Nach vier Monaten in der Hand von Piraten hatte das Schiff am Wochenende in Mombasa angelegt. Die ersten Seeleute fliegen heute nach Deutschland.

Hamburg. Vier Monate bekamen sie nur das Nötigste von ihren Entführern zu essen. Reis, der im Schwitzwasser der Klimaanlage gekocht werden musste, weil die Entsalzungsanlage ausgefallen war. Vier Monate waren die 24 Seeleute der "Hansa Stavanger" um Kapitän Krysztof Kotiuk dem schwülen Monsun-Wetter in den Küstengewässern Ostafrikas ausgesetzt - und der Willkür von Piraten, die ihre Geiseln mit Scheinerschießungen quälten. Vier Monate, die die Männer körperlich und geistig an ihre Grenzen führte.

Vergessen kann man eine solche Tortur nie. Aber wahrscheinlich haben die ehemaligen Geiseln nach der Ankunft im kenianischen Mombasa die beste Entscheidung getroffen - erschöpft, aber glücklich. Sie trafen sich noch einmal alle gemeinsam zu einem Festessen in einem Strandhotel. "Das hatte sich die Crew ausdrücklich gewünscht", sagte Christian Rychly, Sprecher der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg.

Nach 121 Tagen Geiselhaft in der Hand somalischer Piraten sind die 24 Seeleute - neben fünf Deutschen stammen zwölf Besatzungsmitglieder aus Tuvalu im Südpazifik, drei aus Russland, zwei aus der Ukraine und zwei von den Philippinen - endlich wieder in Sicherheit. Ihr Schiff war am 4. April rund 400 Seemeilen vor der somalischen Küste von Seeräubern überfallen und gekapert worden. Erst vor einer Woche gaben die Piraten die "Hansa Stavanger" gegen Zahlung von 2,7 Millionen Dollar Lösegeld wieder frei. Eskortiert von der Fregatte "Brandenburg" der Bundesmarine machte der Frachter am Sonnabend um 14.19 Uhr deutscher Zeit im Hafen von Mombasa fest. Am Kai warteten Angehörige, Botschafts- und Reedereivertreter sowie Journalisten aus aller Welt. Sie beobachteten, wie ein Teil der Mannschaft beim Einlaufen jubelnd winkte. Mehr bekamen sie nicht zu sehen. Private Sicherheitsleute hatten einen Sichtschutz aus Containern aufstapeln lassen.

Die Fahrt von der somalischen Küste bis Mombasa hatte sich so lange hingezogen, weil sich Muscheln, Krebstiere und Algen während der Liegezeit am Rumpf der "Hansa Stavanger" festgesetzt hatten. Statt möglicher 17 Knoten machte der Containerfrachter so nur noch fünf bis zehn Knoten. Der Liegeplatz war erst am Morgen von der ebenfalls gekaperten "Maersk Alabama" frei gemacht worden.

Reedereisprecher Rychly kündigte einen Lohn der Angst an: Extraleistungen für die Crew. "Wir werden die Situation und Wünsche jedes Einzelnen berücksichtigen. Wer einen langen Urlaub möchte, bekommt ihn ebenso wie Extrageld." Wer schnell wieder anheuern wolle, könne dies auch tun. Womöglich ist das für einige genau der richtige Weg, mit den Strapazen der Geiselhaft fertig zu werden.

Die Tortur war unvorstellbar. Jeder Zweite muss von einem Zahnarzt behandelt werden. Denn die Piraten hatten den Seeleuten sogar Zahnbürsten und Zahnpasta abgenommen. Ganz abgesehen von Handys, Kreditkarten, Kleidung und Schuhen.

Auch um das Schiff steht es nicht zum Besten. "Es war in dem Zustand, den man nach einem Piratenüberfall erwartet", sagte Torsten Ites, Kommandant der "Brandenburg". "Wenn Piraten ein Schiff kapern, hat das nichts mit Saubermachen zu tun." Die Seeräuber hatten es vor allem auf die technische Ausrüstung abgesehen. Sie plünderten auch Teile der Ladung, etwa Altkleidung. Der Schaden wird auf etwa 100 000 Euro geschätzt. Deshalb kann die neue Besatzung, die in Mombasa wartet, das Schiff noch nicht übernehmen. Wann genau die früheren Geiseln nach Hause zurückkehren können, ist noch offen. Gestern hieß es, die ersten könnten bereits heute starten.

"Ich bin ein glücklicher Kapitän eines unglücklichen Schiffs", sagte Kapitän Krzysztof Kotiuk in Mombasa. "Nach vier Monaten sind wir sehr müde. Wir möchten allen danken, die dazu beigetragen haben, diese fürchterliche Situation zu beenden."

Die "Situation" hätte auch fürchterlich enden können. Der "Spiegel" berichtet von Plänen, die Piraten sofort nach der Geldübergabe mit Kampfschwimmern der Marine zu attackieren. Gut zwei Dutzend der Spezialkräfte hatten auf der Fregatte "Rheinland-Pfalz" gewartet. Sie sollten die Entführer, die mit ihrer Beute in Booten fortzogen, mit Hubschraubern abfangen. Doch die Fregatte lag zu weit von der "Hansa Stavanger" entfernt, das Festland war zu nah. Die schon gestarteten Helikopter mussten wieder beidrehen.

Ein erster Versuch zur Befreiung der Geiseln durch die Eliteeinheit GSG 9 war bereits im April gescheitert. Damals wollten die Spezialkräfte mit ihren Helikoptern vom US-Hubschrauberträger "Boxer" starten. Der Plan scheiterte schließlich am Veto der Bundespolizeiführung und der Amerikaner, die ihr Schiff nicht mehr zur Verfügung stellen wollten. Kapitän Kotiuk glaubt, dass es ein Blutbad hätte geben können.

Sofort nachdem die "Hansa Stavanger" in Mombasa festmachte, haben Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) mit der Spurensicherung begonnen. Zuständig für das Verfahren ist die Staatsanwaltschaft Hamburg. Sie ermittelt wegen des Angriffs auf den Seeverkehr und schwerer räuberischer Erpressung, sagte Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. Bei einer Verurteilung drohen den Piraten fünf bis 15 Jahre Haft. In der Theorie. Denn dass die somalischen Täter gefasst werden können, ist unwahrscheinlich.

Die Reederei hofft unterdessen, dass sie nicht auf allen Kosten sitzen bleibt und die Versicherungen einen Teil des Schadens erstatten, sagte Reedereisprecher Rychly. Schließlich habe man vier Monate lang keine Einkünfte gehabt. Dabei werden die Versicherungen prüfen, ob die Besatzung eine Mitschuld trifft. Laut einem Bericht des "Focus" hätte die "Hansa Stavanger" den Seeräubern eigentlich nicht in die Falle gehen dürfen. Das Hauptquartier der EU-Marinemission "Atalanta" habe bereits im Februar zweimal die Vorgänger von Kapitän Kotiuk gemahnt, Somalia mit ausreichendem Abstand zu umschiffen. Diese Empfehlung habe auch für die Fahrt Anfang April gegolten. Die "Hansa Stavanger" war aber auf einer anderen Route unterwegs.

Kapitän Bernd Jantzen, der das Schiff mit einer neuen Mannschaft nach Hause bringen soll, sagte derweil, er habe eine "jahrelange Erfahrung" bei der Abwehr von Piratenüberfällen. Er wird sie gut gebrauchen können. Im September endet an der somalischen Küste die Monsunzeit mit meterhohen Wellen. Dagegen waren die Piraten in den vergangenen Wochen mit ihren Booten nicht angekommen. Die Angriffe dürften wieder zunehmen.