Dem mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk soll in wenigen Wochen der Prozess gemacht werden. Aber: Sein Gesundheitszustand kann sich stündlich ändern. Der 89-Jährige kam nach langem Hickhack mit einer Chartermaschine aus den USA nach München.

Hamburg/München. Die Doppelzelle in der Pflegeabteilung der Justizvollzugsanstalt Stadelheim ist gut 20 Quadratmeter groß. Seit Dienstagvormittag - nach einem monatelangen Tauziehen - sitzt John Demjanjuk in deutscher Haft. Gestern um kurz nach 9 Uhr landete der 89-jährige John Demjanjuk in München. Kurz danach wurde ihm der 21-seitige Haftbefehl verlesen.

Und seit Mittwoch ist klar: „Sein Zustand ist gut – er ist nicht altersadäquat, sondern besser als man es bei einem 89-Jährigen erwarten kann“, sagte der stellvertretende JVA-Leiter Jochen Menzel. „Jetzt ist er ohne Zweifel haftfähig.“ In Demjanjuks Alter könne sich der Gesundheitszustand allerdings stündlich ändern.

Zuvor hatte sich der mutmaßliche Nazi-Verbrecher in den USA mit Hinweis auf seine schlechte Gesundheit gegen seine Abschiebung gewehrt und den Obersten Gerichtshof in Washington eingeschaltet. Nachdem alle Einsprüche erfolglos waren, wurde Demjanjuk von Beamten der US-Einwanderungsbehörde zu Hause abgeholt und von Cleveland in Ohio mit einer Sondermaschine ausgeflogen. Nun kann er in einem der vermutlich letzten großen NS-Prozesse in Deutschland vor Gericht gestellt werden.

Die Staatsanwaltschaft München will in wenigen Wochen Anklage wegen Beihilfe zum Mord erheben. Die Anklagebehörde wirft Demjanjuk vor, im Zweiten Weltkrieg als Wachmann im deutschen Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen Beihilfe zum Mord an mindestens 29 000 Juden geleistet zu haben. Der gebürtige Ukrainer soll geholfen haben, die Menschen in die Gaskammern zu treiben. Bisher hat Demjanjuk alle Vorwürfe bestritten. Hauptbeweismittel ist ein SS-Dienstausweis mit der Nummer 1393 und seinem Namen. Aufgetrieben hatte ihn die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. "Wir haben ein Dreivierteljahr gegen Herrn Demjanjuk ermittelt und Beweise gesammelt", sagte Behördenleiter Kurt Schrimm dem Abendblatt.

"Wir haben dann der Staatsanwaltschaft München 17 Leitz-Ordner an Materialien zu dem Fall übergeben." Bei der Beweissuche erhielten die Ludwigsburger intensive Rechtshilfe aus Israel, vor allem von der Gedenkstätte Yad Vashem, und aus den USA. Dort habe das Office of Special Investigations entscheidendes Material an die Ludwigsburger Ermittler geliefert, sagt Schrimm. "Wir haben überall offene Türen eingerannt." Man sei sich sicher, dass die zusammengetragenen Beweise ausreichen, "um Herrn Demjanjuk vor Gericht zu bringen".

Schrimms Behörde wird jedoch nicht an einem möglichen Prozess als Mitankläger teilnehmen. "Wir sind nur die Zuträger", sagt er. Die Münchner Justiz ist zuständig, weil Demjanjuk zuletzt im Raum München lebte, bevor er 1952 in die USA auswanderte. Als sogenannte Displaced Person und ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener durfte er einreisen. Seine mögliche NS-Vergangenheit war damals nicht bekannt. Laut Akten soll Demjanjuk 1942 als Soldat der sowjetischen Roten Armee in Kriegsgefangenschaft geraten sein. Wie auch andere Gefangene soll er sich dann entschieden haben, mit den deutschen Truppen zusammenzuarbeiten. Daher wurde er nach den Ermittlungen zunächst im besetzten Polen als KZ-Aufseher in Sobibor eingesetzt.

Parallel zur Ankunft Demjanjuks wurde gestern bereits ein Zeuge in München vernommen. Der möglicherweise einzige noch lebende Augenzeuge aus dem Vernichtungslager Sobibor, der 82 Jahre alte Thomas Blatt, schilderte der Staatsanwaltschaft die Zustände in dem Lager.

Blatt hatte dort als 15-Jähriger seine Eltern und seinen Bruder verloren und will als Nebenkläger in einem möglichen Prozess gegen Demjanjuk auftreten. "Er hat ausgesagt, dass er mit eigenen Augen gesehen hat, dass es die ureigenste und einzige Aufgabe der Wachmänner gewesen ist, Arbeitsjuden wie ihn zu bewachen und, wenn Transporte eintrafen, für den reibungslosen Ablauf der Vernichtung zu sorgen", sagte Anwalt Stefan Schünemann nach der Vernehmung seines Mandanten der dpa.

Demjanjuk ist jetzt zwar in Deutschland, aber das sagt noch nichts darüber aus, ob und wann ihm der Prozess gemacht wird. Zuerst müssen nun deutsche Gerichtsärzte klären, ob Demjanjuk überhaupt gesundheitlich haftfähig ist. Gestern begannen bereits die ersten Laboruntersuchungen. Oberstaatsanwalt Anton Winkler nannte den Gesundheitszustand des 89-Jährigen "den Umständen entsprechend". Sollte Demjanjuk nicht haftfähig sein, müsste er wieder freigelassen werden. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sprach vor diesem Hintergrund von einem Wettlauf gegen die Zeit. "Es geht nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit." Die USA haben Demjanjuk derweil die Staatsbürgerschaft entzogen. Vermutlich wird er bis an sein Lebensende in Deutschland bleiben.