Hessens Ministerpräsident Roland Koch spricht im Interview mit dem Hamburger Abendblatt über seine Zukunft und äußert ein klares Bekenntnis zur Atomkraft.

Wiesbaden. Hamburger Abendblatt: Wieder ein Störfall, wieder im Kernkraftwerk Krümmel. Können Sie verstehen, dass die Menschen im Norden allmählich nervös werden, Herr Koch?

Roland Koch: Die Dummheit der Energiekonzerne in ihrer Kommunikation ist kaum noch beschreibbar. Ich kann verstehen, dass es Menschen schwerfällt zu vertrauen, wenn sich Energiekonzerne verhalten wie Vattenfall in Krümmel. Solche Betreiber werden unfreiwillig selbst zu den größten Gegnern der Kernkraft.

Abendblatt: Stellen Sie sich vor, Sie leben in Hamburg. Was sagen Sie Ihrer Frau, Ihren Kindern?

Koch: Die Kernkraft ist eine Technologie, mit der man natürlich vorsichtig und extrem sorgfältig umgehen muss. Aber sie ist sicherheitstechnisch beherrschbar. Ich würde meiner Familie sagen, dass sie sich keinerlei Sorgen machen muss, wenn Probleme mit den Transformatoren auftreten. Sie liegen weit außerhalb des kritischen Bereichs.

Abendblatt: Vattenfall hat inzwischen auch Probleme mit Brennstäben eingestanden ...

Koch: Die Probleme in Krümmel müssen sachlich und vollständig aufgeklärt werden. Auch auf einen solchen Vorgang ist die Sicherheitstechnik eines Kraftwerks allerdings ausgerichtet.

Abendblatt: Was macht Sie so sicher?

Koch: Ich habe mich vor 20 Jahren entschieden, mich sehr intensiv mit Kernkraft zu beschäftigen. Ich bin zu den Physikbüchern zurückgekehrt und habe gelernt, wie ein Kraftwerk funktioniert, habe mehrere Reaktoren ausführlich besichtigt und studiert. Und daher kann ich aus eigener Überzeugung sagen: Ich halte diese Technologie für vertretbar. Was mich fassungslos macht, sind Energiekonzerne, die es nicht so wichtig nehmen, wann sie etwas melden - vor allem in Krümmel, wo der Betreiber nach dem letzten Störfall zwei Jahre Zeit hatte, um zu üben.

Abendblatt: Umweltminister Gabriel sagt, in deutschen Atomkraftwerken sei der Störfall der Normalfall ...

Koch: Der Staat hat die Meldepflichtigkeit von Vorgängen auf ein Niveau heruntergezogen, dass in der Tat ständig etwas gemeldet werden muss. Schon wenn ein Kontrolllämpchen ausfällt, ist das ein meldepflichtiger Vorgang. Diese Transparenz ist gut, aber das bedeutet noch lange nicht, dass die Bevölkerung in Gefahr wäre.

Abendblatt: Gabriel will den Ländern die Atomaufsicht entziehen.

Koch: Herr Gabriel ist ein Showpolitiker, der in der Umweltpolitik über Jahre keinen einzigen Erfolg gelandet hat und nun drei Monate vor der Wahl versucht, sich als Anti-Kernkraft-Mann zu profilieren. Das zeigt auch seine Reise nach Tschernobyl. Das Gute an Herrn Gabriels Auftritten ist, dass er seine Propagandaschlachten so maßlos überzieht, dass es jeder bemerkt. Eine Aufsicht durch den Bund würde nichts verbessern. Es gibt keinen Anlass zu unterstellen, dass etwa die schleswig-holsteinische SPD-Ministerin Trauernicht unfähiger wäre als Herr Gabriel.

Abendblatt: Mit der Forderung des Bundesumweltministers nach einem schnelleren Atomausstieg werden Sie sich auseinandersetzen müssen.

Koch: Das tun wir auch - ganz ohne Ideologie. Wir glauben, dass es klug ist, Kernkraftwerke länger laufen zu lassen, als dies von der rot-grünen Bundesregierung festgelegt wurde. Solange sie sicher sind und wir noch nicht ausreichend Alternativen haben.

Abendblatt: Also Ausstieg aus dem Ausstieg.

Koch: Wir sollten alle Kernkraftwerke laufen lassen, solange sie sicher sind. Die Anlagen müssen weiter regelmäßig auf Herz und Nieren geprüft und mit Milliardeninvestitionen auf den allerneuesten Stand gebracht werden. Wir wollen gesetzlich festlegen, dass die Energiewirtschaft einen erheblichen Teil des zusätzlichen Gewinns einsetzen muss, um die Entwicklung erneuerbarer Energien massiv vorantreiben zu können. Bis Mitte des Jahrhunderts wollen wir in der Lage sein, voll auf erneuerbare Energien zu bauen.

Abendblatt: Atomausstieg 2050?

Koch: Wir wollen alle politischen Laufzeitbeschränkungen aufheben. Die Frage, wie lange ein Kernkraftwerk sicher ist, soll nach dem Stand von Wissenschaft und Technik entschieden werden - der TÜV und nicht Herr Gabriel soll das bestimmen. Die Frage der Laufzeiten muss raus aus der Ideologie, raus aus der Politik. Wann der Ausstieg tatsächlich erfolgt, hängt von der Entwicklung erneuerbarer Energien ab.

Abendblatt: In anderen Industriestaaten werden neue Kernkraftwerke gebaut. Bleibt das in Deutschland ausgeschlossen?

Koch: Das CDU/CSU-Wahlprogramm ist eindeutig: In der nächsten Wahlperiode wollen wir keinen neuen Reaktor bauen, sondern das mit den Laufzeiten in Ordnung bringen.

Abendblatt: Wird der Bundestagswahlkampf um die Zukunft der Atomkraft geführt?

Koch: Herr Gabriel versucht, mit diesem Thema ein paar sozialdemokratische Stammwähler zu wecken.

Abendblatt: Die meisten Deutschen lehnen Atomenergie ab. Auf diesem Feld kann die Union nur verlieren.

Koch: Parteien gewinnen, wenn die Wähler eine verlässliche Linie erkennen. Wir erwerben uns den Respekt der Menschen, wenn wir auch in dieser kritischen Frage eine klare Position vertreten. Es würde uns Stimmen kosten, zur Kernkraft zu schweigen oder populistisch den Kurs zu verändern. Im Übrigen hat die Zustimmung zur Kernenergie in den letzten Jahren zugenommen - gerade auch, weil wir klar Position beziehen.

Abendblatt: In Umfragen liegt die Union noch unter ihrem 40-Prozent-Ziel. Was muss in den verbleibenden Wochen bis zur Bundestagswahl passieren?

Koch: Zunächst einmal wollen wir eine bürgerliche Mehrheit bekommen mit einem möglichst großen Stimmenanteil der CDU. Wenn es 40 Prozent wären, hätten wir ein lange gehegtes Ziel erreicht. Wir müssen den Bürgern deutlich sagen, dass es am 27. September um eine Richtungsentscheidung geht. Gerade in Zeiten der Krise wissen die Menschen, dass sie sich auf uns verlassen können.

Abendblatt: Wie viele Unternehmen muss die Kanzlerin noch retten, bis Schwarz-Gelb in trockenen Tüchern ist?

Koch: Frau Merkel wird ihren Amtseid ernst nehmen und Unternehmen nicht nur im Wahlkampf helfen. Es gehört zu den Aufgaben einer Regierung, in einer sozialen Marktwirtschaft die Folgen der Wirtschaftskrise abzufedern. Angela Merkel steht dafür, dass die Union sensibel bleibt für das Schicksal einzelner Arbeitnehmer.

Abendblatt: Ist Opel schon gerettet?

Koch: Das ist noch ein langer Weg. Opel hat durch die Anstrengungen der Politik eine Chance bekommen.

Abendblatt: Wird das was mit dem Autozulieferer Magna?

Koch: Magna verhandelt ganz konkret mit dem amerikanischen Mutterkonzern GM und hat einen großen Vorsprung vor anderen Bietern. Ich erwarte, dass Magna zum Zug kommt und bin überzeugt, dass das mit Blick auf die Zukunft von Opel, die Standorte und die Jobs in Deutschland und nicht zuletzt wegen der eingesetzten Steuergelder die beste Lösung ist.

Abendblatt: Der chinesische Autohersteller BAIC hat soeben ein verbessertes Übernahmeangebots vorgelegt ...

Koch: Es wäre schon ein ziemlich starkes Stück, wenn jemand ernsthaft glaubt, dass der neue europäische Opel-Konzern von einem chinesischen Unternehmen geführt werden könnte, das gerade 12 000 Autos pro Jahr produziert und noch nicht einmal über die Rückendeckung der chinesischen Regierung verfügt.

Abendblatt: Deutsche Unternehmen beklagen die zögerliche Kreditvergabe von Banken. Wie ernst ist die Lage?

Koch: Die Lage ist durchaus ernst. Auf meinem Tisch kommen ununterbrochen Unternehmenskonzepte an, die nicht mehr finanziert werden.

Abendblatt: Ist die Politik machtlos gegenüber den Banken?

Koch: Die branchenbezogenen Kriterien der Rating-Agenturen geben praktisch keinen Spielraum bei der Beurteilung eines einzelnen Unternehmens - das bewährt sich nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass Rating-Kriterien nicht das Einzige sind, was Banken berücksichtigen. Ein zweiter Aspekt ist mir wichtig.

Abendblatt: Nämlich?

Koch: Bundesbank und Europäische Zentralbank müssen sicherstellen, dass Geld nicht nur für ein Jahr verfügbar ist. Unsere Unternehmen müssen Kredite auch für fünf Jahre zu einem festen Zinssatz bekommen. Im Kampf gegen die Wirtschaftskrise ist das die größte Herausforderung für das zweite Halbjahr.

Abendblatt: Die CSU will im Wahlkampf auch mit europaskeptischen Tönen punkten. Eine kluge Strategie?

Koch: Ich rate der Union sehr, dass sie eine europafreundliche Partei bleibt. Das Bundesverfassungsgericht hat zum EU-Reformvertrag von Lissabon ein Urteil gesprochen, das die weitere europäische Entwicklung sehr klar begrenzt. Ich sehe keinen Anlass, über diese Begrenzung noch hinauszugehen. Wir müssen uns immer wieder klarmachen: Unser Wohlstand hängt von dieser Europäischen Union und ihrer Funktionsfähigkeit ab. Wir müssen den Integrationsprozess fortsetzen, damit unser Kontinent voll handlungsfähig wird.

Abendblatt: Hat das Bundesverfassungsgericht über das Ziel hinausgeschossen?

Koch: Das Urteil ist sehr präzise. Ich persönlich teile die Bemerkungen über das Europäische Parlament ausdrücklich nicht. Die Feststellungen zur mangelnden demokratischen Legitimation halte ich für übertrieben.

Abendblatt: Die CSU will Bundestag und Bundesrat an fast allen europäischen Entscheidungen beteiligen - selbst über die Eröffnung neuer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ...

Koch: Die Türkei-Frage ist wirklich für Europa eine zentrale Frage. Aber nationale Regierungen lösen sich doch nicht von den parlamentarischen Mehrheiten in ihrem Land, wenn sie in Brüssel Entscheidungen treffen. Ich rate dringend davon ab, der Bundeskanzlerin jeden Handlungsspielraum in den langen europäischen Nächten zu nehmen.

Abendblatt: Die Union sucht nach einem Nachfolger für EU-Kommissar Verheugen. Sind Sie auch für Friedrich Merz?

Koch: Ich bin dafür, die Frage des nächsten EU-Kommissars dann zu entscheiden, wenn sie zu entscheiden ist. Ich werde niemandem den Schaden antun, ihn monatelang durch den Kakao zu ziehen.

Abendblatt: Der CSU-Ehrenvorsitzende Stoiber wünscht sich, dass es einer der führenden CDU-Politiker macht, am besten ein Ministerpräsident. Warum wollen Sie partout nicht nach Brüssel, Herr Koch?

Koch: Ich würde diese Definition nicht unterschreiben. Ein EU-Kommissar muss ein guter Politiker sein, der respektiert wird. Das muss nicht zwingend ein Ministerpräsident sein.

Abendblatt: Sie sagen also: Ich werde niemals EU-Kommissar sein.

Koch: Genau das sage ich. Genervt!