Innenausschuss will Widersprüche im Fall der erschossenen Polizistin klären. Muslime: Vertrauen in Sicherheitsbehörden erschüttert

Berlin. Die Polizei hatte dem Thüringer Generalstaatsanwalt Hartmut Reibold zufolge schon im März 2002 Hinweise auf den Aufenthaltsort des gesuchten Terror-Trios in Chemnitz. Das gehe aus einem Aktenvermerk hervor, sagte Reibold am Mittwoch in Erfurt. Er habe aber keine Kenntnis, wie die Polizei in Thüringen oder Sachsen weiter vorgegangen sei. "Das war Aufgabe der Polizei." Für die Staatsanwaltschaft sei mit der Ausschreibung des Haftbefehls alles getan gewesen. Es habe mehrmals Hinweise gegeben, dass sich Zielfahnder den mutmaßlichen Terroristen "ganz nahe fühlten". Die Staatsanwaltschaft habe aber definitiv nicht gewusst, wo sie sich befanden.

Der Innenausschuss des Bundestages will kommende Woche Vertreter der Landeskriminalämter zu den widersprüchlichen Aussagen zum Mord an der Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter hören. Das kündigte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) in der "Saarbrücker Zeitung" an. Er bezog sich auf Darstellungen des Bundeskriminalamts einerseits und der Familie andererseits zu Verbindungen Kiesewetters zur mutmaßlichen Terrorgruppe aus Zwickau. Es solle so weit wie möglich geklärt werden, "wie es zu den unterschiedlichen Angaben zwischen den beteiligten Personen und Institutionen über den möglichen Tathintergrund kommen konnte".

BKA-Präsident Jörg Ziercke hatte gesagt, es scheine eine Beziehung zwischen Kiesewetters Familie und der rechtsextremen Gruppe gegeben zu haben. Nach seiner Darstellung wollte Kiesewetters Familie in Thüringen eine Gaststätte mieten, stattdessen sei ein Mann zum Zuge gekommen, gegen den nun in dem Ermittlungsverfahren wegen der Neonazi-Mordserie ermittelt werde. Außerdem habe Kiesewetter zeitweilig gegenüber der Gaststätte gewohnt. Der Stiefvater der 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin sagte dagegen der "Ostthüringer Zeitung", es habe niemals Kontakt zwischen einem Familienmitglied und der Gruppe gegeben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach unterdessen den Angehörigen der Neonazi-Mordopfer ihre Anteilnahme aus. Sie begrüßte gestern die Initiative von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die Hinterbliebenen aus dem Fonds für die Opfer extremistischer Angriffe zu entschädigen. Merkel nannte die Zahlungen ein "Zeichen der Verbundenheit", auch wenn sich das erlittene Leid nicht wiedergutmachen lasse.

Die Morde hätten das Vertrauen der Muslime und Migranten in die Sicherheitsbehörden erschüttert, sagte Bekir Alboga, Sprecher des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland. Die islamischen Verbände fordern nun, mehr über rechtsextremes Gedankengut aufzuklären. "Im Schatten einer imaginären Islamismusgefahr konnte sich der Rechtsextremismus ungehindert entfalten", sagte Alboga.