Höhere Steuern und Sonderabgaben für Wohlhabende zur Krisenbewältigung gefordert. Deutschland sei “Steuerparadies“.

Berlin. Den Reichen in Deutschland geht es vergleichsweise gut: Der Höchstsatz bei der Einkommenssteuer liegt bei 45 Prozent - in den Niederlanden jedoch bei 52 Prozent. Wer erbt, muss je nach Wert und Verwandtschaftsgrad zwischen sieben und 50 Prozent lockermachen - in Belgien oder Spanien bis zu 80 Prozent. Einnahmen aus Zinsen oder Dividenden werden hierzulande pauschal für alle mit 25 Prozent belastet - weniger als etwa in den skandinavischen Ländern.

Frank Bsirske könnte eine ganze Reihe solcher Zahlen aufzählen. Der Chef der Dienstleistungsgesellschaft Ver.di sitzt am Freitagvormittag vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz in Berlin und erklärt, was man alles tun kann, um das Geld in Deutschland besser zu verteilen. Die Bundesrepublik sei nämlich ein "Steuerparadies" für Vermögende, Erben und Spekulanten, und solange das so bleibe, seien der Sozialstaat und seine Handlungsfähigkeit in den Bereichen Bildung, Umwelt und Gesundheit bedroht. Bsirske rechnet vor, dass der Fiskus allein 54 Milliarden Euro mehr einnehmen würde, wenn die Steuern auf Unternehmensgewinne auf das durchschnittliche EU-Niveau angehoben würden.

Die Gewerkschaft Ver.di ist Teil eines breiten neuen Bündnisses, das die Reichen stärker zur Kasse bitten will. Mit im Boot sind auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac, der Paritätische Gesamtverband oder die Arbeiterwohlfahrt. Gemeinsam fordern sie eine dauerhafte Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie eine einmalige Vermögensabgabe. Zudem sollen auch große Erbschaften, finanzstarke Unternehmen und Kapitalerträge stärker belastet werden. Am 29. September ist ein bundesweiter Aktionstag geplant - auch in Hamburg ist eine entsprechende Demonstration angemeldet. "Die Zeit ist reif für Umverteilung", ist sich Bsirske sicher.

Aus Sicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes steht Deutschland sogar vor einem Scheideweg. Das Sozialstaatsmodell drohe angesichts massiver Kürzungen im Zuge von Euro-Krise und Schuldenbremse zu scheitern, meint Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Vor allem Langzeitarbeitslose und andere Menschen mit wenig Geld litten unter der Kürzungspolitik. Es gebe in Deutschland "echte Armutsregionen". Dennoch sei Reichtum nach wie vor "ein Tabu", an das sich die Politik nicht herantraue.

Bsirske und seine Mitstreiter stehen nicht alleine da. In zahlreichen Ländern ist die stärkere Belastung von Reichen an den Kosten der Krise Thema. US-Präsident Barack Obama bestreitet gerade seinen Wahlkampf mit dieser Frage, in Frankreich sollen Einkommensmillionäre bald 75 Prozent Steuern bezahlen. Das neue Bündnis, das sich den Namen "umfairteilen" gegeben hat, will das Thema deshalb auch in die Bundestagswahl im kommenden Jahr hineintragen.

Weil die Folgen der Euro-Krise langsam aber sicher auch in Deutschland spürbar werden, könnte die Forderung auf offene Ohren stoßen. Bsirske beklagt, die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößere sich und der Reichtum der Vermögenden wachse immer weiter. Demgegenüber habe der Staat "ein massives, manifestes Einnahmeproblem". Der Ver.di-Chef spricht von einer "Krise des Steuerstaates", die sich nicht mit immer neuen Ausgabenkürzungen beheben lasse.

+++Millionär Vollmer erwartet bald eine Reichensteuer+++

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Ähnlich argumentiert Jutta Sundermann vom Netzwerk Attac. Ein Land könne sich nicht aus der Krise heraussparen. "Es geht auch nicht, dass ein Reiter sich an den Haaren aus dem Sumpf herausziehen kann", sagt sie. Man erlebe in Europa derzeit eine "brutale Kürzungspolitik, die zu gravierenden sozialen Verwerfungen führt und den gesellschaftlichen Frieden ernsthaft gefährdet".

Konkrete Forderungen erhebt das Bündnis allerdings nicht - wie hoch eine Vermögensabgabe ausfallen könne oder wie hoch die Erbschaftssteuer sein müsse, könne man beraten, wenn es eine Einigung auf diese Maßnahmen gebe, so Bsirske. Es sei bereits einiges in Bewegung, jetzt wolle man, dass diese Bewegung an Fahrt gewinne. Über Zahlen streiten könne man sich später.

Als Beispiel für eine Vermögensabgabe nennt Bsirske aber Vorschläge. So plädiere das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für eine einmalige Vermögensabgabe von zehn Prozent der Vermögen, verteilt auf zehn Jahre. Damit seien in dieser Zeitspanne 280 Milliarden Euro einzunehmen.

Parteien gehören nicht zu dem Bündnis, unterstützen es aber. Der Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, erklärte, die Vermögens- und Einkommenskonzentration sei eine bedrohliche Entwicklung. Umverteilung sei daher ein wichtiges Anliegen der Zivilgesellschaft. Linkspartei-Chef Bernd Riexinger sagte dem Abendblatt, er gehe davon aus, "dass mit Blick auf die Bundestagswahl auch alle anderen Parteien das Thema Reichenbesteuerung aufgreifen müssen".

Es spreche zudem nicht gerade für die momentane Politik, dass auch mehrere Millionäre gerne mehr Steuern zahlen würden. "In Europa sind in der Krise nicht nur die Schulden gestiegen. Viel stärker sind die hohen Vermögen gestiegen. Darauf muss die Politik reagieren." Tatsächlich melden sich immer wieder prominente Millionäre zu Wort, die mehr Steuern zahlen möchten. Auch der Hamburger Versandhändler Michael Otto gehörte dazu.

In der schwarz-gelben Koalition stoßen die Pläne zur höheren Besteuerung von Reichen auf schroffe Ablehnung. "Hier schürt eine Koalition der Umverteiler mit falschen Daten Neidkomplexe", sagte der Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach. "Das Ergebnis dieser Abzock-Politik werden Rezession, Verlust von Arbeitsplätzen und mehr Arbeitslose sein", sagte er. FDP-Generalsekretär Patrick Döring reagierte ähnlich. "Das immer wieder verordnete Enteignungsmittel bleibt die Lieblingsdroge der politischen Linken, ist aber absolut unbekömmlich für unsere Volkswirtschaft".