entwickeln sich zu Feldern, auf denen sich immer mehr Grüne wohlfühlen und mitreden wollen.

So befreiend sich der allmähliche Abschied von der Klientelpartei auch anfühlen mag, so unwegsam werden die kommenden zwölf Monate bis zur Wahl. Die erste Hürde zum Wahlerfolg im Herbst 2013 hat sich die Partei selbst aufgestellt: Die Urwahl der Spitzenkandidaten nervt die Landesverbände gewaltig. Sie haben den Eindruck, dass die Basis nur zur Kandidatenwahl aufgerufen wurde, weil sich die Führungskräfte in Berlin nicht grün wurden.

Es drohen Monate des Personalstreits statt der inhaltlichen Profilierung. Die zweite Hürde sind allerdings die Inhalte, denn ein bisschen grün, ökologisch und verbrauchernah werden im Jahr 2013 alle Parteien sein. Es gilt also, das Alleinstellungsmerkmal herauszuarbeiten. Die völlig unkoordiniert verlaufende Energiewende von Schwarz-Gelb bietet wohl die beste Angriffsfläche. Aber gewinnen werden die Grünen nur, wenn ihre Ideen nicht allein die Basis überzeugen, sondern auch die geschundenen Stromkunden.

Piratenpartei: Urheberrecht und Meldegesetz allein reichen nicht

Der Preis für den kreativsten und ungewöhnlichsten Wahlkampf ging vor einem Jahr an die Piraten in Berlin. Sie druckten Sprüche wie "Warum hänge ich hier eigentlich? Ihr geht ja eh nicht wählen" auf ihre Plakate und erreichten so, dass eben doch Menschen zur Wahl gingen und ihr Kreuz bei den politischen Freibeutern machten. Der Einzug ins Abgeordnetenhaus Mitte September 2011 markierte den Start in das bislang erfolgreichste Jahr der Partei. In vier Landtagen ist sie nun vertreten, und nach derzeitigem Stand würde sie laut Umfragen auch den Einzug in den Bundestag schaffen.

Bis zum Herbst 2013 wird es allerdings schwer werden, die Erfolgskurve nicht noch weiter abflachen zu lassen. Bei den großen Themen dieser Zeit, der Euro-Krise, der Energiewende oder der Familienpolitik haben es die Piraten nicht vermocht, eine wahrnehmbare Stimme zu sein. Die Aufgabe war und ist deshalb, zu mehr Themen Position zu beziehen und Kompetenzen zu gewinnen. Niemand erwartet binnen eines Jahres den Wandel zur Volkspartei - aber ein paar mehr Antworten sind nötig, damit am Ende fünf Prozent zusammenkommen. Nur auf Debatten übers Urheberrecht oder das Meldegesetz zu warten, bei denen die Piraten mit ihrem Bürgerrechtsschwerpunkt in ihrem Element sind, dürfte auf lange Sicht nicht ausreichen. Da plangemäß nur noch die Landtagswahl in Niedersachsen im Januar ansteht, bleibt auch der mediale Hype eher gering.

Um im Wahlkampf gegen die anderen Parteien zu bestehen, muss auch die Organisation verbessert werden. Es ist kaum Geld in der Kasse, weil viele Mitglieder ihre Beiträge nicht zahlen. Die Parteiführung beklagt sich zudem über eine gewisse Wahlkampf-Unlust der Piraten-Basis. Es geht eben manchmal noch recht dilettantisch zu. Christopher Lauer, Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus formulierte es vor Kurzem in einem Interview trotz allem so: "Wichtig ist doch, was hinten rauskommt."