Die Industrie bemängelt dasTempo beim Ausbau der Windkraft. Bundesumweltminister Altmaier soll einen Masterplan vorlegen.

Hamburg/Berlin. Das Gesicht der Energiewende schaute ziemlich gequält drein, als Thüringer Klöße mit Rotkohl und Rinderroulade serviert wurden. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hatte mehrfach selbst seine Körperfülle und seinen Hang zum Schlemmen thematisiert. Nun musste er sich auf seiner Sommertour für die Energiewende von der eigenen Parteikollegin vorführen lassen. Deftige Kost auf dem Teller, deutliche Worte für den Neuen im Amt: Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) forderte von Bund und Ländern nichts weniger als einen Masterplan für den Umstieg auf erneuerbare Energien, mehr Tempo und einen Verantwortlichen: Peter Altmaier müsse das Gesicht der Energiewende werden.

Was seinem Vorgänger Norbert Röttgen (CDU) nicht gelang, was Wirtschaftsminister Philipp Rösler aus Sicht der Union nicht soll, das muss nun Altmaier: das größte Projekt dieser Bundesregierung verkörpern. Und wie Röttgen muss sich Altmaier mit dem FDP-Mann Rösler arrangieren. Denn der läuft durchs Land und predigt niedrige Strompreise. Energiewende ja - aber die Industrie und die Verbraucher dürften nicht allzu stark belastet werden.

+++ Fahrplan für Energiewende noch nicht in Sicht +++

"Wir sind gut vorangekommen, was den Netzausbau anbelangt", beteuerte Rösler im Deutschlandfunk. Das ist seine Wahrheit. Vor allem Energiekonzerne, die statt Atomkraftwerken demnächst Windparks in Nord- und Ostsee betreiben wollen, sehen das anders. Davon konnte sich Bau- und Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) überzeugen, als er jetzt in Cuxhaven die gigantischen Stahlkolosse begutachtete, die darauf warten, in den Meeresboden gerammt zu werden. Windrad drauf - und fertig ist der Ökostrom? Mitnichten.

Die geplanten Windparks auf See könnten eine Energiemenge erzeugen, die dem Volumen aller deutschen Atomkraftwerke entspricht, versicherte Ramsauer. Aber der Strom kann nicht von See in die Unternehmen und Haushalte im ganzen Land transportiert werden, weil es keine Netze dafür gibt. So musste der Bauminister sein optimistisches Szenario vor Turmsegmenten erklären, die einmal zu Windrädern werden sollen, aber einfach nur an der Küste lagern oder als "Möwenständer" ohne Rotor auf See dümpeln.

Altmaier, Rösler, Ramsauer: drei Minister, drei Parteien, keine Energiewende. Dass tatsächlich im Jahr 2020 bis zu 35 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen kommt, gilt bei diesem Tempo als utopisch. Die Bundesregierung müsse Klarheit schaffen beim Anschluss der Offshore-Windparks und dafür sorgen, "dass wir die Steckdose am Meer haben", sagte der Geschäftsführer des Bereichs Power Systems im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Thorsten Herdan. Wegen politisch ungeklärter Haftungsfragen beim Netzanschluss der Windparks hatten Konzerne wie EnBW und RWE Investitionen aufgeschoben. Die Windkraftbranche fürchtet, ähnlich wie die Solarwirtschaft unter dem Wettbewerbsdruck aus China zu leiden.

Dabei werden vor allem der Industrie goldene Brücken ins Zeitalter der Erneuerbaren gebaut. Das in Hamburg beheimatete Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) hat 29 neue Windparks auf See genehmigt. Mit großem Aufwand hat es eine neue Gebührenordnung erarbeitet, die sich an den extrem aufwendigen Prüfverfahren für die Windparks und den gewaltigen Investitionen orientiert. Die Gebühren dafür sollten von 50 000 Euro auf bis zu eine Million Euro steigen, wie Unterlagen zeigen, die dem Abendblatt vorliegen. Ramsauers Ministerium jedoch ließ die neue Preisliste fast zwei Jahre unbeachtet. Nun vermuten Kritiker, dass dem Haushalt dadurch ein dreistelliger Millionenbetrag entgangen ist.

Aus der Windenergiebranche ist zu hören, dass man durchaus bereit gewesen sei, die höheren Gebühren zu zahlen. Allerdings war durch das lange Zögern in Ramsauers Haus rechtlich nicht klar, ob man die neuen, höheren Gebühren auch für vorläufig genehmigte Projekte erheben könnte.

+++ Altmaier: Länder verzögern Energiewende +++

Und auch bei der Ökosteuer kommt die Bundesregierung der Industrie entgegen. Gestern verabschiedete das Kabinett ein Gesetz, nach dem die großen Stromverbraucher bis 2022 wie bisher von dem Aufschlag auf den Strom- und Gaspreis befreit werden. Damit, hieß es, würden rund 25 000 Unternehmen mit großem Energieverbrauch um insgesamt 2,3 Milliarden Euro jährlich entlastet. Im Gegenzug müssten die Unternehmen ihre Energieeffizienz um 1,3 Prozent pro Jahr steigern. Greenpeace sprach von "Steuergeschenken für die Industrie" und hält die Verpflichtung zu 1,3 Prozent größerer Energieeffizienz für "lächerlich".

Durch den Energiewende-Aufschlag auf die Energiekosten verteuert sich der Strom derart, dass eine vierköpfige Familie 400 Euro pro Jahr allein für die Förderung der erneuerbaren Energien aufwenden müsse. Das rechnete der Unions-Wirtschaftsexperte Michael Fuchs vor, der dringend eine Entlastung der Bürger anmahnte.

Für die enormen Investitionskosten will das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Großbanken in die Pflicht nehmen. Die DIW-Expertinnen Claudia Kemfert und Dorothea Schäfer schlugen vor, die Banken zu Krediten zu "zwingen". Das könne ihre Gegenleistung dafür sein, dass der Staat sie in der Krise gerettet und für sie gebürgt habe. Laut DIW tragen Privatpersonen 40 Prozent der Investitionen in erneuerbare Energien, Landwirte und die Banken je 11 Prozent, die vier großen Energieversorger 6,5 Prozent.