Der umstrittene Thilo Sarrazin hat seine Kritik an Migranten erneuert. Der SPD-Landesverband in Berlin beschließt ein Ausschlussverfahren.

Berlin. Er kam. Was den einen oder anderen überraschte. Denn schließlich kämpft Thilo Sarrazin zurzeit um sein beruflich-politisches Überleben. In der Bundesbank, die ihn im Mai 2009 in ihren Vorstand berief, und in der SPD, die diesen Genossen lieber heute als morgen loswerden würde. Pünktlich erschien Sarrazin gestern Morgen in Berlin zu einer Podiumsdiskussion, zu der man ihn bereits vor Monaten eingeladen hatte. Thema: Migration und demografischer Wandel. Und wenn der 65-Jährige auch sichtlich angespannt wirkte - in der Sache wich er nicht zurück. Im Gegenteil. Er legte mit seiner Kritik am Integrationsverhalten der islamisch geprägten Migranten gestern noch nach.

"70 Prozent der Migranten sind bestens integriert in der zweiten Generation", sagte Sarrazin, "30 Prozent haben enorme Probleme. Und das sind die Migranten aus den muslimischen Ländern." Bei den Leistungsanforderungen dürfe es "keinen Rabatt" für bestimmte Gruppen geben. Wer Abitur habe, könne sich zum Polizisten ausbilden lassen. Die Voraussetzung sei für alle gleich. Trotzig wiederholte Sarrazin auch die Fragen, die "man" angeblich "an jeder Schule hört". Zum Beispiel die, "weshalb türkische Männer häufiger unverschämt sind zu Lehrerinnen". Oder: "Weshalb können türkische Kinder nicht zu Geburtstagen von deutschen Kindern gehen, wenn sie eingeladen sind?"

Acht Stunden später teilte der Berliner SPD-Landesverband offiziell mit, dass er Thilo Sarrazin die Parteimitgliedschaft nach 36 Jahren aberkennen will. Die Einleitung des Parteiordnungsverfahrens sei mit übergroßer Mehrheit beschlossen worden, sagte eine Parteisprecherin. Überraschend kam das nicht. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hatte ja bereits am Mittag erklärt, dass die SPD-Spitze an der skeptischen Basis für den Ausschluss des ehemaligen Berliner Finanzsenators werben werde, und dem Willy-Brandt-Haus dabei "eine Führungsaufgabe" zugeteilt. "Viele sind irritiert", sagte Nahles. Die Parteispitze habe noch ein großes Stück Kommunikationsarbeit vor sich. "Das scheuen wir nicht, weil wir diesen Schritt für richtig halten und verteidigen werden." Die Parteiführung werde sich nicht von Umfragen abhängig machen, sondern ihre Argumente vertreten, fügte Nahles hinzu. "Dann hoffe ich, dass wir im Laufe des Verfahrens mehr Unterstützung für unsere Position bekommen." Laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage stimmen 51 Prozent der Befragten Sarrazins Behauptung zu, ein Großteil der arabischen und türkischen Einwanderer sei "weder integrationswillig noch integrationsfähig". Von den SPD-Wählern sind es glatte 50 Prozent.

Während Sarrazin gestern unter Polizeischutz stand - nicht ohne Grund, wie sich zeigte, denn als ihn die Beamten des Landeskriminalamts später zu seinem Wagen begleiteten, wurde er von einem jungen Mann mit "Sarrazin, du Nazischwein!" angepöbelt -, bekräftigte Klaus von Dohnanyi seine Bereitschaft, Sarrazin im bevorstehenden Parteiausschlussverfahren zu verteidigen. Seiner Partei empfahl Dohnanyi, mit mehr Ruhe an die Angelegenheit heranzugehen. "Mein Rat an die SPD lautet: Sarrazin erst einmal sorgfältig anhören", sagte Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister dem Abendblatt. "Dann könnten beide Seiten erkennen, wo man sich missverstanden hat." Dohnanyi betonte, dass es problematisch wäre, einen Mann auszuschließen, nur weil er seine Meinungsfreiheit genutzt habe. "Sein Rauswurf würde der Partei dann nur schaden." Wer Sarrazins Buch in Ruhe lese, werde aus seiner Sicht keinen Grund für einen Parteirauswurf erkennen, so Dohnanyi weiter. "Man kann über manche Inhalte streiten, zum Beispiel über die Frage, in welchem Maße Intelligenz vererbbar ist. Aber wir haben es da nicht mit Rassismus zu tun, sondern mit unterschiedlicher Gewichtung wissenschaftlicher Erkenntnisse."

Auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) fordert eine Debatte ohne Scheuklappen über die Integration von Einwanderern. Sarrazin habe die richtige Debatte angestoßen. "Dass wir Missstände (bei der Integration) haben, ist unbestritten." Er sei überrascht, "wie wenige Menschen in unserem Land bereit sind, sich mit den Inhalten von Herrn Sarrazin auseinanderzusetzen". Stattdessen gebe es den "ersten Reflex flächendeckende Empörung", sagte der CSU-Politiker.